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Mai dieses Jahres, mit dem der einstigen rot-grünen Bundesregierung höchstrichterlich bescheinigt wurde, mit der von ihr im Vorfeld des Irak-Krieges 2003 unter Mißachtung der parlamentarischen Beteiligungsrechte angeordneten Entsendung deutscher Luftwaffensoldaten an Bord von AWACS-Luftraumüberwachungsflugzeugen der NATO in die Türkei gegen das Grundgesetz verstoßen zu haben, war für den Bundeswehrmajor Florian Pfaff eine späte Genugtuung: Er durfte sich in seiner Gehorsamsverweigerung bestätigt fühlen. Im März 2003 hatte er als einziger deutscher Soldat den Mut gehabt, sich Befehlen zu widersetzen, die ihn wissentlich an dem von den USA und Großbritannien angezettelten Angriffskrieg gegen den Irak beteiligt hätten. Major Pfaff hatte damals den Auftrag, an der Entwicklung eines Software-Programms zu arbeiten, das direkt oder indirekt zur logistischen und informationstechnischen Unterstützung des Irak-Krieges hätte Verwendung finden können – jedenfalls konnten weder er selbst noch sein von ihm dahingehend befragter Vorgesetzter diese Möglichkeit ausschließen. Nachdem die Kampfhandlungen im Irak begonnen hatten, erklärte der Major seinen Vorgesetzten klipp und klar, er werde keinerlei Befehlen nachkommen, durch deren Ausführung er sich als Softwarespezialist der Mitwirkung »am Morden im Irak« – so lautete seine Formulierung vor laufender Kamera – schuldig machen würde. Als loyal dienender Stabsoffizier fühlte Pfaff sich nämlich an seinen Diensteid gebunden, mit dem er geschworen hatte, »das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen«. Nie und nimmer konnte er daher den ihm zugemuteten Völkerrechts- und Verfassungsbruch mit seinen Gewissensprinzipien vereinbaren. Mit seinem Handeln folgte Florian Pfaff einer Praxis couragierter Insubordination, die – neben brutal erzwungenem Kadavergehorsam – gleichfalls tief in der altpreußischen Militärtradition verwurzelt ist. Bezeichnend dafür sind die Worte, mit denen anno 1860 Prinz Friedrich Karl von Preußen einen seiner Majore anpfiff: »Herr, dazu hat Sie der König zum Stabsoffizier gemacht, damit Sie wissen, wann Sie nicht zu gehorchen haben.« Ob der katholisch-bayerische Bundeswehrmajor Florian Pfaff bei seiner Gehorsamsverweigerung diese preußisch-protestantische Devise im Sinne hatte, mag dahinstehen. Fest steht, daß er genau wußte, wann er nicht zu gehorchen hatte. Damit ging er ein hohes Risiko ein. Denn einer der schwersten Vorwürfe, die gegen einen Soldaten erhoben werden können, lautet: Gehorsamsverweigerung – immerhin eine mit Gefängnishaft bedrohte Wehrstraftat. Umgehend wurde gegen den obstinaten Major im April 2003 ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet, in dessen Verlauf er am 9. Februar 2004 durch die 1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord zum Hauptmann degradiert wurde. Gegen diese erstinstanzliche Entscheidung legten sowohl Anklage als auch Verteidigung Berufung beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein. Am 21. Juni 2005 hob der dort zuständige 2. Wehrdienstsenat das Urteil des Truppendienstgerichts auf, wies die Berufung des Wehrdisziplinaranwalts als unbegründet zurück und sprach den Major Florian Pfaff mit einer durchaus spektakulär zu nennenden Urteilsbegründung in allen Anklagepunkten vollumfänglich frei (BVerwG 2 WD 12.04). Die Richter bescheinigten ihm eine, so wörtlich, »an den Kategorien von ›Gut‹ und ›Böse‹ orientierte Gewissensentscheidung«, die von der »erforderlichen Ernsthaftigkeit, Tiefe und Unabdingbarkeit des für ihn ethisch Gebotenen geprägt« war, »so daß er dagegen nicht ohne ernste Gewissensnot handeln konnte«. Weitere Kernsätze der ausführlichen Urteilsbegründung lauten: »Der Soldat mußte nicht damit rechnen, daß die an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) und