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US-Senator Bill Nelson von der Demokratischen Partei aus Florida führt vier Gründe für die Bildung der Flotte an: »die wachsende ökonomische Stärke Brasiliens, die aggressiv feindliche Haltung Venezuelas, den zunehmenden Handelsverkehr durch den Panamakanal und das Alter Fidel Castros«. Der Pariser Figaro wurde noch deutlicher: »Um den stärker werdenden Linksregierungen in ihrem Hinterhof entgegenzutreten, entschieden sich die USA für die erneute Bildung der Vierten Flotte.« Oberbefehlshaber wird Konteradmiral Joseph D. Kernan, dem gleichzeitig auch die Flotte der Südgruppe der US-Streitkräfte unterstellt wird. Von besonderem Interesse ist: Kernan war bisher Chef einer berüchtigten militärischen Einsatztruppe der Marine, der Navy Seals (»Seehunde«), deren Kommandoeinheiten mit Aufklärungs- und Kampfeinsätzen US-Kriege vorbereiten. So berichtet der Miami Herald im Zusammenhang mit der Ernennung Kernans, dessen Spezialeinheiten seien die ersten US-Truppen in Afghanistan gewesen und hätten auch beim Überfall auf den Irak eine »bedeutsame Rolle gespielt«. Die neue schwimmende Interventions- und Invasionsbasis wird aus mindestens elf bis zu mehreren Dutzend mit modernsten Waffen ausgerüsteten Kriegsschiffen bestehen, darunter ein atomgetriebener Flugzeugträger, amphibische Angriffsschiffe mit Hubschrauberstaffeln sowie Unterseeboote. Zusätzlich zu den Besatzungen wird die Flotte mehrere tausend besonders für Landungsunternehmen ausgebildete Marinesoldaten an Bord haben. Die US-Kriegsmarine verfügt über fast 300 Schiffe, etwa 4000 Flugzeuge und Hubschrauber sowie nahezu 340.000 Soldaten, die im Bedarfsfall einzelnen Flotten zugewiesen werden können. Die Rüstungsausgaben allein für die Marine stiegen 2007 auf über 127 Milliarden Dollar. Es ist das zweite Mal, daß mit der Vierten Flotte eine während des Zweiten Weltkriegs gegründete und dann ausgemusterte Einheit nach fast 60 Jahren reaktiviert wird. Schon 1995 war unter Hinweis auf »Probleme« im Mittleren Osten die Fünfte Flotte mit dem Einsatzgebiet Persischer Golf, Rotes Meer und Arabische See wieder belebt worden. Das Ergebnis ihres Wirkens ist in Somalia, in Irak und Afghanistan zu besichtigen. Aufbau und Einsatzfähigkeit der Fünften Flotte, so US-Konteradmiral James Stevenson, sollen Vorbild für die Vierte sein. Das Pentagon begründet deren Reaktivierung mit dem Hinweis, man wolle damit »der wachsenden Rolle der Seestreitkräfte im Operationsraum der Südgruppe der USA Rechnung tragen«. Man müsse bedenken, so Konteradmiral Stevenson, »daß 40 Prozent des US-Handels und 50 Prozent der Erdölimporte aus der Region kommen«. Die Vierte Flotte habe die Fähigkeit, jederzeit alle wichtigen Punkte zu erreichen und sich selbst zu versorgen. Das werde der ganzen Region zugutekommen, sagte der führende Militär, »insbesondere bei Naturkatastrophen wie Erdbeben, Schlammlawinen, Waldbränden und Überschwemmungen«. Wir sind beeindruckt! Auch der Chef der Südgruppe der US-Streitkräfte, Admiral James Stavridis, versucht uns weis zu machen, daß es sich bei der Flottengründung um eine rein humanitäre Maßnahme handelt. »Das ist überhaupt keine offensive Streitmacht«, behauptet er. »Der gesamte Zweck der Vierten Flotte ist Kooperation, Freundschaft, Reaktion auf Naturkatastrophen, Friedensmissionen und, natürlich, Maßnahmen gegen Rauschgift …« Um vom aggressiven Charakter