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April 1933 berichtete am folgenden Tage der Sonnenburger Anzeiger: »Mit dem Gesang der Nationalhymne mußten die Häftlinge vom Bahnhof nach dem ehemaligen Zuchthaus marschieren, wobei vielfach der Gummiknüppel der Berliner Hilfspolizei nachhalf.« Der Gummiknüppel als Nachhelfer – das war der typische Jargon sadistischer SA-Männer; die Journalisten in einer Kleinstadt wie Sonnenburg machten sich diesen Jargon zu eigen. Ins KZ Sonnenburg wurden Kommunisten und andere Nazi-Gegner wie Ossietzky oder der anarchistische Dichter Erich Mühsam gebracht, die zumeist unmittelbar nach dem Reichstagsbrand verhaftet worden waren. Ein Beamter der Berliner Staatsanwaltschaft berichtete dem Berliner Polizeipräsidenten entsetzt von einem Inspektionsbesuch in Sonnenburg. Den jungen antifaschistischen Rechtsanwalt Hans Litten, so schrieb er, »traf ich mit völlig verquollenem Gesicht und geschwollenem linken Auge an. Mühsam war bei den Mißhandlungen sein künstliches Gebiß zerschlagen worden. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß es sich bei M. um einen alten Mann handelt, dessen Gesundheit ohnehin durch früher erlittene Haft bereits geschwächt ist.« Kreszentia Mühsam, die ihrem Mann nachreiste, schrieb nach dem Wiedersehen: »Ich habe […] ihn nicht erkannt zwischen den anderen. Wie sie geprügelt sind!« »Schutzhaft« nannte sich das, was die Gefangenen hier erwartete. Schutzlos waren sie der Brutalität der Nazis ausgeliefert. »Im Lager angekommen«, berichtete ein Häftling, »mußten die Gefangenen bei strömendem Regen im Hof stehen. Dann wurden die ersten in den Sälen untergebracht. Jeder mußte sich selbst Stroh aus einer anderen Etage holen. Auf der Treppe standen SA-Leute, die mit ihren Gummiknüppeln erbarmungslos auf die Gefangenen dreinschlugen. In den Sälen wurden wir wieder mit Stuhlbeinen und Gummiknüppeln geprügelt […] Ein SA-Mann steckte den Kopf des Gefangenen zwischen seine Beine, während ein anderer zuschlug. Die Genossen mußten die Schläge laut zählen. Bis zu 185 Schläge haben einzelne Gefangene erhalten.« Carl von Ossietzky war den Nazis besonders verhaßt. Hellsichtig wie kein anderer hatte er schon 1921, zwölf Jahre bevor die zwölfjährige Nazi-Diktatur begann, und dann immer wieder vor Hitler und dessen militärischen und industriellen Hintermännern gewarnt. Im KZ Sonnenburg wurde er nach einem Bericht eines Mithäftlings »besonders malträtiert«. Der Bericht erschien 1934 in der Exilzeitschrift Die neue Weltbühne. Darin heißt es: »Die Gefangenen traten auf dem Hof zum Dienst an. Carl von Ossietzky wurde im Laufschritt umhergejagt, mußte sich hinwerfen, aufstehen, wieder hinwerfen, wieder aufstehen. Betrunkene SA-Leute ließen sich das Vergnügen nicht nehmen, hinter ihm herzulaufen und Ungeschicklichkeiten Ossietzkys durch Schläge oder Fußtritte zu bestrafen. Oft vermochte sich Ossietzky kaum noch zu erheben, stumm lag er da, ohne Protest, ohne seinen Schmerz zu äußern. Solche Augenblicke benutzte der Sturmführer Bahr, ihn mit den Füßen zu stoßen und zu brüllen: ›Du polnische Sau, verrecke endlich!‹ Wenn sich Ossietzky erhob, wurde er wieder geschlagen und getreten. Einige Wochen wiederholten sich solche Szenen auf dem Gefängnishof.« Nach einigen Wochen lag Ossietzky im Krankenrevier und sah um Jahre gealtert aus. »Gebückte Haltung, eingefallenes Gesicht, gelbe, krankhafte Gesichtsfarbe, nervöses Gestikulieren mit den Händen, schlotternder Gang«, so wurde er von einem Mitgefangenen geschildert. Aber nie hat dieser Märtyrer geklagt. Ausländische Journalisten, die das Lager einmal besuchen durften, schrieben über die Begegnung mit Ossietzky, er habe auf alle Fragen mit »gut« oder »ja« geantwortet. Als ihn der US-amerikanische Journalist Hubert G. Knickerbocker zum Schluß fragte, ob er noch einen besonderen Wunsch habe, sagte Ossietzky: »Ja, schicken Sie mir die Bücher über den Strafvollzug im Mittelalter.« Auch seiner Frau, die ihn während seiner mehr als zehnmonatigen Haft in Sonnenburg zweimal besuchen durfte (das erste Mal nur für wenige Minuten), sagte und schrieb er immer wieder, ihm gehe es gut. Zugleich sorgte er sich zärtlich und klug um sie und die damals 13jährige Tochter, die zu seiner Erleichterung nach England in Sicherheit gebracht wurde. Seine stoische, tapfere Haltung bewahrte er auch im KZ Esterwegen, dem Arbeitslager im Moor an der deutsch-niederländischen Grenze, in das er im Februar 1934 verlegt wurde. Ein Sonnenburger Mithäftling schrieb später über Ossietzky: »Er, der am meisten Exponierte und darum am meisten Gequälte, verstand es sogar noch, anderen Mut und Kraft zu geben.