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Die westlichen Ministerpräsidenten wurden mit den »Frankfurter Dokumenten« vom 1. Juli 1948 beauftragt, eine Verfassung zu entwerfen. Die Besatzungsmächte stießen jedoch auf den Widerstand der Mehrheit der Ministerpräsidenten, die auf der Fortsetzung der Vierzonenkonferenzen bestanden, den neuen Besatzungsstatus zurückwiesen und die Bildung eines westdeutschen Separatstaates ablehnten. Dennoch sahen sich die westdeutschen Ministerpräsidenten – auf Druck der Westalliierten – gezwungen, die Vorarbeiten für den Parlamentarischen Rat zu beginnen und ab September 1948 auf der Insel Herrenchiemsee in mehrmonatigen Beratungen das »Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland« zu entwerfen. Am 8. Mai 1949 verabschiedete der Parlamentarische Rat in Bonn dieses Grundgesetz und besiegelte damit die Teilung Deutschlands. Einer der vielen in der Versenkung verschwundenen Vorentwürfe begann folgendermaßen: »Die nationalsozialistische Zwingherrschaft hat das deutsche Volk seiner Freiheit beraubt; Krieg und Gewalt haben die Menschheit in Not und Elend gestürzt. Das staatliche Gefüge der in Weimar geschaffenen Republik wurde zerstört. Dem deutschen Volk aber ist das unverzichtbare Recht auf freie Gestaltung seines nationalen Lebens geblieben.« Die mit diesen Sätzen beginnende Präambel, die im Oktober 1948 in erster Lesung angenommen wurde, verschwand schnell in den Schubladen und wurde auch nach der Wende von 1989 nicht wiederentdeckt. Die Ausrottung des Nazismus erschien nach 1945 zunächst als die Hauptaufgabe. Selbstbesinnung und Aufklärung prägten in der Vierzonenzeit die Köpfe und Herzen vieler Menschen in allen Teilen Deutschlands. Aber bald darauf, noch vor der Konstituierung zweier Staaten auf deutschem Boden, erhielten vornehmlich in den Westzonen die Gruppen Zulauf, welche die Verwicklung der Eliten in das NS-Terrorsystem leugneten und die eigene Vergangenheit entsorgten. Wie wirkungsvoll nunmehr, nach 1989, führende Vertreter von Politik und Geistesleben das Ende der Nachkriegsordnung zur Entsorgung der deutschen Vergangenheit nutzen, ist unter anderem daran abzulesen, daß in der Präambel des »Einigungsvertrages« jeder konkrete Hinweis auf die gesamtdeutsche Verantwortung für die Opfer des Nationalsozialismus fehlt, der noch den Entwurf von 1948 geprägt hatte. Fast ungehört verhallte 1990 die Klage des damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Heinz Galinski, für die politische Kultur in Deutschland sei es bezeichnend, daß das deutsche Schulderbe unerwähnt geblieben sei. Schlimmer noch: Die Debatte über den Umgang mit der stalinistischen Vergangenheit in der ehemaligen DDR relativierte oder verdrängte die nationalsozialistischen Verbrechen. Und Teile der Linken sahen in der »Entstasifizierung« die Möglichkeit, das zu verhindern, was nach 1945 in der alten BRD über die gescheiterte Entnazifizierung zur Weißwäscherei geführt und aus Westdeutschland eine »Mitläuferfabrik« (Lutz Niethammer) gemacht hatte. So ist es bezeichnend, daß der vom Kulturstaatsminister Neumann im Juli 2007 vorgelegte Entwurf der Fortschreibung des 1999 erstmals verabschiedeten Gedenkstättenkonzeptes von einem Verständnis der Diktaturen des 20 Jahrhundert ausgeht, das den DDR-Staatssozialismus mit dem Terror des NS-Systems gleichsetzt. Zwar sah sich der Minister Ende Juni 2008, nach scharfer Kritik von Sachverständigen, gezwungen, die im ersten Entwurf »über das historische Unrecht hinaus monströs überdehnte DDR-Schuld« zurückzunehmen und zu versichern: »Es ist unverzichtbar, den Unterschieden zwischen NS-Herrschaft und SED-Diktatur Rechnung zu tragen.« Dennoch bleibt der geplante neue »Geschichtsverbund zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Deutschland« das herausragende Merkmal des neuen Gedenkstättenkonzeptes. Angesichts solcher Entsorgungs-übungen muß es nicht verwundern, das wir auf den gesamtdeutschen Bühnen die Wiederentdeckung eines fast vergessenen Erfolgstückes der Nachkriegszeit erleben: »Wir sind noch einmal davongekommen«. So lautet der deutsche Titel eines der meistgespielten Theaterstücke, mit dem der US-Amerikaner Thornton Wilder schon 1942 das beim Namen nannte, was viele Deutsche nach 1945 empfanden. Der Weg schien vorgezeichnet, der es allzu vielen Tätern und Mitläufern erlaubte, konfliktlos von der Volksgemeinschaft in eine Opfergemeinschaft zu wechseln und sich in der bundesrepublikanischen »Wiederaufbaugemeinschaft« spurlos zu verflüchtigen.
Erschienen in Ossietzky 14/2008 |
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