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KlassenkampfSo großzügig können Konzerne sein: 50 Millionen Euro sollen die »Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger« (AUB) und ihr früherer Vorsitzender Wilhelm Schelsky allein von der Siemens AG bekommen haben. Schelsky sitzt unter dem Verdacht der Untreue, Beihilfe zur Untreue, Steuerhinterziehung und Beeinflussung von Betriebsratswahlen in Untersuchungshaft. Sein Verein – nach eigener Darstellung »überparteilich, unabhängig, überbetrieblich« – sollte die IG Metall schwächen. Das war nicht nur Siemens viel Geld wert, sondern auch Aldi Nord und IKEA, dem Möbel-Konzern, der auch durch massiven Druck auf Betriebsräte und durch Überwachung der Beschäftigten mit Kameras zeigt, wie besorgt er darum ist, daß das Personal schön brav, arbeitsam, gehorsam und bescheiden bleibt. Ähnlich half der private Postdienstleister PIN Group AG der »Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste« (GNBZ) nicht nur mit einer »Anschubfinanzierung« auf die Beine, sondern unterstützte sie dann auch allein in zwei Herbstmonaten des Jahres 2007 mit 133.000 Euro. Die Großzügigkeit zahlte sich aus: Die GNBZ bewies ihre Dankbarkeit, indem sie sich bereit fand, Stundenlöhne zwischen 6.50 und 7.50 Euro zu vereinbaren; nach dem Tarifvertrag zwischen Post und ver.di beträgt der Mindestlohn 9.80 Euro. Schon lange ist auch der Christliche Gewerkschaftsbund den Konzernen behilflich, die Personalkosten zu reduzieren; eine bewährte Methode ist Streikbruch. Da kann es nicht verwundern, daß in den Reihen des CGB auch Neonazis aktiv sind – zum Beispiel der Betreiber des rassistischen »Thule-Netzes«, Thomas Scharfy auf einem Vorstandsposten der Pseudo-Gewerkschaft in Baden-Württemberg. Glaubt noch jemand, Unternehmer, vor allem die Manager großer Konzerne, seien sich zu fein für den Klassenkampf? Sie führen ihn täglich. Und sie wählen die Kampfmittel, von denen sie sich größtmögliche Wirkung versprechen. Wenn sie so vornehm-zurückhaltend aufträten wie manche führenden Gewerkschafter, würden die Großaktionäre sie schnell ablösen. Werner R. Schwab
VertrauenDer innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, trat als Eröffnungsredner vor die im Hause der »Friedrich-Ebert-Stiftung« am Berliner Tiergarten versammelten Geheimdienstler und versicherte ihnen: »Ich bin kein Weichei.« Es klang, als wünschte er sich Beifall für dieses Bekenntnis. Er schmeichelte: »Die Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland sind Instrumente des demokratischen Rechtsstaats«, »Nachrichtendienste sind vielleicht notwendiger denn je«, »Die Nachrichtendienste sind ein erheblicher Teil unserer Sicherheitskultur«, »Die bundesdeutsche Rechtsstaatlichkeit ist so gut wie nirgendwo anders auf der Welt«. Und er sagte kein einziges Wort, das als kritisch hätte verstanden werden können. Respekt gewann er damit nicht. Eingeladen hatte neben der SPD-nahen Stiftung der »Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland e.V.«; Thema war die Frage, was im europäischen Einigungsprozeß aus den deutschen Geheimdiensten wird. Schon vorher hatte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Ernst Uhrlau, die Hoffnung und Gewißheit geäußert, daß es einen europäischen Geheimdienst erst ganz am Ende des Einigunsprozesses geben wird. Niemand widersprach. Der Vertreter des Geheimdienstkoordinators im Kanzleramt, Vorbeck, lobte die enge bilaterale Kooperation, die die deutschen Dienste mit denen der anderen europäischen Länder verbinde: Die jeweiligen Sachbearbeiter brauchten sich »nur eben mal ins Flugzeug« zu setzen, wenn es etwas zu besprechen gebe. Außerdem habe sich der »Berner Club« bewährt, in dem sich die Leiter der Dienste treffen; unterhalb dieser Ebene beständen Arbeitsgruppen. In der Counter Terrorist Group seien 29 Staaten vertreten. Neuerdings gäbe in Brüssel eine »Zelle« von Geheimdienstlern, die den außenpolitischen Repräsentanten der Union, Javier Solana, beraten soll, und auch für das EU-Militär sei eine nachrichtendienstliche Abteilung gegründet worden. Sprecher der diversen deutschen Geheimdienste stimmten dem Vorsitzenden des »Gesprächskreises«, Wolbert Smidt, zu, der gleichfalls die »informell in verschiedenen Clubs« geleistete »wirksame