« Deutsche Demokraten im Exil versuchten, sein Martyrium weltweit bekannt zu machen und die Propagandaschleier wegzuziehen, hinter denen das Nazi-Regime seine Verbrechen verbarg. Hitler hatte viele Bewunderer im Ausland. Der Vatikan ehrte Nazi-Deutschland gleich 1933 durch Abschluß eines Konkordats. Um so schwieriger war es, die Wahrheit über dieses Regime zu verbreiten. Unterstützung kam im Sommer 1934 aus Polen. Die neue Weltbühne berichtete: »In Warschau, Krakau und Lemberg wurden literarische Abende veranstaltet, bei denen über Ossietzkys Schicksal viel gesprochen wurde. Es wurden Telegramme an Ossietzky, an das deutsche Propagandaministerium und an die deutsche Gesandtschaft in Warschau gerichtet. Als Goebbels in Warschau war, versuchte eine Delegation von Intellektuellen und Arbeitern, den deutschen Gesandten von der Erregung der polnischen Pazifisten über Ossietzkys Schicksal zu unterrichten. Sie wurde nicht vorgelassen. Das reizte viele polnische Organisationen noch mehr, und es gibt jetzt in Polen eine lebhafte Bewegung für die Freilassung der in deutschen Konzentrationslagern schmachtenden politischen Gefangenen.« Ähnliche Initiativen entstanden in Frankreich und in Schweden, meist ausgehend von deutschen Emigranten. Besonders wirkungsvoll war die Kampagne für die Verleihung des Friedensnobelpreises an Carl von Ossietzky, sie erforderte sehr viel Engagement und Überzeugungskraft. In Norwegen, dem Land, das die Friedensnobelpreise vergibt, galt Hitler vielen Reichen und Einflußreichen als Hoffnungsträger. Prominente warnten davor, das große, starke Deutschland zu verärgern. Als schließlich 1936 die Entscheidung für Ossietzky fiel, entschied sich das norwegische Königshaus, der Verleihungszeremonie fernzubleiben, was nie zuvor geschehen war. Hitler verkündete, von nun an sei es allen Deutschen für alle Zeiten verboten, einen Nobelpreis anzunehmen. Das wirkt von heute aus gesehen lächerlich, aber es zeigt auch, wie stark sich Hitler damals fühlte. Daß das angestrebte Ziel der Kampagne erreicht wurde, war ein erster wichtiger Erfolg der internationalen Anstrengungen, über die faschistische Realität aufzuklären und Solidarität mit den Opfern zu wecken. Hier begann sich endlich ein parteienübergreifendes Bündnis gegen die expansive Nazi-Herrschaft zu entwickeln, wie Ossietzky es immer gewünscht hatte. Ossietzky, ein Mann von 46 Jahren, war inzwischen schwer krank. Er durfte nicht nach Oslo reisen, um den Preis entgegenzunehmen. Seinen stummen Kampf setzte er in Deutschland fort. Immerhin entließen die Nazis ihn aus dem KZ. In der Privatklinik des jüdischen Arztes Hans Dosquet, immer unter Kontrolle der Geheimen Staatspolizei, fand er ärztliche Obhut bis zu seinem Tode. Als Bert Brecht in Paris die Todesnachricht erhielt, schrieb er sein Gedicht:
Auf den Todes eines Kämpfers für den Frieden
Der sich nicht ergeben hat Ist erschlagen worden Der erschlagen wurde Hat sich nicht ergeben.
Der Mund des Warners Ist mit Erde zugestopft. Das blutige Abenteuer Beginnt. Über das Grab des Friedensfreundes Stampfen die Bataillone.
War der Kampf also vergebens?
Wenn, der nicht allein gekämpft hat, erschlagen ist Hat der Feind Noch nicht gesiegt.
Aber es vergingen noch sieben Jahre, und mehr als 50 Millionen Menschen starben einen gewaltsamen Tod, bis der Feind besiegt war. Als die Rote Armee Sonnenburg befreite, fand sie auf dem Schloßhof die Leichen von 900 Antifaschisten, die dort noch ganz am Ende der Nazi-Herrschaft ermordet worden waren. Die Stadt gehört heute zu Polen und heißt Slonsk. Polnische Behörden sorgen für die Pflege der KZ-Gedenkstätte und des Gräberfeldes der Nazi-Opfer. Vor 70 Jahren im faschistischen Deutschland durfte keine Trauerfeier für Ossietzky gehalten werden. Auf dem Friedhof in Berlin-Pankow an der Buchholzer Straße, wo Maud von Ossietzky die Urne mit der Asche ihres Mannes beisetzen ließ, durften keine Blumen niedergelegt werden. Es war verboten, eine Namenstafel anzubringen. In der Bundesrepublik Deutschland blieb es schwierig, Ossietzky zu ehren. Für alle diejenigen, die Hitler unterstützt hatten, war und blieb Ossietzky eine Herausforderung, der sie sich möglichst entzogen. Man ehrt lieber Offiziere der Nazi-Wehrmacht, die gegen Ende des Krieges die Führung auswechseln wollten, um gemeinsam mit den Westmächten an der Ostfront weiterzukämpfen. Eine Herausforderung blieb Ossietzky bis heute schon allein mit seiner Überlegung, die er kurz nach dem ersten Weltkrieg angestellt hatte: ob denn nun ein Schlußstrich gezogen worden sei oder ein Bindestrich. Wenn wir Ossietzky ehren wollen, müssen wir uns dieser Herausforderung stellen, müssen mit der gedanklichen und sprachlichen Schärfe, die er seine Leser gelehrt hat, uns selber befragen, ob es uns gelungen ist, die einst von ihm benannten antidemokratischen, rüstungs- und kriegstreiberischen Kontinuitäten zu brechen. In der DDR glaubte man darauf schon mit Ja antworten zu können.
Erschienen in Ossietzky 9/2008 |
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