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Noch 13 Jahre später schwärmte Horst Mönnich, Mitglied der »Gruppe 47«, in seinem Buch »Die Autostadt« von dem Ereignis: »... ›Sieg Heil! Sieg Heil!‹ Der Ruf brauste über das Feld von Fallersleben, er brauste über ganz Deutschland hin, und der Badenweiler Marsch erklang...« Mit dem »Werk« sollte nach dem Willen Hitlers zugleich eine »vorbildliche deutsche Arbeiterstadt« entstehen. Für sie gab es keine feierliche Grundsteinlegung. Sie wurde zum 1. Juli 1938 durch eine Verwaltungsverfügung geschaffen und erhielt die »vorläufige Bezeichnung ›Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben‹«. In diesem Jahr feiert die »junge Stadt Wolfsburg«, wie sie sich selber nennt, ausgiebig ihren 70. Geburtstag. Folgt man dem offiziellen »Festkalender«, sucht man Hinweise auf das »Werk« allerdings vergeblich. Am 26. Mai ist eine Leerstelle. Auch die »Stadtchronik« ist lückenhaft. Über das Jahr 1938 erfährt der Leser genau so viel wie über das Jahr 1372, und dem Grafengeschlecht des Schlosses Wolfsburg widmet die Chronik mehr Zeilen als dem brutalen Einsatz von Zwangsarbeitern, für den der Betriebsführer Ferdinand Porsche und sein Schwiegersohn und Hauptgeschäftsführer Anton Piëch verantwortlich waren. Diese Verantwortung wird genau so verschwiegen wie ihr Engagement für Hitler, dem sich Porsche schon im Februar 1933 mit einem Glückwunschtelegramm angedient hatte. Anfang 1934 entzückte er Hitler mit einem »Exposé« für einen »Volkswagen«, weil der »nicht nur als Personenwagen, sondern auch ... für bestimmte militärische Zwecke geeignet« sein sollte. Zehn Jahre später hatte Porsche das VW-Werk zu einer der größten Rüstungsschmieden Deutschlands ausgebaut mit Hilfe von »Impulsen, die Sie«, so rühmte ihn Propagandaminister Goebbels anläßlich der Verleihung des Nationalpreises 1938, »aus dem Nationalsozialismus empfangen«. Im Krieg empfing er weitere Impulse für große Aufgaben: 1941 war er als Chef der Panzerkommission führend an der Planung und Durchführung des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion beteiligt und ab 1943 an dem »Wunderwaffen«-Projekt »V 1«. Derweil bereitete sein Schwiegersohn Piëch das Werk auf den Endsieg vor. Als Befehlshaber des örtlichen Volkssturms befahl er im April 1945 seiner Truppe, zum Kampf Richtung Elbe zu ziehen. Er selbst verzog sich nach Österreich unter Mitnahme von zehn Millionen Reichsmark in bar. Diese Millionen waren ein solider Grundstock für den unaufhaltsamen Aufstieg der Familien Porsche/Piëch nach dem Kriege, der bis in unsere Tage anhält. Mit der Flucht des Anton Piëch waren die »Impulse aus dem Nationalsozialismus« in der VW-Stadt, die seit Mai 1945 Wolfsburg heißt, nicht erlahmt. Sie wurden von Zeit zu Zeit immer wieder wirksam. Zunächst bei der Kommunalwahl 1948, bei der es der Deutschen Rechtspartei (DReP) gelang, 17 von 25 Ratssitzen zu erobern. Mit dieser Mehrheit wurde zum ersten Mal nach dem Kriegsende ein rechtsextremer Bürgermeister gewählt. Die SPD war verzweifelt: »...Die Nazis wagen wieder den Hitlergruß ... Nazistische und Pogromlieder werden gesungen. Mit dem Horst-Wessel-Lied marschiert man zum Bahnhof ...