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Was er dabei im letzten halben Jahr aus dem Arkanum der Staatstätigkeit erfuhr, ist offensichtlich Alltag im bald siebenjährigen Kampf gegen den realen und den eingebildeten Terror. Abdel Halim Khafagy, ägyptischer Staatsbürger, lebte schon über 20 Jahre in München und betrieb dort einen kleinen Verlag für islamische Schriften, als er Ende September auf einer Geschäftsreise 2001 zusammen mit seinem Mitarbeiter im Hotel »Hollywood« in Sarajevo gekidnappt wurde. Schwer bewaffnete Spezialkräfte der UN-Truppen in Bosnien-Herzegowina (SFOR) drangen morgens um drei in sein Hotelzimmer ein, schlugen mit Gewehrkolben auf den wehrlosen, damals 69-Jährigen ein und verletzten ihn so schwer am Kopf, daß die Wunde mit mehr als zwanzig Stichen genäht werden mußte. Zu einem Paket verschnürt wurden Khafagy und sein Mitarbeiter Al Jamal sodann in einem Hubschrauber in das US-amerikanische Hauptquartier Camp Eagle Base in Tuzla gebracht und dort unter Folterbedingungen über eine Woche lang vernommen. Die Aktion der Amerikaner galt offenbar Khafagys Mitarbeiter Al Jamal, der anfänglich für Abu Zubaiida gehalten wurde, damals die Nummer Drei der Al-Kaida. Als sich der Irrtum nach zwei Tagen aufgeklärt hatte, ließ man die beiden jedoch nicht frei. Bei Khafagy, den man in den Umkreis der Muslimbruderschaft einordnete, hatte man verdächtige Telefonnummern gefunden. Deshalb stufte man die beiden nun als gefährlich für die Sicherheit der SFOR ein. Während ihrer Inhaftierung waren Kräfte des Nachrichtendienstes der Bundeswehr (GENIC) und des Bundeskriminalamtes (BKA) in Sarajevo mit der kriminalistischen Auswertung der Habseligkeiten der beiden befaßt. In Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt sollten sie die Amerikaner bei der Auswertung der gefundenen Geschäftsunterlagen unterstützen und dadurch eine gezielte Vernehmung ermöglichen. Angeordnet worden war die »Dienstreise« der Beamten vom Vizepräsidenten des BKA. Bereits am 2. Oktober 2001 schilderten die BKA-Beamten in ihrem täglichen Bericht an das Mutterhaus die Umstände der Inhaftierung und Befragung Khafagys. Sie waren beauftragt, Khafagy in der Haft im Camp Eagle Base in Tuzla zu vernehmen, sahen davon aber ab, nachdem ihnen der Leiter des amerikanischen Vernehmungsteams nicht ohne Stolz die Haft- und Vernehmungssituation auf der Eagle Base vorgeführt hatte: Unter tagelangem Schlafentzug wurden Khafagy und Al Jamal in fensterlosen Zellen festgehalten, damit sie das Zeitgefühl verloren. Vernommen wurden sie von mehreren Personen, die sich im Rücken der Gefangenen aufhielten. Den BKA-Beamten ist zwar zugute zu halten, daß sie Khafagy letztlich nicht vernommen haben. Das BKA hatte aber auch keine Bedenken, die von den Amerikanern angebotenen Verhörprotokolle anzunehmen. Bereitwillig griff das Amt auf sie zurück, um sie im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren zu den Attentaten vom 11. September zu verwenden. Es gibt starke Indizien, daß Angehörige des deutschen SFOR-Kontingents und deutscher Nachrichtendienste auch an der Festnahme selbst und den ersten Vernehmungen beteiligt waren. Dem Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr wurde in einem Vortrag anläßlich seines Truppenbesuchs in Sarajevo derart detailliert über die Vorbereitungen und den Ablauf der »Operation Hollywood« Bericht erstattet, daß sich der Eindruck aufdrängt, deutsche Stellen seien von Anfang an involviert gewesen. Doch handfeste Beweise fehlen bis jetzt. Nach über einer Woche in amerikanischer Folterhaft wurde Khafagy – da offensichtlich ein Fehlgriff – schließlich