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März 2003 die angloamerikanischen Koalitionstruppen ihren völkerrechtsbrecherischen Überfall auf den Irak und seine Menschen begonnen hatten, ließ tags darauf Generalbundesanwalt Kay Nehm durch seine Pressestelle verlautbaren: »Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder der Bundesregierung wegen des Verdachts der Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80 StGB) abgelehnt, weil keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegen, die einen Anfangsverdacht wegen eines Verbrechens nach § 80 StGB begründen könnten.« Vorangegangen waren Strafanzeigen empörter Bundesbürger, weil die Regierung Schröder entgegen der von ihr selbst verbreiteten Legende, die Bundesrepublik Deutschland beteilige sich nicht an diesem Krieg, den USA und weiteren Bündnispartnern auf deren gemäß NATO-Truppenstatut gestellte Anfrage hin umfassende Unterstützung zugesichert hatte: Überflugrechte im deutschen Luftraum, reibungslosen Transit alliierter Truppen durch Deutschland sowie die Nutzung amerikanischer Militärbasen, insbesondere der für die Kriegführung unabdingbaren Hauptquartiere auf deutschem Boden. Noch drei Jahre später gab die rechtsverräterische Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zu Protokoll, weshalb das Kabinett so und nicht anders entschieden hatte: »Wir haben aber auch öffentlich keinen Zweifel daran gelassen, daß wir als NATO-Partner zum Bündnisfall stehen, den Amerikanern Überflugrechte gewähren und die Nutzung ihrer Basen in Deutschland ermöglichen. Niemand wollte die Differenzen im deutsch-amerikanischen Verhältnis eskalieren.« (Die Zeit vom 26. Januar 2006) Indem die deutsche Regierung den Aggressoren solche pauschale Nutzungsgenehmigungen erteilte, verstieß sie in eklatanter Weise gegen völkerrechtliche Gebote des Neutralitätsrechts. Letzteres hat seine Grundlage im Völkergewohnheitsrecht und im V. Haager Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten neutraler Staaten im Falle eines Landkriegs vom 18. Oktober 1907, das in Deutschland seit dem 25. Oktober 1910 in Kraft ist. Den Status eines »neutralen Staates« muß jedes Land wahren, das nicht an einem militärischen Konflikt zwischen anderen Staaten teilnimmt. Beteiligung an einem Krieg ist ausschließlich an der Seite des Opfers eines bewaffneten Angriffs erlaubt, keinesfalls aber auf Seiten des Angreifers. Seine ablehnende Entschließung begründete der Generalbundesanwalt mit Mängeln in der verfassungs- und strafrechtlichen Normierung des Angriffskriegsverbotes (s. Ossietzky 9 und 10/08). Im einzelnen rekurrierte er auf die definitorische Unschärfe des Angriffskriegsbegriffs, die eingeschränkte Reichweite des Straftatbestandes § 80, das in der Rechtsinterpretation zu beachtende Bestimmtheitsgebot und das Analogieverbot sowie das Rechtsprinzip der einengenden Tatbestandsauslegung. Hiernach sei lediglich derjenige Angriffskrieg strafbar, an dem sich Deutschland mit eigenen Streitkräften beteiligt, es müsse eine Tat von Gewicht vorliegen, nicht nur bloße Duldungs- oder Unterlassungshandlungen, und im Sinne des erforderlichen »tatbestandsmäßigen Unrechtserfolges« müsse auch eine konkrete Kriegsgefahr für die Bundesrepublik Deutschland selbst verursacht werden. Zentrale Relevanz besaß in den Augen des Generalbundesanwalts insbesondere der Umstand, daß »dem Völkerrecht ... kein allgemein anerkannter und auch nur einigermaßen ausdifferenzierter Begriff der völkerrechtswidrigen bewaffneten Aggression zu entnehmen« sei. An dieser Stelle irrte Deutschlands oberster Strafverfolger