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März 1952, in der er die Wiedervereinigung eines entmilitarisierten Deutschlands anbot, sei nichts als ein »großer Bluff« gewesen, behauptet der Herausgeber Peter Ruggenthaler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung in Graz, und damit soll der Westen ein für allemal von der Schuld an der jahrzehntelangen Teilung Deutschlands entlastet sein. Er leitet seine These vom »großen Bluff« der Stalin-Note vor allem aus dem Studium »bisher nicht zugänglicher Akten aus dem Bestand Vjaceslav Molotov ab. Molotov sei zwar 1949 als Minister für Auswärtige Angelegenheiten von Stalin abgesetzt und durch Andrej Vysinskij ersetzt worden, habe aber im weiteren als »Überwacher« der Außenpolitischen Kommission des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei fungiert. Über seinen Schreibtisch seien in den Jahren 1951/52, in denen die Stalin-Note vorbereitet wurde, alle wichtigen Informationen gelaufen. Dazu zählten die Berichte des Außenministers Vysinskij und seines Stellvertreters Andrej Gromyko wie auch des Ministers für Staatssicherheit, Semen Ignatev. Molotov habe sie ausgewertet und analysiert, ehe sie zur Entscheidungsfindung an das Politbüro beziehungsweise. zu Stalin gelangten. Als weitere Quellen verweist Ruggenthaler auf das Findbuch des Bestandes Stalin, von dem allerdings »ca. 200, vor allem Schlüsseldokumente umfassende Faszikel nach wie vor der Geheimhaltung unterliegen«, sowie eine »Sondermappe« der »unter besonderer Geheimhaltung beschlossenen Politbüro-Beschlüsse«, von denen jedoch »nicht alle Beschlüsse geöffnet worden« seien. Wie bei diesen Einschränkungen eine definitive Aussage über die Stalin-Note getroffen werden kann, wie es Ruggenthealer tut, ist schwer nachzuvollziehen. Ruggenthaler meint, »daß wohl Walter Ulbricht die eigentliche ›geistige Vaterschaft‹ der Stalin-Note, das heißt, jener deutschlandpolitischen Strategie, der sich der Kreml 1951/ 52 bediente, zuzuschreiben ist«. Ulbricht sei klar gewesen, »daß sich Washington von der ›Remilitarisierung‹ Westdeutschlands nicht abbringen ließ, und dies nutzte er zur Konsolidierung seiner eigenen Macht«. Anfang März 1952 sei schließlich »der ideale Zeitpunkt gekommen, um den Höhepunkt in der ein Jahr zuvor eingeschlagenen Strategie zu setzen. Der Stellvertretende Außenminister, Andrej Gromyko, empfahl Stalin, mit dem Neutralisierungsangebot für Deutschland würde die Sowjetunion ›die Lage der drei Mächte und der Bonner Regierung noch mehr verkomplizieren‹. Zudem sollte man, so Gromyko, der absehbaren Unterzeichnung des Generalvertrages, des separaten ›Friedensvertrages‹ der Westmächte mit Westdeutschland, zuvorkommen.« Indirekt ist mit diesen Sätzen schon die entscheidende Wahrheit bestätigt: daß Washington Westdeutschland remilitarisieren wollte, daß die Westmächte einen separaten Vertrag mit Westdeutschland beabsichtigten, daß sie also auf die Teilung Deutschlands hinarbeiteten. Von dieser Wahrheit lenkt Ruggenthaler uns ab, wenn er Ulbricht die »geistige Vaterschaft« an der Stalin-Note zuschreibt und wenn er lange Überlegungen anstellt, daß es sich bei der Stalin-Note nur um eine Finte gehandelt habe, um die »Sowjetisierung« der DDR und ihre politische, wirtschaftliche und militärische Einbindung in den »Ostblock« historisch zu legitimieren. Und auch für diese Vermutungen bringt er kaum mehr als einen aktenmäßigen Indizienbeweis, der mich nicht überzeugt. Die Stalin-Note von 1952 hatte eine lange Vorgeschichte. Zu ihr gehört, daß die Sowjetunion schon auf der Moskauer Außenministerkonferenz von 1947 das Problem des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland auf die Agenda setzte, sich aber mit der demonstrativ vor Beginn der Konferenz proklamierten »Truman-Doktrin« konfrontiert