« Der Landesvorsitzende der DreP, Leonhard Schlüter, 1955 für die FDP kurzzeitig Kultusminister in Niedersachsen, sah von Wolfsburg aus »ein neues 1933 über uns hereinbrechen«. Wegen eines Formfehlers erklärte das niedersächsische Innenministerium die Wahl für ungültig und setzte einen Staatskommissar für Wolfsburg ein; die britische Militärverwaltung löste, was heute angeblich nicht mehr geht, die DReP im Kreis Gifhorn-Wolfsburg kurzerhand auf. Die Partei hatte allerdings noch genug Zeit, ihre Kandidaten auf der Liste der Deutschen Partei (DP) unterzubringen, die dann bei der Wahl im Mai 1949 von Null auf 48 Prozent hochschnellte. Mit Hilfe des einzigen Ratsherren der KPD wurde verhindert, daß ein Rechtsextremist erneut zum Bürgermeister gewählt wurde. Auch über diese Vorgänge schweigt die heutige Stadtchronik. Für 1948 teilt sie jedoch mit, daß »am 1. Januar Dipl. Ing. Heinrich Nordhoff als Generaldirektor die Leitung des Volkswagenwerkes übernimmt«. Nordhoff paßte zu Wolfsburg. Er war im Krieg als Leiter des rüstungswichtigen Opel-Lastkraftwagen-Werkes Brandenburg zugleich Wehrwirtschaftsführer gewesen. Im Wahlkampf 1948 bändelte er mit der DReP an und versprach ihr »gute Zusammenarbeit«. Auch andere Diener des NS-Regimes fanden damals in Wolfsburg Schutz und freundliche Aufnahme, unter ihnen Heinz Röthke. Der war ab 1942 Leiter des »Judenreferates bei der Gestapo« in Frankreich gewesen und damit hauptverantwortlich für die Deportation der französischen Juden nach Auschwitz. 1945 wurde er in Frankreich in Abwesenheit zum Tode verurteilt und international gesucht. In Wolfsburg konnte er derweil unbehelligt und hochgeachtet als Rechtsberater arbeiten. Ein anderer Massenmörder, der in Wolfsburg unbehelligt leben konnte, war Friedrich Tillmann. 1940 war er »Leiter der Büroabteilung der Euthanasie-Zentrale« geworden. In Wolfsburg arbeitete er ab 1951 als Heimleiter des Jugendamtes der Stadt. Unvorsichtigerweise verließ er 1956 den Schutz Wolfsburgs. 1960 wurde er angeklagt, »die Tötung von etwa 70.000 erwachsenen Insassen von Heil- und Pflegeanstalten gefördert zum haben«. Vor der Hauptverhandlung 1964 entzog er sich seinen Richtern durch Sprung von einem Kölner Hochhaus. Ein unnatürliches Ende nahm auch das Leben des SS-Hauptsturmführers Hans Körbel, der als VW-Betriebsarzt verantwortlich gewesen war für die Ermordung von über 300 Kleinkindern osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen durch »vorsätzliche Vernachlässigung«. Sein Pech war, daß die Todesakten nicht, wie sonst üblich, vernichtet worden waren, sondern dem britischen Militärgericht in die Hände fielen. Im Helmstedter Kriegsverbrecherprozeß wurde Körbel 1946 zum Tode verurteilt und 1947 in Hameln gehängt, woran auch der evangelische Ortspfarrer nichts ändern konnte, der ihm bescheinigt hatte, sich geradezu aufopferungsvoll um die Kinder bemüht zu haben. Später machte er aus dem Mörderarzt sogar einen »Regimegegner«. Mönnich nahm in seinem Buch die Erzählungen und Gedanken des Geistlichen auf und zeichnete danach ein rührseliges Bild des »Christen Dr. Körbel«, der »unschuldig in den Tod gehetzt« wurde. Die Opfer des Arztes, die ermordeten Kinder, erwähnte er nur beiläufig; ihr Schicksal interessierte nicht. VW-Chef Nordhoff schrieb ein Geleitwort zu dem Buch und ließ es unter den Werksangehörigen verbreiten. Nach dem wunderbaren Weißwäsche-Pastor wurde jüngst in Wolfsburg ein öffentlicher Weg benannt. Die 1938 in Wolfsburg investierten Gelder stammten übrigens aus dem 1933 beschlagnahmten Vermögen der Gewerkschaften – also den Streikkassen. Eigentlich hätte das VW-Werk nach 1945 den Gewerkschaften übergeben werden müssen. Doch jetzt eignen sich die Familien Porsche/Piëch nach und nach den Konzern an. Sie haben – mit Hilfe wechselnder Regierungen – gesiegt.
Erschienen in Ossietzky 10/2008 |
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