jedoch. Als Bestandteil der Resolution 3314 (XXIX) vom 14. Dezember 1974 hatte nämlich die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Konsens eine weitreichende Begriffsbestimmung des Aggressionstatbestandes vorgenommen. In den insgesamt acht Artikeln der »Definition des Begriffs Aggression« ist auch eine umfangreiche und expressis verbis »nicht erschöpfende« Auflistung von Angriffshandlungen enthalten. Im Hinblick darauf, daß Deutschland entscheidend dazu beigetragen hat, das völkerrechtliche Verbrechen gegen den Irak und seine Menschen überhaupt zu ermöglichen, kommt Artikel 3 Buchstabe f) der »Aggressionsdefinition« herausragende Bedeutung zu. Als Akt der Aggression zu werten ist demnach die »Handlung eines Staates, die in seiner Duldung besteht, daß sein Hoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von diesem anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen«. Exakt diesen Tatbestand erfüllte die rot-grüne Bundesregierung, als sie den NATO-Verbündeten sämtliche erbetenen Unterstützungsleistungen für die Vorbereitung und Durchführung ihres Aggressionskriegs gewährte. Daher manifestiert sich in der Presseverlautbarung des Generalbundesanwalts der blanke Rechtsnihilismus, wenn er dort behauptet, solches Handeln der Bundesregierung werde »als eine bloße Nichtverhinderung von Angriffshandlungen vom Tatbestand des § 80 StGB nicht erfaßt«. Auf dem Wege dieser seiner willkürlich getroffenen und völlig abwegigen Rechtsauslegung gelangt der Generalbundesanwalt folgerichtig zu der Behauptung, daß »Artikel 3f der Resolution 3314 (XXIX) ... bei der strafrechtlichen Beurteilung« des Regierungshandelns bedeutungslos sei. Denn, so stellt der Generalbundesanwalt abschätzig resümierend im Hinblick auf die rechtliche Bindungswirkung des Beschlusses der UN-Generalversammlung aus dem Jahre 1974 fest: »Der weder bindenden noch abschließenden Definition kommt mithin nur die Bedeutung einer Orientierungshilfe zu.« Einer solchen indes hätte vor allem der Generalbundesanwalt selbst bedurft, hatte er doch seine Orientierung im unübersichtlichen Dickicht des Völker- und Verfassungsrechts völlig verloren. Zwar traf sein Einwand zu, daß die »Aggressionsdefinition« der UN-Generalversammlung nicht zum harten Kernbestand des Völkerrechts im Sinne des »ius cogens« gehört, wohl aber konstituierte sie nach dreißig Jahren unwidersprochener Geltung zweifelsohne völkerrechtliches Gewohnheitsrecht – und auch dieses ist kategorisch einzuhalten. Dem willfährigen juristischen Steigbügelhalter einer mit bemerkenswerter krimineller Energie agierenden Exekutive hätte zudem die Lektüre eines wahrlich erhellenden Rechtsgutachtens, das vor Kriegsbeginn, am 13. März 2003, im Bundesministerium der Verteidigung angefertigt worden war, auf die Sprünge helfen können. Es hatte die »völkerrechtliche Zulässigkeit der Bewachung amerikanischer Einrichtungen in Deutschland durch Soldaten des Sanitätsdienstes der Bundeswehr« zum Gegenstand. Die entscheidende Passage im Text des Ministerialjuristen Klaus Schäfer lautete: »Ich empfehle daher im Falle eines bewaffneten Konflikts unverzüglich Sorge dafür zu tragen, daß Sanitätssoldaten von militärischen Wachaufgaben entbunden werden. Bei Nichtbeachtung würde das im Wachdienst eingesetzte Sanitätspersonal Gefahr laufen, seinen völkerrechtlichen Schutz zu verlieren und im Rahmen eines Angriffs auf eine militärische Einrichtung einer Konfliktpartei als Teil eines legitimen militärischen Ziels im Sinne des Völkerrechts betrachtet zu werden.