sah, die als die wesentliche Aufgabe die »Verteidigung der freien Welt« vor dem »Totalitarismus«, konkret: dem Kommunismus proklamierte, also die große Koalition der vier Mächte gegen Hitler aufkündigte. In der Besatzungspolitik der Amerikaner vollzog sich ein drastischer Wandel. Die USA sabotierten den Beschluß der Potsdamer Konferenz, deutsche Zentralverwaltungen zur Vorbereitung eines einheitlichen deutschen Staates zu schaffen, stattdessen nahmen sie Kurs darauf, die amerikanische und die britische Zone zur Bizone zusammenzuschließen und sie als Basis eines separaten westdeutschen Staates auszubauen. Als Molotov auf der Londoner Außenministerkonferenz der vier Siegermächte im Dezember 1947 die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung und den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland beantragte, widersetzten sich die Westmächte, indem sie andere Fragen (zum Beispiel die Reparationen) für vordringlich erklärten. Gegen diese Politik der Spaltung konstituierte sich in der Sowjetischen Besatzungszone unter Führung der SED der Deutsche Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden, um der Londoner Außenministerkonferenz die Forderung vorzutragen, die wirtschaftliche und politische Einheit Deutschlands herzustellen, eine zentrale deutsche Regierung zu bilden und eine deutsche Nationalversammlung vorzubereiten, damit die Alliierten mit einer demokratisch legitimierten Vertretung des deutschen Volkes einen Friedensvertrag abschließen könnten. Die britische Regierung verweigerte einer Delegation des Volkskongresses die Einreise. Die Volkskongreßbewegung fand aber auch in den westlichen Besatzungszonen beträchtlichen Anhang und wurde daraufhin erst von der britischen, dann der amerikanischen, schließlich auch der französischen Militärregierung verboten. Daß diese Initiative der SED-Führung ohne Abstimmung mit den Sowjets möglich gewesen wäre, ist kaum anzunehmen. Diese Vorgeschichte der Stalin-Note, die für deren Ernsthaftigkeit spricht, kommt in der Ruggenthaler-Untersuchung viel zu kurz. Der ökonomischen Spaltung Deutschlands durch die Währungsreform in Westdeutschland im Juni 1948 folgte mit der Schaffung der Bundesrepublik im Mai 1949 auch die politische Spaltung. Die Frage eines Friedensvertrags wurde wiederbelebt, nachdem Adenauer im August 1950 in einer geheimen Denkschaft sein Einverständnis zur Verstärkung der Besatzungstruppen mit dem Angebot der Remilitarisierung und der Einbeziehung westdeutscher Verbände in die sogenannte »Europaarmee« verbunden hatte (womit er nur formulierte, was Washington von ihm erwartete, um nicht zu sagen forderte). Als das durch den Rücktritt des Bonner Innenministers Gustav Heinemann (CDU) im Oktober 1950 bekannt wurde, bildete sich eine Front von Remilitarisierungsgegnern, die sich bis in die Bonner Regierungsparteien erstreckte. Laut einer Spiegel-Umfrage antworteten 85 Prozent der befragten Bundesbürger, keine Soldaten werden zu wollen, 68 Prozent lehnten eine Wiederbewaffnung selbst bei einer Gleichstellung der Bundesrepublik mit den anderen Mächten ab, und 82 Prozent sprachen sich gegen den Eintritt der BRD in die NATO aus, ein Ergebnis, das die politisch Verantwortlichen in Washington zweifeln ließ, ob es gelingen werde, »die Deutschen zu zwingen, auf der Seite der USA zu kämpfen«. Die öffentliche Stimmung war also durchaus gegen die Remilitarisierung, und es lag daher nahe, statt der Remilitarisierung einen Friedensvertrag anzustreben, wie es Ende November 1950 der Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl, in einem Brief an Bundeskanzler Adenauer vorschlug. In Abstimmung mit dem Treffen der Außenminister der Sowjetunion, der Volksdemokratien und erstmalig der DDR im Oktober 1950 wurde vorgeschlagen, einen Gesamtdeutschen