nach Ägypten abgeschoben, obwohl ihm, der bereits 16 Jahre seines Lebens in Ägypten inhaftiert gewesen war, dort erneute Haft drohte. Diplomatische Bemühungen, seine Rückkehr nach Deutschland zu ermöglichen, waren erwogen worden, unterblieben aber. Zu seinem Glück konnte er nach einer Woche nach München zurückkehren, aber noch heute spürt er die Folgen seiner Fesselung. Dennoch wurden erst Jahre später Konsequenzen gezogen, nachdem Murat Kurnaz und Mohammed Haydar Zammar, beide ebenfalls von den USA gekidnappt, unter ähnlichen Bedingungen in hilfloser Lage vernommen worden waren. Leitlinien für deutsche Beamte, die 2006 erlassen wurden, verbieten die Nutzung erfolterter Aussagen. Die drohende Einsetzung eines Untersuchungsausschusses mag seinerzeit für diese Entscheidung hilfreich gewesen sein. Auf jeden Fall wußten deutsche Regierungskreise bereits vor der Ausreise des deutschen Staatsangehörigen Zammar Mitte Oktober 2001 und seiner Verschleppung von Marokko nach Syrien, was Terrorverdächtigen aus Deutschland durch die Amerikaner droht, wenn sie die Bundesrepublik verlassen. Die Verschleppungen Khafagys und Zammars waren ebenso wie Kurnaz’ Entführung eindeutig rechtswidrige Aktionen der USA – Verbrechen im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus. Sie wurden bekannt als »extraordinary renditions« und bereits Ende 2001 in der amerikanischen Presse erwähnt. Die Bundesregierung will davon bis 2005 nichts gewußt haben, obwohl im November 2002 auch der Stern eine ausführliche Fotoreportage über die Rendition-Praxis veröffentlichte. Und obwohl die Bundesregierung über Geheimdienste verfügt, die sich ihrer guten Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten der USA gerade in der Zeit nach dem 11. 9. 2001 rühmten, folgte sie offenbar der Devise »Nichts hören, nichts sehen, nichts erinnern«. Erst als 2005 die amerikanische Verschleppungspolitik nicht mehr zu leugnen war, mußte sich die Bundesregierung etwas einfallen lassen. Denn die massiven Verstöße gegen die Menschenrechte und das Völkerrecht, die diese Rendition-Flüge zum Skandal machten, und die Tatsache, daß der US-Geheimdienst CIA ohne Erlaubnis den deutschen Luftraum für Gefangenentransporte benutzen konnte, verlangten eine Erklärung. Außenminister Steinmeier eröffnete dem Untersuchungsausschuß jetzt, er habe seine Kollegin Condoleezza Rice auf die problematische Praxis angesprochen und keinen Grund gesehen, sich nicht auf ihre Versicherung zu verlassen, daß die USA nach Gesetz und Recht handelten und auch die Gesetze und die Souveränität ihrer Partner achteten. Alles Lügen, was auch dem naivsten Anfänger in der Außenpolitik von seinen Mitarbeitern im Auswärtigen Amt hätte klar gemacht werden müssen. Dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages hatte die Bundesregierung 2006 abschließend mitgeteilt, sie sehe »gegenwärtig keinen Anlaß, Änderungen der bestehenden Rechtslage oder der Erlaubnisverfahren anzustreben. Sollten Mißbräuche des erlaubnisfreien Einflugs festgestellt werden, ist die Bundesregierung in der Lage, diese kurzfristig auf der Basis der geltenden Vorschriften abzustellen.