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Theaterbrief aus München
Jochanan Trilse-Finkelstein
Hört und liest man von den Bayern aus ihrem Freistaat, wollen sie stets etwas Besonderes sein oder auch haben, neuerdings sogar eine »Sondererbschaftszone«.
Schaut man sich ihr Theater an, besonders das Münchener, ist es doch eher das übliche, und das ganz international in Stoffen, Themen, Autoren. Da diese Stadt ihr wichtigstes Theater auf den beiden Hauptbühnen von Residenz und Kammer an der Maximilianstraße und am Max-Joseph-Platz spielt, kann der Reisende es schnell überschauen. Womit freilich nichts gegen Volkstheater, Isartheater, zahlreiche Freie Gruppen weiter draußen gesagt sei. Diesmal hatte ich nur acht Tage und blieb in der Mitten.
Kammerspiele und Residenztheater haben die alten Griechen, Shakespeare, Molière wie auch das Modische, Gängige im Repertoire: Sarah Kane, die früh Gestorbene, und Yasmina Reza, derzeit meistgespielte Autorin überhaupt. Vor Jahren waren es Kroetz, von dem noch »Heimarbeit« im Marstall der Residenz gezeigt wird, Botho Strauß und Peter Turrini, dessen »Rattenjagd«(Rozznjogd) über ein Aussteigerpaar, das auf einem Müllplatz getötet wird, ebenfalls im Marstall zu sehen ist – in einer mäßigen Aufführung, die die Frage nahelegt, ob das 40 Jahre alte Stück noch tragfähig ist. Immerhin: In der Residenz angekommen ist Rezas »Der Gott des Gemetzels«, 2006 in Zürich uraufgeführt durch Jürgen Gosch, hier nun inszeniert vom Hausherrn Dieter Dorn mit exzellenten Schauspielern wie Sibylle Canonica, Sunnyi Melles , Michael von der Au und Stefan Hunstein. Die geben der Blaßmarke mit Gefälligkeitsanstrich noch Konturen. Aus der Prügelei zweier Elfjähriger entwickelt sich ein Ehe- und Familienstreit, ein Schlachtfeld, das in einen »totalen Zivilisationsbruch« (so steht es im Programmheft, dem ich zustimme) umkippt.
Sicher, das ist zeitgenössisch – in seinem Krisenbild und seiner Gewaltpraxis. Kommt vor, allzu häufig. Doch auf der Bühne ist es längst totgespielt, schon seit Ibsen und Strindberg und dann noch Albee, Williams, Audiberti, auch Martin Walser, als der noch eine »Zimmerschlacht« schreiben konnte. Nun mag man es kaum mehr sehen, aber das »Gemetzel« läuft in seiner Plattheit inzwischen auch im Berliner Ensemble.
Daß es da auch noch um gewaltige Geschäfte geht, macht den Konflikt größer, kaum die Inszenierung. Poesie kommt durch die Tulpen auf die Bühne, Metapher für Vanitas, Leere, Prahlerei mit äußerem Blendschein. Die weißen Tulpen werden im Gerangel des häuslichen Schlachtens zerstört. Keine Blüte diesem Theater!
Die »Medea« des Euripides sehen wir im Original, übertragen von Peter Krumme, inszeniert von Tina Lanik (Residenz), und als »Mamma Medea« von Tom Lanoye, inszeniert von Stephan Kimmig (Kammerspiele). Zumindest bei Euripides findet man im Konflikt zwischen Jason und Medea den eines Zeitalters, kein Küchen- oder Wohn-Schlafzimmer-Gezänk. Doch hier hat sich die Regie alle Mühe gegeben, das Stück zu verkleinern. Stephanie Leue als zartem Frauchen in Unterwäsche war kein Raum für das Ausspielen ungeheuerlicher Konflikte gegeben. Sehr brav. Sandra Hüller in der modernen Variante ist auch nicht stärker. Und erst die Männer: brave Kerlchen von nebenan aus der Eckkneipe in Shirts, Lederjacken, grauem Anzug. Alle bewegen sich plump. Unsere Theatermacher vergessen, daß die Helden der antiken Tragödie aus Götter- oder Königs-Geschlechtern stammten, Könige waren. Wenn man nicht weiß, wie Götter sich benahmen, na schön! Sie waren auch bloß Spiegelbilder von Herrschaft. Aber die Dramen spielten sich eben in Palästen ab und nicht im Rinnstein oder in der Mülltonne.
Wenn unseren Bühnen sonst nichts mehr einfällt, dramatisieren sie Romane. In der Berichtszeit sah ich gleich zwei derartige Stücke: »Schnee« nach Orhan Pamuk (Übertragung und Fassung von Ch. K. Neumann, Lares-O. Walburg und Matte Jelden) und »Hiob. Roman eines einfachen Mannes« nach Joseph Roth von Koen Tachelet, beide in den Kammerspielen. Erstklassige Werke. Aber auf der Bühne? Immerhin: Soziale Probleme der Türkei, besonders der Konflikt zwischen Laizismus und religiösem Fundamentalismus, kamen über die Rampe. Die schwerste Rolle hatte wohl Hans Kremer als Sunay Zaim – nicht, weil er mit einer Kalaschnikow schießen, sondern den Konflikt in sich selber austragen mußte. »Hiob«, inszeniert von Johan Simons, erzählt die Geschichte des Mendel Singer, des einst altfrommen Juden, der in Zorn auf seinen Gott gerät, doch in einer Art weltlich-freieren Religiosität weiterlebt. Nicht Absage, sondern Erneuerung! André Jung als Mendel und Hildegard Schmahl als Deborah: reife Darsteller in bewährter Solidität! Warum aber eine Frau, Sylvana Krappatsch, als Mendels Sohn? Das hat mich nicht recht überzeugt. Glänzend dagegen der Karussell-Einfall des Bühnenbildners Bert Neumann.
Zum Abschluß ein Gastspiel des Burgtheaters Wien mit einem selten gespielten Nestroy: »Höllenangst«, ein Stück aus der Teufelspakt-Historie, das so nur aus einer katholischen Kultur kommen kann, allerdings einer durch die Aufklärung gegangenen. Aus dem Stück mit Goethe-Bezügen wird eine Posse, aus dem Teufelspakt dessen Umkehr, eine Parodie, und da der Teufel hier im Kapital steckt, wird es eine antikapitalistische Satire. Nestroy auf Heines Höhe. Eigentlich zum Totlachen, dieses Höllengelächter. Aber nicht in dieser Inszenierung von Martin Kusej. Humor, Satire – eine verteufelt ernste Angelegenheit! Etliche Zuschauer rund um mich waren auf das »große Burgtheater« eingerichtet und enttäuscht. Natürlich war das kein alter Stil mit großer Geste, aber auch kein Volkstheater. Hier war alles halb und halb. Gute Schauspieler wie Martin Schwav oder Barbara Petritsch kamen kaum zum Zuge, und Nicholas Ofczarek als Hauptfigur Wendelin blieb ohne jede Durchschlagskraft. Das war weder Hölle noch Angst noch gar Höllengelächter. Schade!
Erschienen in Ossietzky 14/2008
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