Konstituierenden Rat für die Bildung einer provisorischen gesamtdeutschen Regierung zwecks Abschluß eines Friedensvertrags vorzubereiten. Adenauer wies im Januar 1951 das Angebot zurück: Zuerst müßten die Voraussetzungen für freie Wahlen in der DDR durch die UN geprüft werden. Zugleich ließ er den »Sicherheitsbeauftragten« Theodor Blank sowie die Nazigeneräle Hans Speidel und Adolf Heusinger mit den Hochkommissaren der Westmächte die Modalitäten der Wiederbewaffnung aushandeln. Am 14. April 1951 bildete sich in Essen ein Hauptausschuß für die Durchführung einer Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluß eines Friedensvertrages, zu dessen Repräsentanten der CDU-Mitgründer Wilhelm Elfes gehörte. Zehn Tage später ließ Adenauer dem Ausschuß verbieten, sich zu betätigen. Trotzdem erbrachte die Befragung laut Angaben des Hauptausschusses mehr als neun Millionen Stimmen gegen Remilitarisierung und für Verhandlungen über einen Friedensvertrag. Bereits im September 1950 hatte die Bundesregierung die Mitgliedschaft in der KPD, in der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes, der Freien Deutschen Jugend, im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und anderen Vereinigungen mit der Tätigkeit im Staatsdienst für unvereinbar erklärt; nachfolgend hatte die DGB-Führung ihren hauptamtlichen Funktionären einen antikommunistischen »Revers« abverlangt. Auf Antrag des von der KPD zur SPD konvertierten Abgeordneten Herbert Wehner als Vorsitzenden des Gesamtdeutschen Ausschusses des Bundestags zwecks »Unterbindung der Unterschriftensammlung für eine Volksbefragung bezüglich der Remilitarisierung« peitschte Justizminister Thomas Dehler (FDP) das Erste Strafrechtsänderungsgesetz (»Blitzgesetz«) durch den Bundestag, das die Hoch- und Landesverratsartikel der Weimarer Verfassung novellierte. Auch jede Beziehung zur DDR wurde unter den Verdacht zumindest des Landesverrats gestellt. Im November 1951 beantragte schließlich die Bundesregierung das Verbot der KPD. Die definitive Wende in der Strategie der Westmächte erfolgte auf der Washingtoner Außenministerkonferenz im September 1951, auf der beschlossen wurde, das Besatzungsstatut durch einen sogenannten Deutschlandvertrag zu ersetzen, der zusammen mit einem Vertrag über die westdeutsche Beteilung an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in Kraft treten sollte. Einer Wiedervereinigung Deutschlands sollte nur bei dessen Eingliederung in das westliche Bündnissystem zugestimmt werden. Das Angebot der Volkskammer der DDR an den Bundestag vom 15. September 1951, Vertreter für eine gesamtdeutsche Beratung über den Abschluß eines Friedensvertrags zu benennen, wurde von der Mehrheit des Bundestags schroff zurückgewiesen und durch die Forderung nach einer UN-Kommission zur Überprüfung der Voraussetzungen für freie Wahlen in der DDR konterkariert. Dementsprechend lehnte auch Bundespräsident Theodor Heuß den brieflichen Vorschlag des DDR-Staatspräsidenten Wilhelm Pieck vom November 1951 ab, für Verhandlungen mit der DDR über Vorbereitungen einer gesamtdeutschen Vertretung für einen Friedensvertrag einzutreten. Aber die Stimmung im Volk war immer noch mehrheitlich gegen die Remilitarisierung und auch, allerdings schwächer, für Verhandlungen mit der DDR. Die »Notgemeinschaft für den Frieden Europas«, die Anfang Januar 1952 von Heinemann und Helene Wessel (Zentrum) in Essen gegründet wurde, die evangelischen Kreise um Pastor Niemöller, die Unterzeichner der verbotenen Volksbefragung gegen Remilitarisierung und für einen Friedensvertrag, die Anhänger der »Ohne-mich«-Bewegung, vor allem aber starke Kräfte im Deutschen Gewerkschaftsbund bildeten ein außerparlamentarisches politisches Potential, das seine Ergänzung in oppositionellen Kräften auch in den