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Geschröpft und betrogenWerner René Schwab Daß fast 6,5 Millionen Niedriglöhner und sieben Millionen Hartz-IV-Empfänger im Gegensatz zu den sowieso schon Wohlhabenden an dem viel gerühmten Aufschwung nicht teilhaben, sondern größtenteils weiter abrutschen, ist wohl den meisten Bundesbürgern klar. Vielen ist aber unbekannt, was den Behörden noch alles einfällt, die Armen zu schröpfen. Ein Klinikaufenthalt zum Beispiel macht arme Familien noch ärmer. So wird die Verpflegung im Hospital dem Hartz-IV-Empfänger als »Einkommen« angerechnet. Das führt dazu, daß die Leistungen um 121,45 Euro im Monat gekürzt werden können – auch bei Reha-Maßnahmen oder Kuren, sofern sie überhaupt noch bewilligt werden. Ärmer, zahlreicher und kränker gemacht werden die Armen auch durch die Gesundheitsreform. Seit rund fünf Jahren betragen die ihnen zugebilligten »Regelsätze« zur sogenannten Gesundheitsvorsorge (Medikamente und Arztbesuch) 13.17 Euro. Viele verzichten daher lange, oft zu lange auf notwendige medizinische Beratung und auf solche Medikamente, die zwar notwendig sind, aber nicht unter die Verschreibungspflicht fallen. Aber selbst für die vom Arzt verordneten Mittel müssen sie vielfach zuzahlen. Noch am 22. April dieses Jahres haben die wohldotierten Juristen des Bundessozialgerichts in einem Grundsatzurteil ungerührt behauptet, Empfängern von Arbeitslosengeld II sei eine finanzielle Beteiligung an den Arzneimittelkosten durchaus zumutbar. Bis Ende 2003 wurden noch laut Bundessozialhilfegesetz den Hartz-IV-Empfängerinnen die Kosten für Verhütungsmittel wie Pille oder Spirale ersetzt. Seitdem diese Leistung gestrichen wurde, ist die Zahl der ungewollten Schwangerschaften stark angestiegen. Bei einer Befragung gaben laut »Pro Familia« 80 Prozent an, das Geld reiche für Verhütungsmittel nicht aus. Wie denn auch? Auf staatliche Unterstützung angewiesene alleinstehende Frauen erhalten außer Miet- und Heizkostenzuschuß 375 Euro im Monat, in Partnerschaft lebende 311. Oftmals bekommen die Millionen der Ärmsten, die von Arbeitslosengeld II leben müssen, von der Agentur für Arbeit (Arge) nicht einmal das, was ihnen rechtlich zusteht, sondern müssen es sich erst übers Gericht erstreiten. Drei »banale« Fälle mögen das illustrieren: Einer Mutter wurde erklärt, für Schulausflüge ihres Sohnes steuere der Staat maximal 130 Euro im Jahr bei. Erst nach einem vom Rechtsanwalt formulierten Widerspruch gab es dann dem Gesetz entsprechend die notwendigen Gesamtkosten von 296,50 Euro. Einem Hilfe-Empfänger verweigerte die Arge 57,53 Euro, die als Nebenkosten für die Heizung zusätzlich angefallen waren. Die Begründung, die Antragsfrist betrage vier Wochen und sei überschritten, war frei erfunden. Die Antragsfrist beträgt nämlich vier Jahre. Einer Familie mit drei Kindern, deren alter Kochherd kaputt gegangen war, wollte die Arge kein Darlehen zur Neuanschaffung geben. Erst als eine Sozialarbeiterin schriftlich auf den entsprechenden Gesetzesparagraphen hinwies und mit Klage drohte, wurde das Geld gewährt – nach sechs Wochen! Die meisten der Hilfsberechtigten kommen gar nicht auf die Idee, daß etwas nicht stimme, was ihnen amtlich mitgeteilt wird. Auch so kann der Staat sparen. Die Bundesrepublik Deutschland rühmt sich, ein Sozialstaat zu sein. Und das, obwohl mit Ausnahme von Großbritannien nirgendwo in Westeuropa die Kluft zwischen Arm und Reich so groß ist wie hier. Die BRD hat mit fast 6,5 Millionen Menschen den zweithöchsten Stand an Niedriglöhnern (siehe Ossietzky 8/08). Und die Vorstandsvorsitzenden deutscher Unternehmer mit mehr als 1000 Beschäftigten verdienen im Durchschnitt pro Jahr 667.000 Euro. Nur die britische Kollegen liegen mit 8000 Euro mehr im Moment noch knapp vor ihnen.
Erschienen in Ossietzky 9/2008 |
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