damit auch an das geltende Völkerrecht gebundene Regierung der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit einem Krieg, gegen den gravierende völkerrechtliche Bedenken bestehen, militärische Unterstützungsleistungen zugunsten der USA und ihrer Verbündeten beschließen und erbringen würde und daß in diesem Kontext des Irak-Krieges die nicht auszuschließende Möglichkeit bestand, daß er mit seiner konkreten dienstlichen Tätigkeit in solche Unterstützungshandlungen verstrickt würde. ... Auf dieser Grundlage formulierte der Soldat für sich die Schlußfolgerung, er sei ›nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch verpflichtet, nach Kräften passiv und aktiv für die Wiederherstellung des Rechts und eine Beendigung der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der mörderischen Besetzung des Irak durch die USA (und andere) einzutreten‹. Der daraus resultierende Gewissenskonflikt ist in sich schlüssig und damit nachvollziehbar. ... Der Soldat hat hier die ihm erteilten beiden Befehle nicht ausgeführt, die er aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht auszuführen brauchte, weil er aufgrund der Schutzwirkung des Grundrechts der Freiheit des Gewissens (Art. 4 Abs. 1 GG) einen Anspruch darauf hatte, daß ihm durch seine zuständigen Vorgesetzten eine gewissenschonende Handlungsalternative zur Verfügung gestellt wird. ... Sein Verhalten läßt im Übrigen keinerlei Rückschlüsse auf ein mangelhaftes und unzureichendes Pflichtenverständnis oder auf eine fehlende Gesetzes- und Rechtstreue zu.« Mit ihrem glasklar formulierten, konziser Rechtsauslegung folgenden Urteil haben die Leipziger Richter der rot-grünen Bundesregierung, der Bundeswehrführung sowie der US-hörigen NATO-Kamarilla und allen bellizistischen Gernegroßen eine schallende Ohrfeige erteilt. Denn aus ihrer Analyse der Völkerrechtslage leiteten die Leipziger Richter »gravierende völkerrechtliche Bedenken« sowohl gegen den Irak-Krieg selbst als auch gegen die hierfür erbrachten Unterstützungsleistungen durch die Bundesrepublik Deutschland ab. Zwar mochten all jene Beobachter sich vielleicht enttäuscht fühlen, die erhofft hatten, das Bundesverwaltungsgericht würde nicht lediglich Bedenken äußern, sondern den Irak-Krieg ohne Wenn und Aber als völkerrechts- und verfassungswidrig brandmarken und dem Soldaten Pfaff bescheinigen, er wäre zur Gehorsamsverweigerung gemäß Paragraph 11 Soldatengesetz und Paragraph 5 Wehrstrafgesetz verpflichtet gewesen. Zu solcher Enttäuschung bestand indes kein Anlaß. Denn damit hätte das Gericht lediglich die bestehende Rechtslage bestätigt und den Handlungsspielraum von Soldaten zur Gehorsamsverweigerung einzig auf die Fälle beschränkt, wo die Völkerrechtswidrigkeit eines Krieges für jedermann eindeutig erkennbar und unumstritten wäre. Mit ihrer Entscheidung aber erweiterten die Richter den Ermessensspielraum auf all die Fälle, wo auch nur Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer militärischen Intervention bestehen. Wenn in einem solchen Fall künftig ein deutscher Soldat in einen Gewissenskonflikt gerät und ihn ernsthaft und glaubwürdig darlegen kann, braucht er Befehlen nicht zu gehorchen, durch deren Ausführung er in jene Aktionen innerhalb rechtlicher Grauzonen verwickelt würde. Mit dieser Rechtsprechung nahm das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die Legalität bewaffneter Einsätze der Bundeswehr eine Beweislastumkehr vor: Nicht der Soldat muß – gegebenenfalls in einem Gerichtsverfahren – beweisen, daß seine Gehorsamsverweigerung rechtlich geboten war, sondern zuallererst muß die Bundesregierung den von ihr in den Kampf entsandten »Staatsbürgern in Uniform« darlegen, daß der ihnen erteilte Auftrag den Normen des Völkerrechts und des Grundgesetzes entspricht. Aufgrund der Sachlage im Falle Pfaff hatte das Gericht denn auch keine Mühe, die ernsthafte Gewissensnot des Stabsoffiziers nachzuvollziehen und vorbehaltlos anzuerkennen. Kategorisch urteilten die Richter: »Im Konflikt zwischen Gewissen und Rechtspflicht ist die Freiheit des Gewissens ›unverletzlich‹.