nichtkommunistischen Parteien fand, so in breiter Mehrheit in der Bayernpartei und im Zentrum, aber auch bei Kräften in der SPD. In der ersten »Wehrdebatte« (7./8. Februar 1952) im Bundestag sprach sich die Adenauer-Mehrheit für die Aufstellung von einem Dutzend westdeutscher Divisionen und ihrer Eingliederung in die damals geplante Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) aus. Ich erinnere mich, wie damals zum Beispiel die Landesdelegiertenkonferenz des DGB Bayern beschloß, jeden deutschen Wehrbeitrag abzulehnen. Die DGB-Vorsitzenden Christian Fette und Hein von Hoff (beide SPD) wurden niedergestimmt, als sie für einen westdeutschen Wehrbeitrag im Rahmen der EVG plädierten. Adenauer hatte allen Grund, bei den Westmächten auf einen raschen Abschluß des Deutschlandsvertrags und der EVG zu drängen, um einem »verlockenden Angebot« durch die Sowjetunion, wie er formulierte, zuvorzukommen. Wie ernst die Bundesregierung die Bewegung für ein neutrales, entmilitarisiertes Gesamtdeutschland nahm, sollte sich am 11. Mai 1952 zeigen, als die von Pastor Herbert Mochalski, einem Mitstreiter Martin Niemöllers, initiierte »Jugendkarawane für Frieden, gegen Generalvertrag« trotz kurzzeitigen Verbots an die 30.000 Teilnehmer in Essen versammelte, die auf Befehl des Bundesinnenministers Robert Lehr (CDU) mit gewaltiger Polizeimassierung auseinandergetrieben wurden, wobei der Münchner Junggewerkschafter Philipp Müller durch Polizeischüsse in den Rücken getötet wurde. Nein, die Stalin-Note vom 10. März 1952 mit ihrem Angebot eines neutralisierten wiedervereinten Deutschlands war nicht, wie Ruggenthaler aus Akten erschließen zu können glaubt, bloß eine risikolose Finte, ausgeheckt von der politischen Führung der DDR unter Walter Ulbricht, um die Westintegration der Bundesrepublik sowohl auf politischem als auch auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet zu stören; sie hätte ernsthaft geprüft werden müssen. Doch Adenauer wies sie im Bundestag mit seiner Mehrheit schroff zurück und reagierte mit maßloser Hetze gegen »die Soffjets«, die angeblich mit 187 Divisionen an Fulda und Werra bereitstanden, um Westeuropa »aufzurollen«. Am 16.März 1952 in Siegen gab er sogar sein strategisches Ziel zu erkennen, es gehe ihm mit seiner Politik nicht nur um Deutschland, sondern um eine »Neuordnung in Osteuropa«, und seinen Staatssekretär Walter Hallstein ließ er die »Integration Europas bis zum Ural« fordern. Am 26.Mai 1952 unterzeichnete er zusammen mit den drei westlichen Hochkommissaren in Bonn den Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den drei Westmächten (»Generalvertrag«), einen Tag später in Paris den EVG-Vertrag, der die Bundesrepublik bedingungslos in das westliche Bündnissystem einband; die Einzelheiten wurden den Deutschen so lange wie möglich verheimlicht. Die gegenüber dem Besatzungsstatut erweiterte Souveränität der BRD behielt den Westmächten das Einspruchsrecht in Fragen der Wiedervereinigung, das Recht der Truppenstationierung für ein halbes Jahrhundert und eine Notstandsklausel vor. Durch die Klausel, daß eine Revision der Verträge erst möglich sei, wenn das wiedervereinigte Deutschland in das westliche Bündnissystem einbezogen werden könne, wurde die Spaltung Deutschlands auf unbestimmte Zeit festgeschrieben. Viel, wenn im historischen Augenblick nicht alles, kam darauf an, wie sich die stärkste parlamentarische Oppositionskraft, die SPD, verhalten würde. Wie ihr Parteivorsitzender Schumacher dachte – auch wenn er es an nationalen Phrasen selten fehlen ließ –, war seit langem klar. Nach Beginn des Kalten Kriegs im Juni 1950 hatte er beispielsweise die USA und Großbritannien aufgefordert, zur Sicherheit Westdeutschlands 50 bis 80 Divisionen an der »Zonengrenze« aufmarschieren zu lassen, um notfalls