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Bemerkungen
Künstlerische FreiheitIn der Adler-Apotheke der beschaulichen brandenburgischen Kreisstadt Eberswalde befindet sich ein Museum. Dort ist eine Kunstausstellung zu sehen. Godiva von Freienthal, erfährt man, sei eine 1964 in Braunschweig geborene Artistin. Richtig, Artistinnen werden geboren. Die Künstlerin stellt dreizehn getragene Unterröcke aus, die »sich in großer Farbenvielfalt« zeigen und noch dazu »mehr oder weniger sichtbare Körperabdrücke« offenbaren. Das Thema der Ausstellung lautet: »Was von ihr ist«; die auf Drahtbügel gehängte Wäsche nennt sich: »Lebensabschnittsinstallation«. In dieser Ausstellung, so die Künstlerin, gehe es nicht um sie, nein, sondern um Anerkennung der Frau in der Gesellschaft. Deshalb ließ sie elf Frauen, jung bis alt, über den Marktplatz zum Mu- seum laufen, sich dort ihre Unterröcke ausziehen und diese auf Bügel hängen. Godiva von Freienthal arbeite im Moment zwischen Realität und Phantasie, wird dem Besucher unter anderem auch noch mitgeteilt. Im Südtiroler Bozen hat das Museum für zeitgenössische Kunst ein Problem. Dort gibt es ein Kruzifix von Martin Kippenberger (für dessen Werke auf dem internationalen Kunstmarkt Höchstpreise gezahlt werden). Ein Gekreuzigter als Frosch ist zu sehen. In einer Hand hält er einen Bierkrug, in der anderen ein Ei, und aus dem Froschmaul hängt lang die Zunge. Nun soll das Kruzifix entfernt werden, weil Papst Benedikt XVI. sich sommers in Brixen zu erholen gedenkt und ihm die Nähe eines solchen Objektes den Urlaub vergällen würde. Während sich der Museumsdirektor noch weigert, das Kruzifix abzuhängen, ist schon vom Ende des Dialogs zwischen Kunst und Kirche die Rede. Könnte ein Angebot an Godiva von Freienthal eine Alternative sein? Farbige bischöfliche Unterhosen mit mehr oder weniger sichtbaren Körperabdrücken könnten dem Kruzifix den Rang ablaufen, denkt sich (in religiösen Angelegenheiten freilich wenig bewandert)
Peter Tamms MilitariaAls Lehre aus der Geschichte zweier Weltkriege und der faschistischen Barbarei steht in der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, daß sie in Zukunft »... im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt«sein soll. Davon ist bisher wenig zu merken. Auch das neue »Internationale Maritime Museum Hamburg« wird nicht dazu beitragen. Gefüllt sind die Vitrinen, Schaukästen und Wände des neuen Museums mit Gegenständen aus der umfangreichen Militaria-Sammlung des Multimillionärs Peter Tamm. Der Militarist war viele Jahre Vorstandvorsitzender der Axel C. Springer AG, im Konzern wurde er nur »Admiral« genannt. Noch in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges, die Niederlage zeichnete sich bereits ab, war Tamm in der geschrumpften Kriegsflotte des Großadmirals Karl Dönitz auf dem Segelschulschiff »Gorch Fock« Kadett geworden. Er überlebte den Untergang in der kalten Ostsee. Heute befinden sich die Großadmiralstäbe von Dönitz und dessen Vorgänger Erich Raeder in seinem Besitz – und nichts weist darauf hin, daß Dönitz vom Internationalen Gerichtshof in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt wurde. Bis dato zeigte Tamm seine Sammlung in einem ehemaligen Hotel an der Elbchaussee. Im Zweiten Weltkrieg saß dort der Baustab der Kriegsmarine. In diesem Hause firmierte seine Sammlung noch als »Wissenschaftliches Institut für Schiffahrt- und Marinegeschichte«. Aus einem Fundus von 25.000 maßstabgerechten