« Folgerichtig gebührt der in Artikel 4 Absatz 1 Grundgesetz garantierten Gewissensfreiheit absoluter Vorrang – auch vor der Funktionstüchtigkeit und Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Denn, so der 2. Wehrdienstsenat: »Das Grundgesetz normiert (...) eine Bindung der Streitkräfte an die Grundrechte, nicht jedoch eine Bindung der Grundrechte an die Entscheidungen und Bedarfslagen der Streitkräfte.« Und dies gilt nicht nur im Frieden, sondern »selbst im Verteidigungsfall ist die Bindung der Streitkräfte an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) sowie an ›Gesetz und Recht‹ (Art. 20 Abs. 3 GG) gerade nicht aufgehoben«. Der Soldat hat also letztlich die Möglichkeit, im Zweifelsfall den Gehorsam zu verweigern. Für den Stabsoffizier Pfaff wiederum resultierte daraus ein Rechtsanspruch auf Herstellung »praktischer Konkordanz« zwischen der Beachtung seines unveräußerlichen Grundrechts auf Gewissensfreiheit einerseits und den Erfordernissen des militärischen Dienstbetriebes andererseits. Konkret bedeutete dies, daß ihm seine zuständigen Vorgesetzten eine »gewissenschonende Handlungsalternative« einräumen mußten. Folglich durfte der gewissenstreue Major weder degradiert noch gar aus dem Dienstverhältnis entfernt werden, sondern nach seiner Versetzung an das Sanitätsamt der Bundeswehr nach München kann er weiterhin seiner »Pflicht zum treuen Dienen« (Paragraph 7 Soldatengesetz) nachkommen – frei nach der Maxime von Hans Scholl, dem Protagonisten der »Weißen Rose«: »Es lebe die (Gewissens-)Freiheit!« Zugleich erwiesen die Leipziger Richter Immanuel Kants kategorischem Postulat aus dem »Streit der Fakultäten« (1798) Reverenz, das da lautet: »Das Recht muß nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepaßt werden«. Konzise diesem Imperativ folgend konstatierten sie: »Die Streitkräfte sind als Teil der vollziehenden Gewalt ausnahmslos an Recht und Gesetz und insbesondere an die Grundrechte uneingeschränkt gebunden. Davon können sie sich nicht unter Berufung auf Gesichtspunkte der militärischen Zweckmäßigkeit oder Funktionsfähigkeit freistellen.« Eigentlich eine Selbstverständlichkeit im demokratisch verfaßten Rechtsstaat, die ihren Niederschlag folgerichtig im Soldatengesetz findet. Dort steht im Paragraphen 11 (Gehorsam): »Ein Befehl darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde.« Und im Paragraphen 10 (Pflichten des Vorgesetzten) heißt es: »Er darf Befehle ... nur unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts, der Gesetze und der Dienstvorschriften erteilen.« Mit diesem Richterspruch in der Causa Pfaff wurde gewiß einen Markstein zur Sicherung demokratischer Grundrechte für die Staatsbürger in Uniform gesetzt, die alltäglich einem strikt hierarchisch strukturierten militärischen Zwangs-, Disziplin- und Gewaltsystem unterworfen sind. Nicht zuletzt haben die Richter am Bundesverwaltungsgericht zu Leipzig all jenen politischen und juristischen Zuhältern des Völkerrechts, die Justitia für eine Hure, die sich umstandslos jedwedem niedrigen Machtinstinkt dienstbar machen ließe, eines unzweideutig ins Stammbuch geschrieben: Der Primat der Politik gilt lediglich innerhalb der Grenzen von Recht und Gesetz, jenseits davon herrscht der Primat des Gewissens! Wer immer also die Bundeswehr erneut unter Mißachtung des Völkerrechts und unter Bruch der Verfassung in militärische Abenteuer zu entsenden plant, wird sich solch Vorhaben künftig zweimal überlegen müssen. Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.
Erschienen in Ossietzky 13/2008 |
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