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Obwohl dieser Urteilsspruch für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik Deutschlands eminente Bedeutung besitzt, fand unter dessen Analysten bislang kaum Beachtung, daß die Bundesverwaltungsrichter darin ein für allemal eindeutig, umfassend und erschöpfend klarstellen, wie der Verteidigungsbegriff im Grundgesetz denn zu verstehen ist. Sie bekräftigten: »Die primäre Aufgabe der Bundeswehr ergibt sich ... aus Art. 87a Abs. 1 GG, wonach der Bund Streitkräfte ›zur Verteidigung‹ aufstellt.« Nach Auffassung der Richter ist damit zum einen der »Verteidigungsfall« nach Art. 115a GG gemeint, also eine Situation, in der das »Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht«. Der entscheidende Passus hinsichtlich der Reichweite des Verteidigungsbegriffs im Grundgesetz folgt unmittelbar: »Da der Normtext des Art. 87a Abs. 1 und 2 GG von ›Verteidigung‹, jedoch – anders als die zunächst vorgeschlagene Fassung – nicht von ›Landesverteidigung‹ spricht und da zudem der verfassungsändernde Gesetzgeber bei Verabschiedung der Regelung im Jahre 1968 auch einen Einsatz im Rahmen eines NATO-Bündnisfalles als verfassungsrechtlich zulässig ansah, ist davon auszugehen, daß ›Verteidigung‹ alles das umfassen soll, was nach dem geltenden Völkerrecht zum Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta), der die Bundesrepublik Deutschland wirksam beigetreten ist, zu rechnen ist.« Artikel 51 der UN-Charta besagt: »Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.« Mit seinem höchstrichterlichen Urteilsspruch widerlegt das Bundesverwaltungsgericht unanfechtbar die in der sicherheitspolitischen Diskussion häufig vorgetragene Auffassung, das Grundgesetz begrenze den Einsatz der Bundeswehr auf die Verteidigung des Territoriums der Bundesrepublik Deutschland sowie des NATO-Vertragsgebiets. Stattdessen definieren die Bundesverwaltungsrichter einen weiten Verteidigungsbegriff, der alles umfaßt, was die UN-Charta erlaubt, zugleich beschränken sie ihn aber eben auch strikt auf deren Bestimmungen. Denn, so die Richter, »Art. 51 UN-Charta gewährleistet und begrenzt in diesem Artikel für jeden Staat das – auch völkergewohnheitsrechtlich allgemein anerkannte – Recht zur ›individuellen‹ und zur ›kollektiven Selbstverteidigung‹ gegen einen ›bewaffneten Angriff‹, wobei das Recht zur ›kollektiven Selbstverteidigung‹ den Einsatz von militärischer Gewalt – über den Verteidigungsbegriff des Art. 115a GG hinausgehend – auch im Wege einer erbetenen Nothilfe zugunsten eines von einem Dritten angegriffenen Staates zuläßt (z. B. ›Bündnisfall‹). Der Einsatz der Bundeswehr ›zur Verteidigung‹ ist mithin stets nur als Abwehr gegen einen ›militärischen Angriff‹ (›armed attack‹ nach Art. 51 UN-Charta) erlaubt, jedoch nicht zur Verfolgung, Durchsetzung und Sicherung ökonomischer oder politischer Interessen.« Die rechtlichen Hürden für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte legt das Gericht demnach sehr hoch, indem es die Zulässigkeit militärischer Gewaltanwendung strikt auf die in der UN-Charta vorgesehenen Fälle (Kap. VII und Art. 51) begrenzt: »Ein Staat, der sich – aus welchen Gründen auch immer – ohne einen solchen Rechtfertigungsgrund über das völkerrechtliche Gewaltverbot der UN-Charta hinwegsetzt und zur militärischen Gewalt greift, handelt völkerrechtswidrig. Er begeht eine militärische Aggression.« Und, so das Gericht weiter im Hinblick auf die deutschen Unterstützungsleistungen für den im Jahre 2003 geführten Aggressionskrieg am Persischen Golf: »Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt ist selbst ein völkerrechtliches Delikt.« Ergo müßten von Rechts wegen – ginge es denn hierzulande nach Recht und Gesetz oder auch nur nach Anstand und Moral – die ehedem willfährigen deutschen Handlanger des angloamerikanischen Völkerrechtsverbrechens gegen den Irak und dessen Bevölkerung längst hinter Schwedischen Gardinen schmoren, ob Bundesminister oder Bundeswehr-Generäle. Indessen: Wo kein Kläger, da kein Richter.
Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.
Erschienen in Ossietzky 8/2008 |
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