Miniaturmodellen, 1000 Großschiffsmodellen, Schiffen aus Elfenbein, Knochen, Bernstein und Gold, mehr als 2000 maritimen Bildern aus allen Jahrhunderten, 800 Marineuniformen und Uniformteilen, dazu 2000 Orden und Ehrenzeichen, 1200 Degen und Dolchen, 500 nautischen und optischen Navigationsinstrumenten und Kompassen wurden die Exponate ausgewählt. Dazu gehören über 60.000 maritime Bücher von der Vergangenheit bis zur Gegenwart, 100.000 Festzeitschriften, Briefmarken und Medaillen mit Seefahrtsmotiven, Hunderte Dokumentarfilme, die Stapelläufe oder andere bedeutende Ereignisse aus der Marinegeschichte zeigen. Ob die Fotosammlung nur 500.000 oder eine Million Bilder umfaßt, ist noch nicht ermittelt. Selbst die Seekarten und andere Schiffsdokumente lassen sich, wie Insider berichten, nur in Kubikmetern messen. Tamm war seinerzeit der höchstbezahlte Manager der Bundesrepublik; indirekt haben die Welt- und Bild-Leser dazu beigetragen, daß er sich eine solche Sammlung zulegen konnte. Nun soll die Tamm-Sammlung Glanz über die Hafen-City bringen. Dazu hat die Hansestadt dem Sammler den historischen Kaispeicher B auf 99 Jahre kostenfrei überlassen. Sei bezahlte auch den Umbau zum Museum, der 30 Millionen Euro kostete. Gleichzeitig wurden die Zuschüsse für die anderen Hamburger Museen und Geschichtswerkstätten stark gekürzt. Nach starken öffentlichen Protesten und Kritik an der militaristischen, den Faschismus verharmlosenden Ausrichtung der Sammlung schwafelt man nun vom Bemühen um Objektivität und Völkerverständigung, wovon aber in dem Museum nichts zu spüren ist. Nach wie vor bleibt es bei der Botschaft: Der Mensch müsse sich im Kampf mit den vermeintlichen Naturgewalten – Orkan, Krieg, Konkurrenz – behaupten, und das Recht des Stärkeren habe universelle, ewige Gültigkeit. Kultursenatorin Karin von Welck verspricht sich davon »Ruhm und Ehre für die Hansestadt«. Anläßlich der Eröffnung jubelte Bundespräsident Horst Köhler mit. »Wir brauchen noch viel mehr Seezeichen!« Hoffentlich nicht die von Peter Tamm.
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DemoskopischesDas Münchener Meinungsforschungsinstitut Polis/Sinus hat herausbekommen, daß immer mehr BürgerInnen der Bundesrepublik das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der gegenwärtigen Form von Demokratie verloren haben: Jede Dritte gehöre inzwischen zu diesen Ungläubigen. »Deutsche sind demokratiemüde«, betiteln diverse Zeitungen diese Meldung. Müde, weil Demokratie zu anstrengend oder weil sie zu langweilig ist? Der interpretierende Begriff führt weg vom Sachverhalt. Die Demoskopen haben nämlich auch festgestellt, daß unter den »Müden« besonders viele Arbeitslose und Hartz-IV-EmpfängerInnen sind. Die Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh hat durch eine repräsentative Umfrage darüber hinaus ermittelt, daß mehr und mehr Deutsche an der Tauglichkeit des herrschenden Wirtschaftssystems zweifeln: Der »Realkapitalismus« verliere stetig an Akzeptanz. Zu vermuten ist, daß noch so gut ausgeklügelte PR-Strategien aus Gütersloh an diesem Trend nichts ändern werden, denn die zunehmenden Zweifel haben etwas mit Erfahrung zu tun. Uns stellt sich die Frage, ob Zweifel am Funktionieren der Demokratie, so wie sie jetzt ist, möglicherweise mit dem kritischen Blick auf den Kapitalismus, so wie er funktioniert, zu tun haben. Und ob da vielleicht nicht nur ein gefühlter, sondern ein tatsächlicher Zusammenhang besteht. Demoskopie kann subversiv wirken.
