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Für Beckstein war dies eine gute Gelegenheit, sich als Law-and-Order-Mann zu beweisen und eine rechte Konkurrenz zur Union zu bekämpfen. Bald sprangen Spitzenpolitiker der rot-grünen Bundesregierung auf den Zug auf, neben dem Kanzler auch Innenminister Otto Schily. Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag beantragten gemeinsam vor dem Bundesverfassungsgericht das Parteiverbot. Das von den Karlsruher Richtern im Oktober 2001 angenommene Verfahren endete im März 2003, noch ehe es richtig begonnen hatte. Zur entscheidenden Prüfung, ob die NPD eine verfassungswidrige Partei ist oder nicht, kam das Bundesverfassungsgericht gar nicht. Schuld daran war der Dilettantismus der Antragsteller, denen es offensichtlich mehr um einen effekthascherischen Verbotsantrag als um ein tatsächliches Verbot ging. Im Verfahren stellte sich heraus, daß leitende Gremien der NPD von Spitzeln des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz unterwandert waren. Ausgerechnet Äußerungen eines dieser V-Leute, Wolfgang Frenz, der zu den Gründern der Partei gehörte und zeitweilig in ihrem Bundesvorstand saß, waren in den Verbotsanträgen als Beleg für die Verfassungswidrigkeit der Partei angeführt worden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die staatliche Durchsetzung der NPD mit V-Leuten für ein nicht behebbares Verfahrenshindernis. Ein Parteienverbot verlange »ein Höchstmaß an Rechtssicherheit, Transparenz, Berechenbarkeit und Verläßlichkeit«. Ein rechtsstaatliches Verfahren sei nur gewährleistet, »wenn auch die zur Antragstellung berechtigten Verfassungsorgane die ihnen zugewiesene Verfahrensverantwortung erkennen und wahrnehmen. Es ist zunächst die Pflicht der Antragsteller, durch sorgfältige Vorbereitung ihrer Anträge die notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung eines Verbotsverfahrens zu schaffen. Deshalb müssen die staatlichen Stellen rechtzeitig vor dem Eingang des Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht – spätestens mit der öffentlichen Bekanntmachung der Absicht, einen Antrag zu stellen – ihre Quellen in den Vorständen einer politischen Partei ›abgeschaltet´ haben; sie dürfen nach diesem Zeitpunkt keine die ›Abschaltung´ umgehende Nachsorge betreiben, die mit weiterer Informationsgewinnung verbunden sein kann, und müssen eingeschleuste V-Leute zurückgezogen haben.« In dieser Schelte für die Bundes- und Landesregierungen war zugleich die Grundvoraussetzung für ein neues, erfolgversprechendes Verbotsverfahren formuliert. 2007 – die NPD war inzwischen in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern eingezogen – kam die Initiative für ein neues NPD-Verbotsverfahren aus der Zivilgesellschaft. 175.445 Bürgerinnen und Bürger aus allen Teilen des Landes unterzeichneten einen von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) initiierten Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, in dem diese aufgefordert werden, den Antrag in die Wege zu leiten. Angesichts des großen Zuspruchs zu der VVN-Kampagne machten sich führende SPD-Politiker wie Berlins Innensenator Erhard Körting die Forderung zu eigen. Sie sahen darin eine willkommene Möglichkeit, das verschwommene Profil ihrer im Umfragetief dümpelnden Partei ein wenig zu schärfen und Begriffe wie »links« und »antifaschistisch« nicht allein der Linkspartei zu überlassen. Nach der pogromähnlichen Hetzjagd von Neonazis und Rassisten aus der Mitte der Gesellschaft auf eine Gruppe Inder im September 2007 in Mügeln stellte sich auch der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hinter die Forderung. Die Sozialdemokratie habe »keinen Zweifel, daß die NPD eine aggressiv-kämpferische Grundhaltung gegenüber unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat. Deshalb muß die NPD verboten werden«, heißt es in einem im Oktober vom Hamburger SPD-Parteitag beschlossenen Grundsatzpapier. Die Union reagierte ablehnend. Bayerns Innenminister und jetziger Ministerpräsident Günter Beckstein, der Initiator des ersten