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Zeitgleich brachten drei große Tageszeitungen aus dem Rheinland, aus Frankfurt und Mitteldeutschland den aktuellen Beleg für ostdeutschen Fremdenhaß. Dreifach-Autor Markus Decker wurde dutzendfach nachgedruckt, und das Blatt für gespreizte Federn namens Spiegel besuchte im Erkelenzer Exil die gemobbte Pfarrersgattin (32, zierlich, fünf Kinder, indischer Migrationshintergrund, Theologin, ohne Möglichkeit der beruflichen Selbstverwirklichung im dumpfen Osten). Miriam Neuschäfer sagt jetzt alles, was sie aufgeschrieben hat im »gelben Schnellhefter« mit »schwarzem Stift«, Belege von »Haß und Feinseligkeit«. Sie wird geduzt und auf dem Parkplatz angebrüllt. »Stunden, und ihnen würden immer neue Erlebnisse einfallen, die früher oder später zu dem Entschluß führen mußten: Wir gehen.« Im Supermarkt habe ihr ein älterer Herr an den Kopf geschleudert: »Geh zurück in den Urwald!« Bei Markus Decker hieß der Satz: »So was hat man früher zwangssterilisiert!« Beide Sätze hätten – eigentlich – sofort angezeigt werden müssen. Doch dazu hat das Familienoberhaupt, Pfarrer Reiner Andreas Neuschäfer, in Rudolstadt Religionsbeauftragter für Südthüringen, wohl nie Zeit gefunden. Er betätigt sich nämlich zum Beispiel als fleißiger Leserbriefschreiber über Greuel der »Fremderziehung« – und bekommt leider wegen seiner aufopferungsvollen Thüringer Arbeit im Rheinland keine Stelle. »Osterfahrung ist eher nicht so das, was gesucht wird« (O-Ton Neuschäfer-Decker). Rheinische Kirchenleitungen sollten den Pfarrer folglich schnell einstellen, sonst könnte ihre Fremdenfeindschaft publik werden. Die Reaktion in Rudolstadt übrigens ist genau so, wie pfiffige Journalisten ahnen. Das Stadtoberhaupt wiegelt ab: Fremdenfeindlichkeit gebe es nicht. Später relativiert er: nicht mehr als anderswo. Schließlich sei man gerade in Rudolstadt weltoffen, was Europas größtes Weltmusikfest alljährlich zeige, das Tanz- und Folkfest. Nun müßte das um Schadensbegrenzung bemühte Stadtoberhaupt nur die Lokalzeitung lesen. Wochenlang gibt es Aufregung um ein Asylbewerberheim, weitab von städtischem Leben. Die Bewohner dürfen nur mit Gutscheinen einkaufen. Leserbriefe: »Wir zahlen genug für Ausländer!«, »Wenn es denen hier so schlecht geht, sollen sie doch zurück in ihre Heimatländer!« Einer der Leserbriefschreiber teilt sonst in rechtsradikalen Postillen (Verlagsorte außerhalb Thüringens) seine gesunde Volksmeinung mit, was ihn aber nicht hindert, im Lokalblatt seinen letztlich erfolgreichen Kampf gegen das unmenschliche SED-Regime immer wieder herauszustellen. Als die Zeitung hingegen sechs Leute von der Straße fragt: »Haben Sie Verständnis für die Asylbewerberproteste?«, gibt es sechsmal Zustimmung – die Befragten stehen durchweg mit Bild zu ihrer ausländerfreundlichen Meinung. Aufregung auch, als in einer Dorfkneipe der Nachbarstadt die NPD einen Parteitag durchführt. Der Bürgermeister (Die Linke) sagt darauf öffentlich, daß er mit seinem Sportverein diese Kneipe nicht mehr betrete. Erregte Pressestimmen: Die NPD sei eine zugelassene Partei, der Herr Bürgermeister von der Unrechtspartei wolle wohl die Freiheit der Andersdenkenden unterdrücken, so wie er es im Verbrecherstaat DDR praktizierte. Auf den Internet-Seiten Rudolstadts geschieht ebenfalls das, was nach einer so massiven Öffentlichkeit von taz bis Anzeigenblatt geschehen muß: Empörte grüne, schwarzgelbe, rotrote aber vor allem westwestliche Bürger melden sich, daß sie nie wieder (!) Rudolstadt betreten werden, das mit seinem Folkfest nur eine Fassade aufgebaut und sie achtzehn Jahre (!) lang belogen und betrogen habe!! Bei solchen Internet-Haß-Mails meldet sich die Erinnerung: Gab es kollektive West-Empörung nicht schon mal? Als 1992 der Heß-Nazi-Marsch durch Rudolstadt tobte – als die Verwaltung zu blöd war, die Anmeldung rechtsstaatlich abzuschmettern? Rudolstadt, wo