Oskar Negt, etwas ergänztIn der Zeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beschreibt der Sozialphilosoph Oskar Negt »Strukturprobleme«, die seiner Meinung nach die »Misere« der gegenwärtigen Gesellschaft verursachen: »Es wird mehr produziert, aber die lebendige Arbeit wird weniger, die Arbeitsplätze schrumpfen. Gleichzeitig haben wir einen wachsenden Bedarf an Gemeinwesenarbeit, der aber nicht finanziert wird.« Ich ergänze: Für diejenigen, die nach vorherrschendem Sprachgebrauch die »Arbeit geben«, müssen sich Arbeitsplätze rentieren. Also schrumpfen sie, wo die Rendite zu gering ist, oder sie werden durch Arbeitszeitverlängerung rentabel gemacht, ferner werden unrentable Arbeitsplätze (öffentliche) in rentable (private) umgewandelt. Ein Strukturproblem der Gesellschaft, gewiß, freilich einer ganz bestimmten Form derselben. Und noch mal Negt. »Der gesellschaftliche Reichtum fließt in Rationalisierungen, Investitionen und in die frei flottierende Finanzwelt.« Ich ergänze: Nicht von selbst fließt er so. Da gibt es Regulationen und Regulateure. Schon wieder ein Strukturproblem, um in der Diktion des Autors zu bleiben.
Die Konzerne strahlenWir erleben eine neue Welle der Sympathie für die Atomkraft: Konzernmanager, Verbandssprecher, Politiker und Medienleute wollen das Volk glauben machen, Nuklearenergie sei die Rettung aus den Klima-, Ölpreis- und Inflationsproblemen. Jetzt hat Erhard Eppler, wie immer als »linker Vordenker« etikettiert, der SPD einen Wink gegeben: Die Partei solle sich doch damit einverstanden erklären, daß die bestehenden Atomkraftwerke in Betrieb bleiben – und kompensatorisch dafür eintreten, daß ein Neubau von Atomkraftwerken grundgesetzlich untersagt wird. Typisch Eppler. Auf ähnliche Weise hat er seine Partei beim Angriffskrieg auf Jugoslawien und bei Schröders Agenda-Basta-Entscheidungen von Skrupeln befreit und ihr ein gutes Gewissen verschafft. Was sind schon Vorschläge für eine Ergänzung des Grundgesetzes wert? Der Wert einer Verlängerung der Reaktorlaufzeiten läßt sich genauer beziffern: Ein zusätzlicher Reingewinn von drei bis sechs Milliarden Euro pro Jahr lockt. Es versteht sich, daß Vattenfall, e.on und Konsorten dem Ausstieg aus dem Ausstieg hoffnungsvoll entgegensehen und bei dessen propagandistischer Vorbereitung nicht knausern. Da verflüchtigen sich Fragen und Einwände wie: Wohin mit dem Atommüll? Wer übernimmt die Verantwortung für die nach wie vor enormen Risiken des Reaktorbetriebs? Wie lange reichen die Uran-Vorräte? Welche Folgen hätte die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken für die Bemühungen, den Energieverbrauch zu senken und alternative Energien zu fördern? Epplers Motive für seinen Rat an die SPD, sich atompolitisch wendig zu verhalten, mögen uns verborgen bleiben. Klar erkennbar ist aber der Effekt seines Vorstoßes: Legitimationshilfe für die Gewinn- und Machtpolitik der Energiekonzerne.
Radikalisierung in Portugal Die deutschen Konzernmedien schweigen darüber: Der Aufruf der portugiesischen Gewerkschaftsföderation CGTP (Confederação Geral dos Trabalhadores Portugueses) hat Ende Juni in über 20 Städten außergewöhnlich breite Proteste gegen die Pläne der neoliberalen Regierung Sócrates zur »Reform« des Arbeitsrechtes ausgelöst. Allein in Lissabon, bei über 30 Grad im Schatten, waren mehr als 30.000 Menschen auf den Beinen. Die Demonstrationen richten sich vor allem gegen die von Seiten der Regierung und der ihr nahestehenden Gewerkschaft UGT (União Geral dos Trabalhadores Portugueses) propagierte »flexible Sicherheit« des Arbeitsplatzes (das Kunstwort »flexigurança« ist aus »flexível« und »segurança« zusammengesetzt). Trotz früherer Anläufe ist es der Regierung bislang nicht gelungen, die angestrebten Eckpunkte durchzusetzen: vereinfachte Entlassung, Verlängerung der Arbeitszeit, neue Wege zur Lohnreduzierung und zur Aufkündigung kollektiver Absprachen zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen. Die Neuformulierung der rund 1000 Artikel des portugiesischen Arbeitsrechtes sollte in nur 20 Tagen durchgepeitscht werden.