Zusammenarbeit« würdigte. Jede Institutionalisierung des Nachrichtenaustausches, darüber waren sie sich einig, würde den Austausch, wie er bisher informell laufe, gefährden – zumal das Europäische Parlament dann sofort mit Kontrollwünschen kommen würde. In diesem Zusammenhang fiel auch das schöne Wort von der »Solidarität der Tat«, durch die die Geheimdienstler in Europa miteinander verbunden seien. Man pflege »vertrauensvolle Zusammenarbeit im kleinen oder kleinsten Kreis«. Auf ein spezielles Problem des europäischen Einigungsprozesses wies der langjährige BND-Abteilungsleiter Volker Foertsch hin: »Wenn wir eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik bekommen, dann braucht sie zuverlässige nichtamerikanische Informationen.« Aber bei den USA oder der NATO dürfe kein Mißtrauen aufkommen. Durch einige kritische Fragen, die der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Max Stadler (FDP), aufgeworfen hatte, ließ man sich in diesem vertrauten Kreise nicht die Laune verderben. Stadler hatte unter anderem auf Probleme hingewiesen, die sich ergäben, wenn der BND Amtshilfe leiste. Und er hatte gefragt: »Wenn der Bundestag die Schließung des Lagers Guantanamo verlangt, darf dann eine Bundesbehörde daran mitwirken, daß Gefangene nach Guantanamo gebracht werden?« Für ihn habe die Zusammenarbeit solcher Dienste Grenzen und bedürfe der Kontrolle. Zu den Schwierigkeiten parlamentarischer Kontrolle gehöre, daß Geheimdienstler neuerdings ihre Tätigkeiten nicht mehr dokumentierten und dies schlicht so begründeten: »Nach dem 11. September haben wir andere Sorgen.« Die versammelten Geheimdienstler hörten Stadler – anders als Wiefelspütz – aufmerksam zu. Aber gaben keine Antwort. E.S.
Berlin von heuteEs ist nicht das flippige Berlin der Touristen, die hier etwas erleben wollen, aber auch nicht das der braven Bürger draußen in den Wohnstädten oder Villen, das Ulrich Peltzer eindrucksvoll beschreibt. Sein Held ist ein Journalist, Enddreißiger, ungebunden, der mit der Miete im Rückstand ist und sowieso eine neue Bleibe sucht. Hinsichtlich der Aufträge kann er nicht zu wählerisch sein, auch wenn er einen guten Ruf bewahren will. So hilft ihm erst einmal der Auftrag für eine Restaurant-Empfehlungsbroschüre über die Runden. Aber eigentlich schreibt er an einem Roman und interessiert sich für die Untergrund-Erfahrungen von Mitgliedern der italienischen Roten Brigaden. Am meisten aber für Nele, die Lieblingsstudentin seines besten Freundes, Privatdozent für Germanistik. Alle sind sie irgendwie Sympathisanten linker Bewegungen, nur Nele geht weiter und riskiert in ihrem gesellschaftspolitischen Frust mehr. Ihr Berlin mit den Kneipen und Bistros, Lesesälen und Universitätsgebäuden, den Straßenfluchten und der Architektur verschiedenster Bauherrn und Zeiten, mit den Überwachungskameras und den Bewachern am Tag und in der Nacht ist aufregendes Zentrum des Romans. Ganz anders als Döblins »Alexanderplatz« ist er mit ihm doch in der Intensität der Stadtbeschreibung verwandt. Ob das heutige Berlin jedoch unbedingt in der Sprache dieser Generation und dieser Schicht beschrieben werden muß, wage ich leise zu bezweifeln. Wir anderen haben dabei leider zu oft Verständnisschwierigkeiten. Christel Berger Ulrich Peltzer: »Teil der Lösung«, Ammann Verlag, 350 Seiten, 19.90 €
Der schöne EierwerferOb der berühmte und beliebte Hollywood-Filmstar George Clooney eigentlich auch ein großer Schauspieler ist, kann ich nicht genau beurteilen. Wahrscheinlich ist er nicht mit Rosemary Clooney verwandt, die wir vor Jahrzehnten als attraktive Dame in amerikanischen Filmen und wegen der begehrten Schallplatten bewunderten, auf denen sie beispielsweise im Duett mit Marlene Dietrich die nonchalanten »Boys in the Backroom« besang. Ist Mr. Clooney schön? Gut aussehend? Also gut aussehend ist er zweifellos. Gute Figur. Guter Kopf, grau melierte Schläfen. Keine Friseur-Schönheit, womit eine von Friseuren produzierte Schönheit gemeint sein soll. Friseure selbst sind selten schöner als Udo Walz. Die gut aussehenden Herren in alten deutschen Filmen kamen oft aus Österreich. Der berühmte Willy Birgel erinnerte, weil er viel für Deutschland ritt, an ein gut aussehendes Pferd. Betrachten wir nun den Privatmann George Clooney außerhalb seines Berufs und seiner unstreitigen Leinwanderfolge, so kommt das Menschliche zum Vorschein, und das vermehrt die Sympathien für den Mann. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) meldete im Mai 2008: »Der Hollywood-Schauspieler George Clooney (47) ist zur Weltmeisterschaft im Eierwerfen nach England eingeladen worden. Da Clooney eine Eierschleuder gegen unliebsame Paparazzi entworfen haben soll, sei er besonders willkommen, erklärte Andy Dunlop, Vorsitzender des Welt-Eierwurf-Verbandes. ›Angesichts dieses Geniestreichs von Mr. Clooney haben wir uns gefragt, ob er am 29. Juni dabei sein will, um den Sport zu unterstützen.‹ Eine Einladung habe der Schauspieler bereits erhalten. In dem Dorf Swaton in der englischen Grafschaft Lincolnshire stehen die WM-Disziplinen Zielwerfen, Weitwurf und Eierfangen auf dem Programm.« Wir, die kleinen Leute aus dem Riesenheer der schlichten Zeitgenossen, genießenden freudigen Trost: Der große Clooney ist einer von uns! Schon in den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts nahm ich in den Tiefen des Thüringer Waldes an einem internen Wettstreit im Kirschkern-Spucken teil. Freund Burkhard spuckte am weitesten und belegte folglich den ersten Platz. Heute ist er ein angesehener Professor im Ruhestand. Gefahren drohen natürlich überall: »Bei einer Party in Frankreich«, berichtete Agence France Presse (AFP), »ist ein Mann während eines Spuckwettbewerbs von einem Balkon im zweiten Stock gestürzt. Um besonders weit zu spucken, hat der 22-jährige Anlauf in der Wohnung genommen, am Balkongeländer aber nicht mehr rechtzeitig stoppen können. Er erlitt einen Oberschenkelbruch und ein Schädeltrauma, aber keine lebensgefährlichen Verletzungen.« Sport ohne Risiko gibt es nicht. Lothar Kusche
Press-KohlEva Herman, eine ehemalige Sprecherin der Fernseh-Tagesschau, leidet seit einiger Zeit unter der Zwangsvorstellung, sie wisse ebenso gut wie die Nazis Bescheid über Familie und Kindererziehung sowie über einen diesbezüglichen Bücher-Schreibe-Trieb. Nun ist von Frau Herman im Hänssler-Verlag, den viele Bewohner von 71088 Holzgerlingen kennen, weil er sich in der dortigen Max-Eyth-Straße Nr. 41 befindet, »Das Überlebensprinzip« erschienen. Die Autorin ist offenbar eine wirkliche Überlebenskünstlerin. Der Berliner Kurier meldete, was E. Herman »kürzlich auf einem christlichen Festival in Ruhpolding« verkündete: »Ich habe drei gescheiterte Ehen und ein Kind. Umgekehrt wäre es mir lieber.« »Drei gescheiterte Kinder aus einer Ehe«, meinte Freundin Aloisia, »sind aber auch nicht das Wahre.« * »Boris Becker, nach eigener Angabe Single, hat an die 50 edle Uhren, aber leider keine Zeit für Familie und Liebe. Kein Wunder, in Dubai vermarktet er gerade den 30-stöckigen Boris-Becker-Tower«, wie Bild am Sonntag berichtete. Auf seinem 30-stöckigen Turm könnte er unter Benutzung seiner an die 50 edlen Uhren vielleicht lernen, wie man eigentlich von Uhren die Zeit abliest. * Ossietzky-Leser Rolf Schade, Eisenhüttenstadt, wurde beim Lesen der Berliner Zeitung tief berührt von Peter Uehlings musikkritischen Schnörkeln über einen Auftritt des Pianisten Lang Lang mit Daniel Barenboims Staatskapelle: »... Nun mag es innig zugehen bei Brahms, aber zugleich wird man auch draußen gehalten durch die Mittelbarkeit einer Struktur, die ihre Klanggestalt auf dem Wege zum Klavierkonzert mehrfach wechselte ...« Das haben Sie aber schön gesagt, Herr Uehling. Würden Sie die Mittelbarkeit einer Struktur, die ihre Klanggestalt auf dem Wege zum ... na, Sie wissen schon ... mehrfach wechselte, also könnten Sie dieselbe vielleicht nochmals erklingeln lassen? »Lang Lang stieß einen mit der Nase ins Bettlaken, im Glauben, es wäre das von Brahms, in Wirklichkeit war es aber nur sein eigenes – was allerdings seinen Fans ohnehin lieber sein dürfte.« Als Laie in Sachen der modernen Bettlaken-Forschung bin ich mir aber dennoch sicher, daß jenes in dem Artikel als Stoßdämpfer benutzte Bettlaken nicht das Bettlaken von Brahms war und auch nicht jenes von Lang Lang, sondern dasjenige, welches Herr Uehling meistens verwendet, wenn ihn ein schöpferischer Schnupfen schüttelt. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 10/2008 |
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