es statistisch nicht weniger – aber auch nicht mehr – Naziköpfe als anderswo in Kleinstädten gibt, hatte seinen Stempel: Nazi-Nest! Da muß man sich um Ausländer-, Frauen-, oder Friedensfeindlichkeit in Berlin-Zehlendorf, Frankfurt-Westend oder Erkelenz nicht mehr kümmern. Es meldet sich noch eine Erinnerung. Da war doch mal was in Sebnitz? Nazis hatten einer ehrbaren Apothekersgattin den farbigen Sohn geraubt und ertränkt. Oder doch nicht? Sebnitz bleibt in der Erinnerung als Fremdenfeindstadt. Denn eigentlich recherchieren deutsche Journalisten ordentlich, wenn es um Fremde geht. Daß es in Leipzig einen Bandenkrieg »mit südosteuropäischem Hintergrund« gibt, weiß man genau – daß aber ein NATO-Krieg in Südosteuropa Hunderttausende Menschen entwurzelte, ob sie nun Roma oder Serben heißen, müssen Journalisten in solchen Zusammenhängen nicht in Erinnerung rufen, sie erinnern sich selber nicht daran. Wozu dann Recherche? Im Fall Neuschäfer und Rudolstadt war so wie so alles klar. Die Familie »kaufte sich in Rudolstadt ein Haus. Sie kam, um zu bleiben.« Das Mehrfamilienwohnhaus in der Weinbergstraße 6 – »wo (Neuschäfer) unter der Woche auf einer Matratze in der ansonsten ausgeräumten Wohnung schläft« (Spiegel), gehört ihm nicht. Aber ein Haus in Rudolstadt hat er ganz gewiß gekauft. Daß man »unter der Woche« den Pfarrer selten in seinen Diensträumen sah, mag damit zusammenhängen, daß er sich vor Fremdenfeinden unsichtbar machen muß. Er ist hellhäutig und rheinischen Geblüts. Klar: Thüringer hassen Rheinländer. Deshalb wird die alte Berliner Losung »Ausländer rein – Rheinländer raus!« Regierungsprogramm, sobald Ramelows Linke die Macht in Erfurt an sich reißt. Über fortschrittliche Erziehungsmethoden wundern sich die diktaturgewohnten Rudolstädter. Tritt ein achtjähriges Kind absichtlich eine ältere Frau, so sagt der verständnisvolle, gegen »Fremderziehung« wetternde Vater, befragt, ob er seinen Sohn nicht zur Ordnung rufen wolle: »Mein Kind ist selbstbestimmt!« Tritt das Kind erneut, so spricht der Vater zu ihm: »Du mußt keine Angst haben. Die Frau darf dich nicht schlagen, sonst holen wir die Polizei.« Die Rudolstädter Polizei kam mehrmals in Sachen Neuschäfer. Anwälte wurden bemüht. Feige und rechtsstaatungeschult, wie Rudolstädter nun mal sind, gehen sie dem Streit aus dem Wege. Verlassen den Spielplatz, wenn Neuschäfer-Kinder auftauchen. Laden selbstbestimmt tretende Kinder einfach nicht zu Kindergeburtstagen. Entpuppen sich somit als Ausländerfeinde. Soeben gab es eine der üblichen Ausstellungseröffnungen im Ort – ohne überregionale Presse. Im Westen heißt so etwas Vernissage. Unter den sechzig Anwesenden ein gutes Dutzend Ausländer: Schweizer, Polen, Rumänen. Vier sahen deutlich außereuropäisch aus, afrikanisch und asiatisch. Für eine ostdeutsche Kleinstadt überdurchschnittlich viele Fremde. Die Ausländerfeindschaft hingegen ist – aufs Ganze gesehen – gewiß nicht unterdurchschnittlich. Das mag in Erkelenz und Verlagsorten meinungsführender Medien anders sein. Es ist traurig, wenn eine kinderreiche Familie überfordert ist. Es ist traurig, wenn sie Hilfsangebote von Nachbarn und Kirchgemeinde nicht anzunehmen versteht, wenn sie ihre sozialen und innerfamiliären Probleme allein im eigenen Aussehen zu begründen versucht. Es ist traurig, wenn ein Theologe auf jeder seiner beruflichen Stationen Probleme bekommt. Daß Journalisten aber genau daraus eine tränenrührende Story von der bestürzenden Ausländerfeindschaft ostdeutscher Kleinstädte schnitzen, finde ich beschämend. Denn die wirklichen Gruseligkeiten dieser Gesellschaft, seien es Asylbewerberheime, Nazi-Kneipen oder von Deutschen verschuldete Bandenkriege, geben offensichtlich nicht genug her. Nicht genug, um die Medienkonsumenten bei Laune und die Medienkurse bei hohen Gewinnen zu halten.
Erschienen in Ossietzky 8/2008 |
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