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Inzwischen belegbar konnten sogar einige Hundert Menschen direkt vor dem Tode gerettet werden. Die eher westlich orientierte Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat nach eigenen Recherchen jetzt die Darstellung der – übergroßer Serbenfreundlichkeit keinesfalls verdächtigen – ehemaligen Milosevic-Chefanklägerin Carla del Ponte bestätigt, wonach gleich nach Einmarsch der NATO-Truppen ins Kosovo bis zu 300 Serben und Roma verschleppt und dann in einem illegalen »Transplantationszentrum« zum Zwecke der Organentnahme regelrecht ausgeweidet worden seien. Die menschlichen »Ersatzteile« seien danach sofort per Flugzeug von Albanien aus exportiert worden. Was mit dem Restmüll geschah, ist nicht bekannt. Setzt man voraus, daß jeder der – zugegeben unfreiwilligen – Spender jeweils sowohl zwei Nieren als auch Herz und Leber geliefert hat, so werden Hunderte, meist wohl sehr reiche Patienten dem Befreiungsangriffskrieg ihr Leben verdanken. Denn im seinerzeit vom Unrechtsstaat Jugoslawien unterdrückten Kosovo wäre solch humanitäre Aktion freiheitlichen Organhandels nicht möglich gewesen. Was zählen dagegen schon die unter Schirmherrschaft der NATO verursachten Kollateralschäden (bisher 685 ermordete Serben, Roma und Juden, 17.736 abgefackelte Serbenhäuser, 119 zerstörte orthodoxe Kirchen und Klöster)? Da ist man wieder richtig stolz, ein Deutscher zu sein! Hat unsere brave Bundeswehr doch tatkräftig mitgeholfen, eine »ethnische Säuberung zu stoppen«. Dies nur zur Erinnerung, wenn wir demnächst zum neunten Mal den Jahrestag unseres Sieges über die Unmenschlichkeit feiern dürfen. Für den schönen Grusel haben unsere Medien ja Franz F. aus Amstetten. * Schon früh (»Aus meinem Kriegstagebuch«, Ossietzky 7 bis 15/99) habe ich die Neuerrichtung von Kriegerdenkmälern in Deutschland vorausgesagt: »Zum Gedenken unserer tapferen Helden, gefallen für Wirtschaft und Vaterland. 1999 in Jugoslawien, 2002 - ... in Afghanistan«. Jetzt sollen in der Reichshauptstadt gleich zwei Monumente gebaut werden. Eines im Bendler-Block, Bauherr das Bundeskriegsministerium, das andere unter Federführung des Bundestages vor dem Reichstag. Beide werden sicher etwas größer, damit noch Platz für die Gefallenen des Tibetkrieges bleibt, den die sogenannten Grünen demnächst propagieren werden. Folgerichtig habe ich auch schon 1999 gefragt, wann die Bundesregierung eine Neuauflage des Eisernen Kreuzes für Tapferkeit vor dem Feind verleihen werde. Jetzt wird das heilige Blechle allen Ernstes wieder diskutiert. Verwundetenabzeichen in Bronze, Silber oder Gold, Nahkampfspange, Ostmedaille (vulgo »Gefrierfleischorden«) und Partisanenkampfabzeichen werden wohl logischerweise folgen. Das gute alte Kriegsverdienstkreuz wird für die Berliner Nomenklatura dann ein Muß, und fürs Mutterkreuz in Gold dürfte schon Eva Herman vorgeschlagen sein. Auch sonst zeichnet sich verstärkt ein nationales Erwachen ab. Letzte Woche wurde in Frankfurt am Main ein »Nationaler Kongreß für Stadterneuerung« abgehalten. Weshalb die Neubenennung? Hätte es der altgewohnte »Bundeskongreß« nicht auch getan? Natürlich nicht; denn das glücklicherweise vom Verfassungsgericht juristisch abgeschmetterte, gleichwohl real existierende allmächtige Kriegskabinett sollte nach Meinung der CDU/CSU ursprünglich absichtsvoll offiziell »Nationaler Sicherheitsrat« benamst werden. Den aus solchen Ermächtigungsgesetzen resultierenden Begriff »nationale Katastrophe« kennen