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Damals gab ich als parteiloser PDS-Bundestagstagsabgeordneter folgende Erklärung an die Presse: »Am Freitag, dem 15.11.1996, eröffneten im Bundestags-Foyer die Präsidentin des Deutschen Bundestages und der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen die Ausstellung ›Staatssicherheit – Garant der SED-Diktatur‹. Ich war wie jeder MdB dazu eingeladen. Um 12.30 Uhr ergab sich dabei folgender kurzer Dialog: ›Guten Tag, Herr Gauck, mein Name ist Zwerenz.‹ – ›Ich weiß. Ich kenne Sie doch, Herr Zwerenz.‹ – ›Von allen heute hier Anwesenden habe ich wohl die längste Stasi-Akte. Sie reicht von 1956 bis 1989.‹ – ›Aber das weiß ich doch, Herr Zwerenz.‹ – ›Und ich weiß, daß Sie das wissen, Herr Gauck.‹ – ›Deshalb verwundern mich doch manche Ihrer Äußerungen.‹ – ›Darüber sollten wir mal sprechen, Herr Gauck.‹ – ›Ja, darüber sollten wir wirklich mal sprechen, Herr Zwerenz.‹ Überdies würde ich mit Herrn Gauck auch gern über die Wehrmachtsausstellung öffentlich reden, denn in der Abfolge von Ursache und Wirkung sowie der Analyse von Nazismus und Antinazismus sind gewiß einige Klarstellungen notwendig. Beide Ausstellungen, dazu noch an solchem Ort, können nur der Aufklärung und Information dienen, woran bei den Volksvertretern gewiß allseits Interesse besteht. Unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit und ganz der Wahrheit und ihrem Gewissen verpflichtet.« Das ist meine Bonner Aufforderung aus dem Jahr 1996, auf die Joachim Gauck bis heute nicht reagierte. Dabei hat er doch inzwischen Zeit genug. Der Vorsitzende des Vereins »Gegen das Vergessen« wird doch nicht die Ursachen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert vergessen haben? Da er und seine Nachfolgerin in der Behörde so gern von den »zwei deutschen Diktaturen« sprechen, bitte ich sie als leidgeprüfter Kenner beider Diktaturen höflich um eine öffentliche Diskussion über diese Fragen. Mit Frau Birthler hatte ich schon mal einen interessanten Dialog in Leipzig über den 17. Juni 1953. Ich schlage einen Trialog vor mit dem Titel »Parallele und Differenz zwischen Auschwitz und Bautzen«. Es ist ein deutsches Thema wie kein anderes. Als ich 1959 und 1961 in meinen bei Kiepenheuer und Witsch erscheinenden Büchern an die in Bautzen einsitzenden Freunde und Genossen Harich, Janka, Just, Zöger, Loest erinnerte – hier ist dann noch der entführte Heinz Brandt zu nennen –, wollte das im Westen niemand wissen. Ich war damals dreißig Jahre zu früh dran. Deutsche Intellektuelle sind auf Verspätung und Aufarbeitung abonniert. Das hat sich in der Folgezeit etwas geändert. Jetzt gerät Bautzen so in den medialen Focus, daß Auschwitz dahinter zum Klischee erstarrt, weil die Rede von den »zwei Diktaturen« die Differenzen minimalisiert, um die Parallele maximalisieren zu können. Wenn Semantik die Lehre von den Zeichen und Symbolen mit ihren Beziehungen zur Realität im Denken ist, dann befördert die Floskel von den »zwei Diktaturen« einen ausgemachten realitätsverdunkelnden Schwindel statt Logik der Aufklärung. Zur notwendigen Lektüre empfehle ich »Ein Traum, der nicht entführbar ist«, das Lebensbuch unseres inzwischen leider verstorbenen Freundes Heinz Brandt. Er mußte sowohl Auschwitz wie Bautzen kennenlernen und war imstande, über Parallele wie Differenz Auskunft zu erteilen. Jedenfalls gab es in seinem Leben und Denken weder einen Trend zur Hitlerschen Marxistenverfolgung noch zum juristisch bemäntelten Antikommunismus der Adenauer-Zeit. Schon in der Sprache vermied er jede Spur dieser oder jener kriegerischen Hetzjagd. Seine jüdisch-kommunistisch-exkommunistische Souveränität der Reflexionsebene sucht bis heute ihresgleichen. Beim stern-Interview sieht man Joachim Gaucks Foto, aufgenommen »im Innenhof des Bendlerblocks zu Berlin, wo 1944 Graf von Stauffenberg und drei weitere Offiziere hingerichtet wurden. Was kann das bedeuten? Was soll es uns lehren? Der tiefenpsychologisch beschlagene FAZ-Autor Claudius Seidl schrieb neulich, Tom Cruises Filmfirma United Artists nähere per digitaler Bearbeitung Stauffenbergs Originalbild dem Schauspieler derart an, daß die fotofigürliche Ähnlichkeit zwischen dem Hitler-Attentäter und seinem Darsteller faktische Identität herstelle. Damit wird auch erklärlich, weshalb FAZ-Herausgeber Schirrmacher auf einer Bambi-Siegesfeier Tom Cruise für seinen Mut, den Grafen Stauffenberg zu verkörpern, emphatisch lobte. Die neobourgeoise, postkulturelle Kunst besteht zuvörderst im »Als ob«.
Erschienen in Ossietzky 13/2008 |
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