« Die Bundesregierung hat die USA nie darauf hingewiesen, daß Flüge ziviler Maschinen über deutsches Hoheitsgebiet im Auftrag der CIA als Staatsflüge einer Erlaubnis bedürfen. Statt sich ein Vorbild an Österreich zu nehmen, das sich gegen solche Flüge erfolgreich zur Wehr gesetzt hat, hält sie weiterhin an ihrer abwegigen Rechtsauffassung fest, es handele sich dabei um nichtgewerbliche zivile Flüge, die keiner Erlaubnis bedürften. Auch die Dauererlaubnis des Bundesverteidigungsministeriums für Militärflüge der US-Truppen wurde nicht widerrufen, obwohl sie eindeutig mißbraucht wird, wenn die amerikanischen Streitkräfte Terrorverdächtige nach Guantanamo verbringen. Bei den Bemühungen um Aufklärung das Vorwurfs, Deutschland sei Drehkreuz amerikanischer Verschleppungen, ließ die Regierung die vollkommen überforderte Staatsanwaltschaft Zweibrücken allein. Das Bundesamt für Verfassungsschutz, gesetzlich verpflichtet, »sicherheitsgefährdende […] Tätigkeiten […] für eine fremde Macht« im Rahmen der Spionageabwehr – es handelte sich immerhin um Aktivitäten der CIA – zu bekämpfen, blieb untätig. Überwachung der Telefonanschlüsse von US-Militärbasen in Deutschland – ein bewährtes und exzessiv genutztes Mittel der innerstaatlichen Feindaufklärung – stand nicht zur Diskussion. Die Geheimdienstpräsidenten Hanning und Fromm bekundeten vielmehr, daß man die Aktivitäten der CIA in Deutschland generell nicht beobachte. Und Innenminister Schäuble versicherte dem Untersuchungsausschuß, dies sei eine »bewährte Staatspraxis«, für deren Änderung er keinerlei Veranlassung sehe. Unangekündigte Kontrollen in den Coleman Barracks, dem zentralen Militärgefängnis der europäischen US-Streitkräfte in Mannheim, das verdächtig ist, als Foltergefängnis für Terrorverdächtige genutzt worden zu sein, unterblieben ebenfalls. Der Bundesregierung war allerdings durchaus bewußt, daß es zu den Aufgaben der deutschen Behörden gehört, menschenrechtswidrige Zustände auch in US-amerikanischen Einrichtungen auf deutschem Boden zu unterbinden. Ein Ermittlungsverfahren wurde vom Generalbundesanwalt eingestellt, weil der Informant, ein amerikanischer Soldat, nicht ausfindig gemacht werden konnte. Er war zwischenzeitlich laut Zeugenaussagen vom US-Militär verhaftet und in die USA verbracht worden. Gesetzgeberische Konsequenzen wurden nicht gezogen, sind nicht einmal geplant. Das Luftsicherheitsgesetz schützt ausschließlich vor Gefahren, die durch Terroranschläge aus der Luft drohen. An Gefahren, die durch den Einsatz rechtswidriger Mittel im »Kampf gegen den Terror« drohen, dachte offenbar niemand. Bis heute kam es nicht einmal zu einer Ergänzung des Luftverkehrsgesetzes, um »zivile Staatsflüge« erlaubnispflichtig zu machen. Ebenso wenig existiert im deutschen Strafrecht ein Tatbestand wie in der Schweiz, der das völkerrechtwidrige Eindringen in nationales Hoheitsgebiet unter Strafe stellt. Forderungen aus dem Untersuchungsausschuß, die gesetzlichen Versäumnisse jetzt nachzuholen, vertröstete Innenminister Schäuble mit dem Hinweis, daß nach Abschluß der Tätigkeit des Untersuchungsausschusses dessen Bericht geprüft werde. Dann ist Wahlkampfzeit. Offensichtlich fehlt der politische Wille, effektive gesetzliche Vorkehrungen und strafrechtliche Sanktionen gegen völker- und menschenrechtswidrige Verletzungen des deutschen Luftraumes einzuführen. Die reibungslose Kooperation mit dem amerikanischen Bündnispartner scheint wichtiger zu sein als die Verhinderung schwerster Menschenrechtsverstöße durch »extraordinary renditions«, die nach den Absichten der US-Administration auch in Zukunft fortgeführt werden sollen. Ihr Pressesprecher Tony Snow verkündete im Februar 2007: »Rendition ist nicht etwas, was mit dieser Regierung begann, und ich bin sicher, sie wird sicherlich auch in der Zukunft praktiziert werden.« Anläßlich des bevorstehenden Besuches des Präsidentschaftskandidaten Obama in Deutschland Ende Juli habe ich ihm die Frage gesandt, ob diese Auskunft auch für ihn gelte, falls er die Präsidentschaftswahl gewinnt.
Erschienen in Ossietzky 14/2008 |
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