zwischen Oder und Njemen eine »Entscheidungsschlacht« gegen die Sowjetarmee führen zu können. Jetzt tönte er zwar am 22. Mai: »Wer dem Generalvertrag zustimmt, hört auf, ein Deutscher zu sein«, aber die SPD beließ es bei der Erklärung der Bundestagsfraktion vom 18. März, die Stalin-Note müsse gründlich geprüft und die Frage der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands vordringlich behandelt werden. Mit der Forderung, die Durchführung freier Wahlen von einer UN-Kommission abhängig zu machen, begab sich die SPD auf die Adenauer-Linie, und mit der (erneuten) Ablehnung der Einladung der SED vom 24. März 1952 zu Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung nahm sie sich schließlich jede eigene Handlungsfreiheit gegenüber der Adenauer-Mehrheit. Bei der ersten Lesung der Westverträge im Bundestag am 9. und 10.Juli 1952 stimmte die SPD wie die KPD gegen die Verträge. Aber während Bundestagspräsident Hermann Ehlers (CDU) unter dem Druck der öffentlichen Meinung am 19. September eine Delegation der Volkskammer empfing, die Vorschläge für eine deutsche Verständigung unterbreitete, lehnte der Parteivorstand der SPD einen Empfang rigoros ab. Auf dem Parteitag der SPD Ende September 1952 in Hamburg wurden die Westverträge durch den (nach Schumachers Tod) neuen Parteivorsitzenden Ollenhauer zwar als Hindernis für die Wiedervereinigung bezeichnet, aber der Widerstand gegen sie beschränkte sich auf die Ankündigung, zu späterer Zeit »eine Revision auf gesetzlichem Wege« anstreben zu wollen. Die von verschiedenen Delegierten erhobenen Forderungen nach außerparlamentarischen Aktionen wurden abgelehnt und gemeinsames Handeln von SPD und KPD ebenso wie Verhandlungen mit der DDR ausgeschlossen. Dabei zeigte der 2. Bundeskongreß des DGB in Westberlin im Oktober 1952, daß die Ablehnung der Remilitarisierung noch so stark war, daß der Vorsitzende Christian Fette abgewählt wurde, nachdem er offen für einen westdeutschen »Verteidigungsbeitrag« eingetreten war. SPD-Mitglieder, die sich für Aktionseinheit auch mit Kommunisten aussprachen und für Verhandlungen mit der DDR eintraten, wurden ausgeschlossen, zum Beispiel diese drei Frauen: Edith Hoereth-Menge, Stadträtin in München, weil sie Mitglied des Weltfriedensrates wurde; Lilly Wächter, SPD-Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg, weil sie sich an einer Internationalen Kommission zur Untersuchung des Einsatzes von biologischen Waffen im Koreakrieg durch die USA beteiligte; Rosa Hillebrand, Landtagsabgeordnete in Bayern, weil sie im Kampf gegen die Remilitarisierung auch ein partielles Zusammengehen mit Kommunisten nicht ausschloß. Als Pieck, Grotewohl und Ulbricht Anfang April 1952 in Moskau mit der sowjetischen Führung über die Fragen der Grenzsicherung, des sozialistischen Staatsaufbaus und der Aufstellung einer Nationalarmee berieten, vollzogen sie damit nur nach, was der alte Separatist Adenauer in den Verhandlungen mit den Westmächten seit dem Sommer 1950 betrieben hatte, nämlich die Einbindung Westdeutschlands in das westliche Bündnissystem auch um den Preis der Spaltung Deutschlands auf unbestimmt lange Dauer »wetterfest« zu machen. Die in Moskau vorbereiteten Maßnahmen der »planmäßigen Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR« einschließlich der Schaffung einer eigenen nationalen Armee wurden durch die II. Parteikonferenz der SED vom 9. bis 12. Juli 1952 – gleich nachder ersten Lesung der Westverträge im Bundestag – gebilligt. Daß sich auch in der DDR Proteste gegen eine Remilitarisierung erhoben, hätte für die parlamentarische Opposition im Bundestag, vor allem die SPD, Grund sein können, eine gesamtdeutsche Bewegung entwickeln zu helfen, aber die SPD zeigte sich nicht einmal bereit, ohne unüberwindbare Vorbedingungen in gesamtdeutsche