Kein Grund zum Jubeln Eine Frau, prominent schon vor ihrer Leidenszeit, fast sieben Jahre von Guerilleros als Geisel gehalten, kommt in Freiheit. Das ist gut. Wie sie aus ihrer Gefangenschaft befreit wurde, wissen wir nicht, die Spekulationen darüber bieten Stoff für die Medien. Die Berichterstattung über diesen Fall verdrängt Gedanken an die Zigtausende von Geiseln, die irgendwo anders und von anderen Gewalten festgehalten und gequält werden. Diese selektive Wahrnehmung ist nicht gut. Was wir wissen, ist: Die Befreiung der Geisel, von der hier die Rede ist, hat ihren Kollateralnutzen für zwei Staatspräsidenten, die sich – aus unterschiedlichen Gründen – einem unangenehmen öffentlichen Druck ausgesetzt sahen. Der hat nun nachgelassen, und einer der beiden Staatsmänner wird die Retterrolle dazu nutzen, Gegnern seines Regimes den Garaus zu machen. Auf Geiselnahmen ist er dabei nicht angewiesen, ihm kommen Todesschwadronen zur Hilfe. Weltweit sehen sich Regierungen bestärkt, die auf »durchschlagende Lösungen« setzen. Das ist schlecht. Eine Geschichte, die zum Jubeln über einen »Sieg der Humanität« keinen Grund bietet. Unser Mitarbeiter Wolf Gauer weist ergänzend auf einen Bericht der israelischen Tageszeitung Haaretz vom 4.7. hin, demzufolge an der Geiselbefreiung »Dutzende israelischer Sicherheitsexperten« beteiligt waren: Die Koordinierung habe bei einem kommerziellen Sicherheitsdienst der ehemaligen israelischen Generäle Israel Ziv, Joseph Kuperwasser und Amos Ben Avraham gelegen, der auch das US-Militär im Mittleren Osten berate. Auch Mitarbeiter des Mossad, des Shin Beth und anderer »Dienste« seien beteiligt gewesen. Ziv erklärte den Coup zum »Entebbe Kolumbiens«. Näheres: info@nrhz.de
Semesterende in PekingAls ich kürzlich über den Campus spazierte, hielt mich eine meiner Studentinnen auf. Sie sammelt Grußworte für Sichuan. Das sind kleine, gefaltete herzförmige Zettel, auf die man irgend etwas für die Überlebenden der Erdbeben-Katastrophe in Sichuan schreiben soll. Da ich aber nicht weiß, was es denen helfen soll, wenn ich, ein ihnen gänzlich Unbekannter, zum Beispiel schreibe: »Halte durch!«, verzichtete ich zum Leidwesen meiner Studentin darauf. Und das, obwohl eine andere Studentin eigens dorthin fliegen will, um diese Zettel zu übergeben – wem und wo auch immer. Die Katastrophe und deren Folgen sind auch im chinesischen Fernsehen nicht zu übersehen. Im Bus – ich darf wie immer bei meinen langen Busfahrten fernsehen, wenn er nicht zu voll ist – begleiten mich die Bilder der Verschütteten, der Opfer, deren leid- und schmerzverzerrte Gesichter voyeuristisch ausgestellt werden. Man kann nur hoffen, daß, wenn man selber einmal Opfer einer derartigen Katastrophe wird, keine Fernsehjournalisten in der Nähe sind. Aber jede Katastrophe gebiert auch Helden, sehr zur Beruhigung und erwünschten Stimulation des Publikums. So sehe ich eine Polizistin, die ein Baby stillt, das wohl nicht ihres ist. Viele Helden gilt es zu feiern und zu betrauern. Derweil geht im Zeichen der olympischen Ringe die Geldverschwendung weiter, die im August ihren Höhepunkt erreichen wird. In meiner Universität zum Beispiel werden jetzt noch mehr Überwachungskameras installiert und vor allem neue Zäune errichtet. Schwimmbad und Sportpalast sind schon umzäunt, davor steht ein Zelt als Publikumsschleuse. Ein Heer von Freiwilligen, einschließlich meiner StudentInnen, wartet auf An- und Einweisungen. Wie