« Diese völkerrechtliche Expertise barg brisante Implikationen: Erstens wurden die USA und ihre Verbündeten mit Beginn des Krieges gegen den Irak zu Konfliktparteien im Sinne des Völkerrechts. Zweitens wurden die militärischen Einrichtungen der USA und ihrer Verbündeten auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland mit Beginn des Krieges gegen den Irak zu legitimen militärischen Zielen im Sinne des Völkerrechts. Drittens mußten die zur Bewachung der militärischen Einrichtungen der USA und ihrer Verbündeten auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland eingesetzten, vom Humanitären Völkerrecht besonders geschützten Sanitätssoldaten mit Beginn des Krieges gegen den Irak von ihrem Wachauftrag entbunden werden, da sie anderenfalls ihren besonderen völkerrechtlichen Schutz verloren hätten und zu regulären Kombattanten im Sinne des Völkerrechts geworden wären. Viertens wurde die Bundesrepublik Deutschland durch den Einsatz von Bundeswehrsoldaten zur Bewachung der militärischen Einrichtungen der USA und ihrer Verbündeten selbst zur Konfliktpartei an der Seite der Aggressoren. Fünftens wurde jeder der für die Bewachung der militärischen Einrichtungen der USA und ihrer Verbündeten eingesetzten deutschen Soldaten mit Beginn des Krieges gegen den Irak zu einem regulären Kombattanten im Sinne des Völkerrechts und durfte vom irakischen Verteidiger legitimerweise unter Wahrung der Regeln des Humanitären Völkerrechts bekämpft werden. Sechstens schließlich wurde auch die Bundesrepublik selbst insgesamt mit ihren Streitkräften durch diesen Einsatz von Bundeswehrsoldaten zum legitimen militärischen Ziel im Sinne des Völkerrechts, womit klar und eindeutig die konkrete Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Artikels 26 Grundgesetz sowie des Paragraphen 80 Strafgesetzbuch heraufbeschworen wurde. Sowohl die politische Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung als auch die militärische Führungsspitze der Bundeswehr waren über all das im Bilde. Darum wurde – aufgrund des Rechtsgutachtens – befohlen, den Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr aus der Bewachung der US-Einrichtungen herauszulösen. In mehreren Koordinierungsbesprechungen wurden die Wachaufgaben unter Heer, Luftwaffe, Marine und der Streitkräftebasis neu verteilt. Gleichwohl wurden die Soldaten des Zentralen Sanitätsdienstes von ihrem Bewachungsauftrag endgültig erst zum 1. April 2003 entbunden. Daraus folgt, daß vom Beginn des Krieges gegen den Irak am 20. März bis zum Ablauf des 31. März 2003 mit dem während dieses Zeitraumes erfolgten Einsatz von Sanitätssoldaten zur Bewachung militärischer Einrichtungen der US-Streitkräfte die Normen des Humanitären Völkerrechts gebrochen wurden. Auf deutschem Boden fand also ein Kriegsverbrechen statt. Dies war allen Beteiligten bekannt: sowohl der Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister der Verteidigung, Peter Struck, als auch der durch General Wolfgang Schneiderhan repräsentierten militärischen Führungsspitze, welche die hierfür notwendigen Anordnungen erteilt hatte, und darüber hinaus innerhalb der Bundeswehr allen mit der Organisation der Bewachung der US-Liegenschaften beauftragten Soldaten bis auf die Ebene der Stabsoffiziere, zum Teil noch darüber hinaus. Der einzige Staatsdiener dieser Republik, den gleichwohl offenbar totale Ahnungslosigkeit umfangen hatte, war der Generalbundesanwalt zu Karlsruhe – kein Wunder freilich, wenn man nur nach dem altbewährten Prinzip der drei Affen verfährt.
Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.
Erschienen in Ossietzky 11/2008 |
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