die Deutschen ja schon länger. Um das Schlimmste zu verhindern, existiert bereits ein deutsch/US-amerikanisches Abkommen zur »Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität«. Das sieht in Artikel 12 auch die (in der Praxis dann selbstverständlich einseitige) Weitergabe von Personendaten vor, »aus denen Rasse (!), ethnische Herkunft (!), politische Anschauungen (!), religiöse oder sonstige (!) Überzeugungen oder die Mitgliedschaft in Gewerkschaften (!) hervorgeht«. Auch Informationen über »Gesundheit (!) und Sexualleben (!)« sind von Interesse. Wenn die Bundesregierung solche Daten weiterleiten will, woher weiß sie dann eigentlich, wer in der Gewerkschaft ist, wer politisch was denkt, wer von irgend etwas überzeugt ist, an Rheuma leidet oder wer mit wem schläft? (Das Rassische ist ja eh klar, gelle?) Orwell? Längst überholt. Manchmal, wenn ich mir solche Fragen stelle, habe ich Sorge, einer wie Don Quichotte geworden zu sein. Bekanntermaßen hatte der zu viele Ritterromane gelesen, sie für bare Münze genommen und dann gegen Windmühlen gekämpft, die er in seinem verwirrten Denken für Drachen hielt. Ich für meinen Teil lese gern Polit- und Geheimdienstkrimis. Wenn ich mich nach einer solchen Lektüre jedoch in der Realität umsehe, stelle ich fest: Es sind gar keine Windmühlen, gegen die unsereiner angeht – es sind wirklich Drachen. Vor sechs Jahren (Ossietzky 20/01) hatte ich vermutet, bald werde beim Kauf von Eisenbahn-Fahrkarten eine allgemeine Ausweispflicht eingeführt werden. Mit Fingerabdruck, versteht sich. Inzwischen ist EU-weit die Weitergabe persönlicher Daten von Bahnreisenden vereinbart. Da nun jedoch manche Leute Tickets immer noch anonym am Schalter (im Wortsinne) erstehen, statt sie sicherheitsbewußt schriftlich, telefonisch oder per Internet unter Angabe von Namen, Anschrift, Telefon- und Kontonummer zu bestellen, ergibt sich ein Problem: woher die Daten nehmen, wenn nicht stehlen? – Wer also zukünftig mit d’r schwäb’sche Eisebahne von Reutlingen nach Tübingen fahre will, muß als Beförderungsfall (bahninterne Kunden-Bezeichnung) den Ausweis vorlegen. Mit Fingerabdruck, versteht sich. Irgendwann in naher Zukunft werden Sie bei dieser Gelegenheit noch an mich denken. Wie ja sicher auch schon heute, wenn Sie laut EU-Verordnung 1782/2007 am Bankschalter bei Bareinzahlung von beispielsweise 2,57 Euro Namen, Geburtsdatum und Geburtsort angeben müssen, welchselbe Erkenntnisse dann weltweit erfaßt werden. Übersteigt die Summe gar 1.000,00 Euro, ist die Vorlage des Ausweises unabdingbar für den Kampf gegen Geldwäsche und Schwarzgelder. Logisch: Wäre diese Regelung schon letztes Jahr Gesetz gewesen, hätte man beispielsweise Herrn Zumwinkel leicht aus der Schlange vor dem Postbankschalter herausfischen können, wenn er seine Schwarzgelder peu à peu 5-Euro-weise auf den Weg nach Liechtenstein brachte. * Der Gesundheitswissenschaftler Adam Block von der US-Universität Harvard hat in der Fachzeitschrift Pharmaco Economics schon letztes Jahr ernsthaft vorgeschlagen, flächendeckend dem Trinkwasser Antidepressiva beizumengen. So ganz unrecht hat der Mann wohl nicht. * Gegenwärtig haben wir in Deutschland andere Probleme: Man fragt sich gelegentlich, was die Spezialdemokraten eigentlich gegen die Linkspartei haben. Sie steht doch voll auf dem Boden des Godesberger Programms. Was man allerdings von der SPD nicht unbedingt sagen kann.
Erschienen in Ossietzky 10/2008 |
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