es so geht, sind auch hier Beziehungen nützlich. Oder ist es ein Zufall, daß mein schlechtester Student, der, wie andere auch, die Fähigkeit besitzt, im Studium vorzurücken ohne was zu lernen, dem ZDF als Übersetzer helfen soll, während mein bester Student als Hilfsbademeister im Schwimmbad steht? Da werden sich die Journalisten noch wundern, was jener »übersetzt«. Immerhin ist Bademeister noch besser als im Fünf-Sterne-Hotel Betten machen. Für den Job hat ein anderer Student inzwischen im Blitztempo geübt. So hat zumindest er schon für sein zukünftiges Leben etwas Nützliches gelernt und wird wohl auch von den Olympischen Spielen profitieren. Jetzt im Juli sollen neue U-Bahnlinien in Betrieb genommen werden, die hier dringend nötig sind, weil neue Autos sonst keinen Platz mehr auf den Straßen finden. Beim U-Bahnfahren muß man zumindest nicht mit ansehen, wie der Fahrer eine Hand am Lenkrad hat und in der anderen das unvermeidliche Handy. Fahrrad- und Motorradfahrer telefonieren gern. Die dadurch verursachten kleinen Katastrophen sieht man kaum, schon gar nicht im Fernsehen. Die Zahl der jährlichen Unfalltoten ist immer noch größer als die Zahl der Erdbebentoten in Sichuan, höre ich. Aber Naturkatastrophen eignen sich zur medialen Präsentation von Leid und Heroismus besser als die von den Menschen und ihren Führern gemachten. Und die Botschaft jeder Katastrophe ist: Wir sind noch mal davongekommen, uns hat es nicht erwischt, wir dürfen unseren Phantasien freien Lauf lassen. Vielleicht hätte ich doch etwas auf jene Grußkarte nach Sichuan schreiben sollen? Mir fällt Walter Benjamin ein – ein Grußwort an die Toten?
Initiative für die »Asozialen«Hans Coppi hat in Ossietzky 13/08 über die Zehntausende von »Asozialen« berichtet, die Opfer des Nazi-Terrors wurden. Die Überlebenden prozessieren noch heute ihren Akten hinterher, die für sie nicht einsehbar in Bundes- und Länderarchiven lagern. Nur 205 Opfern der »Aktion Arbeitsscheu Reich« gelang es, sich Einmalzahlungen in Höhe von 2.554,46 Euro (5.000 Mark) nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz zu erkämpfen. Zahlungen aus dem Bundesentschädigungsgesetz waren ihnen in den 1950er Jahren verwehrt worden. Ein Opferfonds für sogenannte Asoziale wurde nie eingerichtet. Die jetzige Bundesregierung antwortete auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke: »Das geltende System der Entschädigungen für NS-Unrecht entspricht den Anforderungen.« Anscheinend will sie weiterhin keinen Finger für die Menschen rühren, die einst überwacht, verfolgt, in Lager gesperrt, an Körper und Seele gequält, in vielen Fällen sterilisiert und so der Möglichkeit beraubt wurden, Kinder zu bekommen. Im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte hat sich ein Arbeitskreis gegründet, der vom Bund die Rehabilitation der Opfer der »Aktion Arbeitsscheu Reich«, die Entfernung der Stigmata aus den Akten und eine Entschädigung fordert. Er unterstützt die Aktivitäten zur Erforschung der ehemaligen Rummelsburger Arbeitshäuser, wo ein Museum als Gedenkstätte und Lernort eingerichtet werden soll. Internet-Adresse: http://marginalisierte.de