Verhandlungen über den sowjetischen Friedensvertragsvorschlag einzutreten. Trotz starker Demonstrationen gegen die Remilitarisierung, vor allem in den rheinischen Großstädten, konnte Adenauer am 19. März 1953 die Verträge in dritter Lesung durchsetzen. Die DDR aber geriet durch den forcierten Aufbaus einer eigenen Schwerindustrie (um sich von den Erpressungen des Interzonenhandels freizumachen) und die Aufstellung einer Volksarmee in solche ökonomische Schwierigkeiten, daß sich die sozialen Konflikte zum 17. Juni 1953 steigerten. Hätte die SPD sich vom antikommunistischen Komplex, der sie zu einer Gefangenen Adenauers machte, frei gemacht, so hätte sie damals schon die Handlungsfreiheit gewonnen, die sie erst Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre nutzte, als sie sich endlich über das von der CDU unter Adenauer verhängte Verhandlungsverbot mit der DDR hinwegsetzte und mit ihrer sublimen politischen Losung vom »Wandel durch Annäherung« die DDR ideologisch statt militärisch-gewaltsam zu unterwandern begann und die politische Führung der DDR in die Verblendung trieb, die »nationale Frage« sei mit dem Abschluß des Grundlagenvertrags im Jahr 1972 »ein für allemal« zugunsten zweier deutscher Nationen entschieden. Wie auch immer man die Stalin-Note historisch interpretieren mag, die Tatsache bleibt, daß sowohl die Adenauer-Koalition als auch dieFührung der SPD die Probe auf den Pudding scheuten. Beide weigerten sich, auf die konkreten Verhandlungsangebote einzugehen. Dabei wäre das Risiko für die SPD weitaus geringer gewesen als für die CDU, denn im Falle des Zustandekommens freier Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung, mit deren Regierung der Friedensvertrag auszuhandeln gewesen wäre (einschließlich einer von den Siegermächten wie von der UN garantierten Neutralität Deutschlands), hätte sich aller Wahrscheinlichkeit nach eine Mehrheit für die SPD ergeben, daneben eine Minderheit von SED/ KPD und als Gegenspieler ein differenziertes bürgerliches Lager. Eine solche Lösung der deutschen Frage wäre für die Sowjetunion weitaus billiger und weniger risikoreich gewesen als die Fortdauer und Vertiefung der Spaltung Deutschlands. Der Kalte Krieg verschärfte sich, das Wettrüsten eskalierte ließ, zudem weckte Westdeutschland besondere Besorgnisse, indem es darauf bestand, daß die Frage der deutschen Grenzen offen bleiben müsse. Auch und gerade deswegen hat es keinen Sinn, die Stalin-Note mit konkreten Vorschlägen für einen Friedensvertrag mit einem wiedervereinigten Deutschland als Bluff oder Finte darzustellen. Wahr ist und bleibt, daß Deutschland nicht nur wirtschaftlich (durch die westdeutsche Währungsreform 1948) und staatlich (durch die Gründung der BRD) von Westen her geteilt wurde, sondern daß sich die Spaltung dann auch durch die westlichen Entscheidungen vertiefte, keinen Friedensvertrag für ganz Deutschland zu schließen, eigene Streitkräfte aufzustellen und sich mit den westlichen Nachbarn zu einem gegen den Osten gerichteten Militärpakt zusammenzuschließen. Wiederaufrüstung statt Wiedervereinigung war lange Zeit die – unausgesprochene – Devise der westlichen Politik; der ganz und gar defensive Mauerbau 1961 verstellte den Blick auf diese Wahrheit. Egon Bahr hat recht, wenn er in seinen Memoiren in einer Nachbetrachtung der Stalin-Note fragt: »Wenn die Wiedervereinigung wirklich unser wichtigstes, gar vordringlichstes Ziel war, wäre das nicht wenigstens einen Versuch wert gewesen, herauszufinden, ob sie zu unseren Bedingungen zu haben ist?«
Peter Ruggenthaler (Hg.): »Stalins großer Bluff. Die Geschichte der Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung«, Verlag Oldenbourg, 256 Seiten, 24.80 €
Erschienen in Ossietzky 7/2008 |
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