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Nachdem sie im engen NATO-Bund mit den USA die separatistischen Kräfte in Jugoslawien allseitig unterstützt, den Vielvölkerstaat zerschlagen, die Serben mit würgenden Sanktionen überzogen, mit einer gewaltigen Luftarmada überfallen und Tod und Verderben gebracht, das südserbische Gebiet Kosovo okkupiert und schließlich unter Bruch grundlegender Völkerrechtsnormen aus dem serbischen Staatsterritorium herausgerissen hatte, stellte die EU ihm jetzt die Mitgliedschaft in Aussicht. Ende April unterschrieben ihre Außenminister gemeinsam mit dem serbischen Präsidenten Boris Tadic ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, das Serbien das Tor zu EU-Beitrittsverhandlungen öffnen soll. Neben den üblichen Bedingungen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nach westeuropäischem Zuschnitt enthält das Abkommen verlockende Perspektiven für das lange drangsalierte und isolierte Land: eine Freihandelszone zur Förderung der Wirtschaftsbeziehungen, gemeinsame Investitionen, Finanzhilfen. Allerdings verknüpfte die EU das schöne Angebot mit zwei Bedingungen: Erstens soll Belgrad – was es seit langem tut – uneingeschränkt mit dem sogenannten Haager Kriegsverbrechertribunal, in dem die Aggressoren über die Angegriffenen zu Gericht sitzen, zusammenarbeiten und endlich die bosnisch-serbischen Politiker Vuk Karadjic und General Ratko Mladic, deren Aufenthalt auch in Serbien unbekannt ist, ausliefern. Zweitens, und das ist entscheidend, sollten die Serben die um Präsident Tadic, den politischen Nachfolger des NATO-Lieblings Zoran Djindjic, gruppierten prowestlichen Kräfte in die Skupstina wählen. In der serbischen Hauptstadt wurden die Unterzeichnung des Abkommens und die dabei gestellten Forderungen äußerst unterschiedlich aufgenommen. Tadics Wahlkonkurrenten, von Regierungschef Vojislav Kostunica bis zum Führer der Radikalen, Tomislav Nikolic, sahen darin eine erneute grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates und warfen Tadic insbesondere vor, die völkerrechtswidrig proklamierte, mittlerweile von der Mehrheit der EU-Staaten anerkannte Unabhängigkeit Kosovos indirekt akzeptiert zu haben. Wörtlich erklärte Kostunica: »Wir teilen dem NATO-Pakt und allen EU-Staaten, die den falschen Staat Kosovo anerkannt haben, mit aller Klarheit mit, daß sie die rechtswidrige Unterschrift von Tadic nicht als Unterschrift Serbiens unter die Unabhängigkeit Kosovos auslegen können.« An die Adresse des EU-Chefdiplomaten Javier Solana gerichtet, der seinerzeit als NATO-Generalsekretär den verbrecherischen Überfall auf Jugoslawien organisiert hatte, meinte er, dieser wolle jetzt das vollenden, was damals begonnen wurde: die Schaffung eines NATO-Staates Kosovo mit einer US-Basis im Zentrum. Ganz anders die Position der Anhänger von Präsident Tadic. Außenminister Vuk Jeremic nannte die Unterzeichnung des Abkommens einen »historischen Schritt«, um mit schöner Offenheit und völlig zutreffend hinzuzufügen, daß die Parlamentswahl jetzt »zu einem Referendum über unsere Mitgliedschaft in der Europäischen Union« geworden sei. Mit anderen Worten: Die Wähler sollten den EU-Köder schlucken und dem prowestlichen Präsidenten und seinen Parteifreunden an die Angel gehen. Die Methode ist nicht neu, gegenüber Serbien hat sie sich schon mehrfach bewährt. Wie wirksam sie ist, davon konnte sich der serbische Regierungschef Kostunica im Spätsommer des Jahres 2000 überzeugen, als er, damals von Djindjic unterstützt, in der Präsidentschaftswahl als Kandidat der Opposition gegen den Amtsinhaber und Vorsitzenden der Sozialistischen Partei Serbiens, Slobodan Milosevic, antrat. Obwohl EU und NATO