Tucholsky ehren, Tucholsky lesenDas Grab des Vaters von Kurt Tucholsky, Alex Tucholsky, auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee, das unter den Jahren gelitten hatte, ist wiederhergestellt. Brigitte Rothert, die letzte Überlebende der Familie, Gisela May, Claus Peymann, Andreas Nachama, der Berliner Kultur-Staatssekretär André Schmitz und viele Mitglieder der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft waren dabei, als am 27. Juni die Erinnerungsstätte enthüllt wurde. Kurt Tucholsky hat den frühen Tod des Vaters, zu dem er aufsah und von dem er manche Lebensmaxime erhielt, nie verwunden. Der überaus arbeitsame Bankier, dessen Firma am Kolonialgeschäft partizipierte, war klug genug, die Folgen der kaiserlichen Großmachtpolitik vorauszusehen. »Mir tut heute schon unser Junge leid«, schrieb er 1894 in einem Brief, »wenn ich daran denke, daß er mal als Vaterlandsverteidiger figurieren soll. Wenn ich Schriftsteller wäre, würde ich die Suttner noch übersuttnern. Krieg heißt doch schließlich auf Deutsch privilegierter Mord …« An manche väterliche Erkenntnis konnte der Sohn auf dem Wege zum Pazifisten anknüpfen wie auch an die musischen Talente des Vaters, der Literatur liebte, sich auch selbst in der Dichtkunst versuchte und ein guter Pianist war. Alex Tucholsky starb 1905 und wurde in Weißensee beerdigt. Seine Frau Doris, Kurt Tucholskys Mutter, wurde trotz ihres hohen Alters von den Nazis nach Theresienstadt deportiert und kam im KZ um. Für sie wurde auf der Grabanlage eine Gedenkplatte angebracht. Der Sohn war frühzeitig nach Schweden emigriert; sein Grab findet man in Mariefred, wenige hundert Meter von dem Schloß entfernt, in dem seine ahnungsvolle »Gripsholm«-Geschichte spielt. Immerhin: Das Haus bleibt im Kommunalbesitz, die Betriebskosten sind gesichert, und der Kulturstadtrat versprach, sich dafür einzusetzen, daß die Kurt-Tucholsky-Bibliothek wieder wie früher finanziert wird. Mehr und mehr Bibliotheken verschwinden, auch aus dichtbesiedelten, kinderreichen Wohngebieten wie hier. Das muß verhindert und rückgängig gemacht werden. Wichtiger noch als jede posthume Würdigung Kurt Tucholskys ist, daß seine Bücher immer neue Leser finden.
Friedenskonto contra Militarismus»Militarismus contra Grundrechte« war die Überschrift eines Beitrags in Ossietzky 12/08. Bernd C. Hesslein berichtete darin über Jürgen Rose: »Der diskussionsfreudige und sattelfeste Oberstleutnant – Ossietzky-Leserinnen und Leser kennen ihn – empört sich darüber, daß sich die Politiker haben verleiten lassen, das Völkerrecht zu brechen und an Kriegsverbrechen teilzunehmen. Die Bundesrepublik und vor allem die Generäle als Berater der Regierung wie als verantwortliche Kommandeure müßten sich nach den Lehren aus dem moralischen Versagen der Wehrmacht richten, fordert er. Doch die Angesprochenen haben jahrelang nur geschwiegen. Dann verlangten sie eine Disziplinarbuße von 750 Euro (Ossietzky berichtete darüber). Ende vergangenen Monats schlugen sie heftiger zu: Rose soll 3000 Euro Disziplinarbuße zahlen – eine Abschreckungsaktion, wo Aufklärung und Rechtfertigung dringend geboten sind.« Ossietzky-Leser Dietrich L. schrieb daraufhin: »Herrn Rose und anderen Soldaten, die sich entsprechender »Dienstpflichtverletzungen« schuldig machen, kommt öffenlich bekundete Solidarität in der Weise zu, daß Ossietzky ein ›Spendenkonto Jürgen Rose‹ einrichtet. In der Sache sollte einerlei sein, ob betroffene Soldaten für die gegen sie jeweils verhängte Geldbuße aufkommen können oder nicht. Ossietzky darf davonausgehen, daß ich unverzüglich auf ein ›Friedenskonto‹ einzahlen würde.« Das »Friedenskonto« ist eingerichtet. Nähere Informationen beim Verlag Ossietzky, Telefon: 0511-1234 777.