Verbotsverfahrens, warnte vor einem erneuten Scheitern, da V-Leute der Verfassungsschutzbehörden weiterhin in der NPD aktiv seien. Zugleich gaben vor allem Unionspolitiker zu erkennen, daß sie auf Spitzel in der NPD nicht verzichten wollen. Auf einer Innenministerkonferenz einigten sich Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und die Landesinnenminister auf die Einrichtung einer Länderarbeitsgruppe Rechtsextremismus, die bis Mitte April Material zusammentragen und dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages vorlegen sollte. Dann sollte geprüft werden, ob Chancen für ein neues Verbotsverfahren bestehen. Tatsächlich stehen die Chancen dafür äußerst schlecht. Der Grund dafür ist in der direkten und indirekten Sabotage der Unionsparteien und der SPD zu sehen. Die unionsregierten Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen weigern sich, Belastungsmaterial zur Verfügung zu stellen. Eine Ausnahme ist der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), der – offenbar angesichts einer aggressiven NPD-Fraktion im Schweriner Landtag – ein Verbot der faschistischen Partei vehement befürwortet. Die SPD-Innenminister kündigten dagegen an, gesammelte Erkenntnisse aus »frei zugänglichen Quellen« wie Internet, Kundgebungsreden von NPD-Funktionären oder Aussagen bei polizeilichen Verhören nach rechtsextremen Straftaten vorzulegen. Man werde dann sehen, daß sich die Verfassungswidrigkeit der NPD auch ohne geheimdienstliche Mittel nachweisen lasse. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) verzichtete nur deshalb auf eine öffentliche Präsentation des Materials im Internet, weil Bundesinnenminister Schäuble androhte, er werde dann schon das Prüfverfahren platzen lassen. Auch die Versicherungen des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck und seines Generalsekretärs Hubertus Heil, weiterhin ein Verbot der NPD anzustreben, erweisen sich als Wählertäuschung. Denn auch die SPD-Innenminister sind mehrheitlich nicht bereit, die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Voraussetzungen für ein neues Verfahren zu erfüllen und rechtzeitig alle V-Leute des Verfassungsschutzes aus den Gremien der NPD abzuschalten oder abzuziehen. Von »frei zugänglichen Quellen« allein wird sich das Bundesverfassungsgericht nicht beeindrucken lassen, solange die Spitzel nicht abgeschaltet sind. Lediglich die Links-Fraktion im Bundestag bleibt bei ihrer Forderung, V-Leute in der NPD abzuschaffen. Schließlich dienen diese Spitzel nicht der Aufklärung, sondern betätigen sich als staatlich bezahlte Nazihetzer und in manchen Fällen auch darüber hinaus als Schwerkriminelle. Es drängt sich der Verdacht auf, daß die Herrschenden die NPD gar nicht verbieten wollen, weil sie sie brauchen. Schon Franz-Josef Strauß gab einst die Losung aus, daß man mit »Hilfstruppen« nicht zimperlich sein dürfe – Hilfstruppen, die bei Bedarf gegen die Linke losgelassen werden oder, wie von Berlusconi in Italien praktiziert, zur Not auch als Mehrheitsbeschaffer der bürgerlichen Rechten herhalten dürfen, um einen befürchteten Linksruck zu verhindern. Und wenn Rechtsextreme und Rechtspopulisten unter den präkarisierten Opfern neoliberaler Regierungspolitik auf Stimmenfang gehen und damit der Linken in einem Wählersegment Konkurrenz machen, das die Sozialdemokratie schon längst verloren hat, dann kommt auch bei so manchem Sozialdemokraten klammheimliche Freude auf. Nutznießer dieses traurigen Eiertanzes ist die NPD. Die faschistische Partei ging schon aus dem ersten gescheiterten Verbotsverfahren mit dem Nimbus der »Legalität« gestärkt hervor. Jetzt hat die Partei erneut unverdiente mediale Aufmerksamkeit. Und während sich die ehemalige Arbeiterpartei SPD mit unehrlichen Verbotsforderungen antifaschistisch gebärdet und links blinkt, trommelt die NPD als selbsternannte neue Arbeiterpartei zu Aufmärschen am 1. Mai, den sie in Hitlerscher Tradition als »Tag der deutschen Arbeit« bezeichnet.
Erschienen in Ossietzky 8/2008 |
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