letzterem in einer wüsten Medienkampagne die Schurkenrolle zuwiesen und seinen Widersachern eine später voller Stolz eingestandene propagandistische, finanzielle und materielle Unterstützung gewährten, war der Sieg der Opposition keineswegs gewiß. In dieser Situation zogen die Falschspieler der EU eine Trumpfkarte, die den Wahlausgang entscheidend beeinflussen sollte. Eine Woche vor dem Wahltermin versammelten sich die EU-Außenminister in Brüssel mit dem erklärten Ziel, »den Wählern für den Fall eines Sieges demokratischer Kräfte eine ›fundamentale Änderung‹ der Jugoslawien-Politik in Aussicht zu stellen«. Sie erklärten, daß die Europäische Union »die Sanktionen gegen Belgrad aufheben will, falls die Opposition bei der jugoslawischen Wahl am Sonntag gewinnt«. Mit dieser Erklärung wurde die Wahl de facto zu einer Volksbefragung über die Fortsetzung oder Beendigung der Sanktionen umfunktioniert. Die Trumpfkarte stach, der EU-Plan ging auf. Nach zehn Jahren Dämonisierung, Sanktionen und Isolierung, wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs, nach Kriegs- und Nachkriegsnot gingen viele erschöpfte und bis dato unentschlossene serbische Wähler der EU auf den Leim. Kostunica und mit ihm die von Djindjic geführte Opposition gewannen die Wahl. Unmittelbar danach feierte die selbsternannte »internationale Gemeinschaft« von Bild bis Guardian, von Joseph Fischer bis Madeleine Albright, die ein Jahrzehnt lang gegen den »großserbischen Nationalismus des verbrecherischen Milosevic-Regimes« zu Felde gezogen war, den Sieg über die »letzte kommunistische Bastion« in Europa. Sie bejubelte die Niederlage eines Gegners, gegen den sie bisher, glaubte man ihren Worten, gar nicht gekämpft, den sie ganz anders bezeichnet hatte. Erst nach dem Triumph teilte sie mit, wer besiegt war: Nicht dem serbischen nationalistischen Drachen hatte man die Köpfe abgeschlagen, sondern dem letzten kommunistischen Ungeheuer in Europa. Nun, acht Jahre später, kämpfte die EU erneut gegen den angeblichen serbischen Nationalismus, um auf Umwegen Belgrad zur Anerkennung des NATO-Staates Kosovo zu zwingen und Serbien dem wieder wachsenden russischen Einfluß zu entziehen. Auch dieses Mal blieb die EU-Einmischung in den innerserbischen Wahlkampf nicht ohne Wirkung, zumal 17 europäische Staaten fünf Tage vor der Wahl einen zusätzlichen lecker duftenden Wahlspeck ausgelegt hatten. Sie unterzeichneten eine Absichtserklärung, wonach im Falle eines ihnen genehmen Wahlausgangs serbische Bürgern mit unentgeltlichen Visa für Reisen in ihre freiheitlich-demokratischen Länder rechnen dürfen. Dank der arglistigen Wahlhilfe der EU errang der Wahlblock »Für ein europäisches Serbien – Boris Tadic« nach vorläufigen Ergebnissen 102 Parlamentsmandate (38,75 Prozent der abgegebenen Stimmen). Die Trumpfkarte der Führer der NATO und der EU stach, aber das gesamte Spiel haben sie noch nicht gewonnen. Die Gegner Tadics kamen insgesamt auf 127 Mandate (Radikale Partei Serbiens: 77, Demokratische Partei Serbiens: 30, Sozialistische Partei Serbiens: 20). Die Mehrheit der Serben hatte wohl erkannt, daß die versprochenen EU-Wahlgaben letztlich doch ein Danaergeschenk waren, mit dem sie hinters Licht geführt und verführt werden sollte, der Abtrennung Kosovos, 15 Prozent des Staatsterritoriums, zuzustimmen. Ob sich die von ihr gewählten Parteien auf ein gemeinsames Programm und auf eine Regierungskoalition einigen werden, bleibt abzuwarten. Die generösen Wahlhelfer in Brüssel werden alles tun, um dies zu verhindern. Natürlich nur, weil ihnen Demokratie und das Wohl der Serben so am Herzen liegen.
Erschienen in Ossietzky 10/2008 |
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