Klaue schlägt zuDer geschäftige Rückgriff auf die Geschichte der »68er« hält erst einmal noch an. So konnte es nicht ausbleiben, daß auch musikkulturelle Nebenschauplätze der politischen Revolte ihre Würdigung finden: Die Firma Bear Family Records hat in Text und Ton die Festivals dokumentiert, mit denen unter dem Titel »Chanson Folklore International« in den Jahren 1964–1969 befremdlich Ungewohntes in das beschauliche Terrain um die Burgruine Waldeck im Hunsrück kam, damals attraktiv für Tausende von jungen Leuten, mit einem Ansteckungseffekt für die Musikszene auch in den städtischen Zentren der westdeutschen Republik. Sänger und Liedermacher wie Walter Moßmann, Hannes Wader, Dieter Süverkrüp, Peter Rohland und Franz Josef Degenhardt probierten bei den Waldeck-Festivals den Schritt in die Öffentlichkeit, rebellische Folklore aus vielen anderen Ländern wurde deutschem Publikum bekannt gemacht, demokratische Traditionen im deutschen Volkslied wurden wiederentdeckt und neue Protestsongs der Außerparlamentarischen Opposition gegen den nach außen und innen aufrüstenden »Notstandsstaat« vorgestellt. Ein »deutsches Newport« war die Waldeck nicht, schon gar nicht ein Übungsplatz für Revolutionäre; aber in die stickige westdeutschen Liederwelt fuhr von dort aus ein frischer Wind, gesellschaftskritisches Denken belebend. Ganz anders sieht es Magister Magnus Klaue, der konkret- und FAZ-Autor, der die Waldeck-Dokumentation im Freitag unter der Überschrift »Das Jünger’sche Liederlebnis – Plumpsklopoesie« rezensierte, genauer gesagt: der ihre flüchtige Lektüre zum Anlaß nahm, »den Deutschen« (es gibt ihn tatsächlich, wenn man Klaues Begrifflichkeit folgt) als von Natur aus übles Lebewesen erscheinen zu lassen. Da versteht es sich, daß Linke in Deutschland, die gegen herrschende Sitten und Bräuche in ihrem Land opponierten, besonders abgefeimte Bösdeutsche sind. Bei den Waldeck-Festivals, so Klaue, sei »ein deprimierendes Kapitel deutscher Volksmusik geschrieben worden«. Eine »linke Volkskultur« habe man dort erfunden, mit der übles »deutsches Liedgut« dann erst richtig »zu sich selbst gekommen« sei, und diese linke Hervorbringung sei inzwischen »zur Leitkultur avanciert«. Eine »ganze Generation von Sozialkundelehrern« habe im Rahmen der Events im Hunsrück »ihren letzten Schliff erhalten«, linksdeutschkulturell. Wader, Moßmann, Degenhardt, Süverkrüp als völkische Barden mit roter Tünche, die nun in Schule und Medien den Ton angeben? Um seine Deutung der Waldeck- Festivals schlagkräftig zu machen, greift Klaue zu einer handfesten Verleumdung. Der »Verbalradikalismus« der »DKP-Chargen Degenhardt und Süverkrüp«, so schreibt er, habe »nicht wissen gemocht, daß es so etwas wie Konzentrationslager gegeben hat«. Die Waldeck-Festivals als Treffpunkt von Holocaustleugnern? Klaue, beruflich als Wissenschaftler beschäftigt, hat sich nicht die Mühe gemacht, die Festival-Auftritte zu studieren. Ernst Jünger war dort weder physisch noch metaphysisch anwesend. Klaue findet es nicht der Erwähnung wert (oder weiß es gar nicht), daß zu den Mitwirkenden Nazi-Verfolgte wie Fasia Jansen, Alex Kulisiewicz, Erich Fried und Lin Jaldati gehörten. Auch sie »Plumpsklopoeten«? Erstaunlich, daß derlei »antideutsches« Stammtischgeschimpfe in einer Zeitung gedruckt wurde, die sich auf die Vorläuferschaft antifaschistischer Blätter wie des VVN-Organs Die Tat bezieht. Die Erinnerung an NS-Staatsverbrechen als eigenes Anliegen zu präsentieren, um damit wahrheitswidrig linke Zeitgenossen anzuprangern, die einem »antideutschen« Anforderungsprofil für Linke nicht entsprechen – das verhöhnt die Nazi-Opfer. Jünger’scher Zynismus.