der neuen Flotte abzulenken und sicher auch, um künftige Einsatzgebiete besser kennenzulernen, hat jetzt eine groß angelegte Propagandatour von US-Kriegschiffen in mehr als 30 Häfen Lateinamerikas und der Karibik begonnen. Eine Kampfeinheit um den Flugzeugträger »George Washington« sowie zwei amphibische Angriffsschiffe, die »USS Boxer« und die »USS Kearsarge«, sind, wie das Pentagon angibt, das ganze Jahr in »humanitärer Mission« mit Ärzten, Dentisten, Ingenieuren sowie Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen unterwegs, um »medizinische und technische Hilfe« zu leisten. Unerwähnt läßt das Kriegsministerium, daß die Schiffe zuvor an den Kriegen im Mittleren Osten beteiligt waren. Allein die »USS Boxer«, ein Hubschrauberträger, hat außer seiner über tausendköpfigen Mannschaft noch fast 2100 Marine-Infanteristen an Bord. Das gleichnamige Vorgängerschiff der »USS Boxer« war in den Kriegen gegen Korea und Vietnam eingesetzt worden und lag am Jahresende 1958 – gerade zum Flugzeugträger mit Angriffshubschraubern für Kampfeinsätze der Marine-Infanterie umgerüstet – auf Anordnung des Vereinigten US-Generalstabs nahe Kuba bereit, um Batista zu retten und die Revolution noch zu verhindern. Aber die Revolutionäre waren schneller. Die Reaktivierung der Vierten Flotte entspricht dem Pentagon-Plan »Eine kooperative Strategie für eine Seemacht im 21. Jahrhundert«, den die Chefs der US-Kriegsmarine, der Marineinfanterie und der Küstenwache im Oktober 2007 vorstellten. Die Strategie soll in der ganzen Welt dafür sorgen, »unsere Lebensart zu schützen«, auch »unsere Lebensinteressen« und »das System, durch welches wir prosperieren«. Ausdrücklich verweist das Ministerium auf die »zunehmende Zahl der Schurkenstaaten« und droht mit »tödlichen Schlägen – konventionell, unkonventionell und mit Atomwaffen«. Eine Reihe wichtiger Entwicklungen und Ereignisse in Lateinamerika in den letzten Wochen machte für die US-Regierung die Umsetzung dieser Strategie besonders dringlich: Vor Brasilien wird ein riesiges Ölfeld entdeckt; Kolumbien, von den USA mit fast 800 Millionen Dollar Militärhilfe hochgepäppelt, überfällt Ecuador, dessen linksgerichtete Regierung angekündigt hatte, 2009 den US-Militärstützpunkt Manta (einen von elf US-Militärbasen in Lateinamerika und der Karibik) zu kündigen; Hugo Chavez warnt Kolumbien und die USA, nahe der Grenze zu Venezuela einen neuen US-Stützpunkt zu bauen; in Paraguay siegt der Links-Politiker Fernando Lugo; in Bolivien versuchen Separatisten mit US-Unterstützung, das Land zu spalten; zwölf Regierungen Südamerikas unterzeichnen in Brasilia die Gründungsurkunde für eine »Union Südamerikanischer Nationen« (UNASUR), und Brasiliens Verteidigungsminister stellt die Bildung eines gemeinsamen Verteidigungsrates für Südamerika in Aussicht; in Kuba wird immer deutlicher, daß Fidel Castros Rückzug nicht zu dem von Bush erhofften Chaos führt, sondern das sozialistische System festigen kann. Wird ein Einsatz der Vierten Flotte zu einem weiteren gefährlichen Vermächtnis des US-Kriegspräsidenten? Werden seine Nachfolger die aggressive »Flugzeugträger-Diplomatie« gegen Lateinamerika beenden wollen und auch können? Bisher hat sich keiner der Präsidentschafts-Anwärter – auch Barack Obama nicht – zu Bushs jüngsten Plänen geäußert oder sich gar davon distanziert.
Erschienen in Ossietzky 12/2008 |
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