Die fiktive Kommune V»Willkommen bei den Sexual-Demokraten«, begrüßt Wolfi, ein Mitglied der fiktiven Kommune V, den Neuzugang Stefan Heyer, den die Leser gleich als Andreas Baader erkannt haben. Heyer nimmt, was sich ihm bietet, und es dauert nicht lange, bis sich drei junge Frauen aus der Kommune zufällig beim Frauenarzt treffen, weil sie sich alle bei Heyer angesteckt haben. Gern würde er die Hauptrolle spielen, doch der wahre Stratege in der Berliner Wohngemeinschaft ist Bodo, der Polizeispitzel, der auf den bewaffneten Kampf orientiert, um die Linken zu desavouieren. Was André Müller in seinem vor über dreißig Jahren geschriebenen, jüngst erschienenen Roman »Am Rubikon« erzählt, ist realistischer als alles, was in den vergangenen Wochen auf vielen Zeitungsseiten über »Die 68er« zu lesen war. Und viel amüsanter. André Müller sen.: »Am Rubikon«, Verlag André Thiele, 304 Seiten, 14.90 €
Unbestechlicher BlickEs ist nicht der böse Blick, aber ein unbestechlicher, mit dem Kerstin Hensel auf mehr als ein halbes Jahrhundert Dorfgeschichten sieht. Da wird Dummheit nicht mit schlechten sozialen Bedingungen entschuldigt, das Interesse an der Heilung Kranker nicht mit Nächstenliebe, sondern einem kühlen Forscherdrang begründet und schöne ländliche Landschaft gleich gar nicht als Idylle dargestellt. Was Kerstin Hensel da an Landleben erzählt, gerät dank dieses Blickes leicht zur Groteske. Lachen ist erlaubt, kann aber im Hals stecken bleiben. Gunters Mutter Rosie Konarske will eigentlich nur geliebt werden und erhofft sich die Zuneigung von den Falschen. Gunter strebt um jeden Preis nach Forscherruhm, möglicherweise in Form des Nobelpreises, und seine schöne, dumme Frau Adele träumt seit ihrer Kindheit, eine Prinzessin zu sein. Kein Wunsch findet die erhoffte Erfüllung, auch wenn Gunters Forschung großartige Erfolge hat und Adele ihr Schloß bekommt. So ist halt das Leben. Kerstin Hensel erzählt von den Absurditäten, die seit Kriegsende bis heute in Lärchenau, einem kleinen brandenburgischen Dorf, passiert sind, und eben dieser unbestechliche Blick macht aus dem normalen Alltag eines Dorfes Absurdistan und aus unseren Zeitgenossen ein Panoptikum. Was an dem alten Doktor, Gunters Vater, bei allen Macken noch liebenswert war, fehlt den Nachgeborenen mehr und mehr. Oder war der Doktor vielleicht schon damals nur eine Einzelerscheinung? Kerstin Hensel: »Lärchenau«, Roman. Luchterhand Verlag, 448 Seiten, 19,95 €
Press-KohlÜber einer Meldung der Nachrichten-Agentur Agence France Presse (AFP) glaubte ich die Titelzeile zu sehen: »Finnen erobern Estland«. Meine Frau putzte mir die Brille, und ich las: »Alkohol-Touristen erobern Estland. Tausende Finnen haben die Gelegenheit des EU-Beitritts genutzt, um sich im Nachbarland billig mit Bier und Wodka einzudecken. Finnischer Wodka etwa ist in der estnischen Hauptstadt Tallinn für rund zehn Euro pro Literflasche zu haben und kostet damit nur halb so viel wie im Herkunftsland. Zahllose Finnen reisen und auf speziellen Charter-Trips nach Estland.« Man wußte schon lange, wie eng die Europäische Union ganze Völker verbinden werde. »Um den drastisch ansteigenden Tourismus bewältigen zu können, haben fast alle Fährverbindungen ihre Kapazitäten deutlich aufgestockt und können täglich mehr als 20.000 Menschen zwischen den Hauptstädten hin und her befördern. Schon früher besuchten Millionen Finnen den kleinen Nachbarstaat«, betranken sich auf See und kehrten schräg nach Suomi zurück. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtete: »Ein Finne ist am frühen Morgen von Bord des Fährschiffs »Silja Serenade« gefallen und 20 Minuten in der Ostsee geschwommen, um dann seine Reise auf der nächsten Fähre »Mariella« fortzusetzen. Der Kapitän hatte den Mann vor der finnischen Küste geborgen und meldete, dessen Zustand sei so gut, daß man den geübten Schwimmer zu seinem Reiseziel mitnehmen könne.« Mit ein bißchen Schnaps im Glase bleibst gesund du wie ein Hase (Ugrisches Sprichwort). Wie die Finnen, so die Bienen. »US-Forscher fanden heraus«, berichtete eine Berliner Zeitung, daß alkoholisierte Bienen sich ähnlich verhalten wie betrunkene Menschen: Sie können ihre Beine nicht mehr koordinieren, so daß sie schließlich auf dem Rücken liegen bleiben.« Man bedenke, daß Bienen mehr Beine haben als Menschen. Da ist die Koordination komplizierter.
Erschienen in Ossietzky 14/2008 |
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