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Die verbreitete Ankündigung, nie mit der Linkspartei sprechen oder gar Politik machen zu wollen, ist eine der harmloseren Varianten. Auch der erwogene Boykott der Olympischen Spiele, der sich schon einmal, 1980, als dummer Fehler erwiesen hat. Schädlicher sind solche Kühnheiten, wenn sie zu Lasten Dritter gehen – wie die Weigerung, mit der Hamas über die dringenden Probleme im Gaza-Streifen zu reden. Das emphatische »Kein Kontakt zu Terroristen«, worauf sich die Kanzlerin gleichsam als Gastgeschenk vor ihrer Reise nach Israel noch einmal festgelegt hat, ist deshalb so gefährlich, weil es mit dem Boykott und der Blockade des Gazastreifens furchtbare Auswirkungen auf 1,5 Millionen Palästinenser – Frauen, Männer und zu 56 Prozent Kinder – hat. Hier handelt es sich nicht um Lüge oder Täuschung – allenfalls Selbsttäuschung –, sondern um Dummheit mit katastrophalen Folgen. Offiziell wird die Blockade als Reaktion auf die Machtübernahme der Hamas im Juni 2007 in Gaza ausgegeben. Doch schon unmittelbar nach der Wahl vom 25. Januar 2006 begann die Isolierung der Hamas, da das Wahlergebnis nicht den Wünschen Israels und der USA entsprach. Die Hamas hatte 56 Prozent der Stimmen gewonnen. Vor der Wahl hatte Gaza einem offenen Gefängnis geglichen, dessen Wärter nur die unmittelbar lebenswichtigen Kontakte mit der Außenwelt zuließen. Dann aber begann die Erpressung. Das sogenannte Nahost-Quartett (USA, EU, Rußland und UNO) diktierte der Hamas drei Bedingungen: Aufgabe jeglicher Gewalt, Anerkennung des Existenzrechts Israels und Anerkennung aller vorherigen Abkommen. Von Israel verlangte das Quartett nichts. Als die Hamas ablehnte, drehte das Quartett den Geldhahn für die Palestinian Authority zu und nahm ihr damit die Mittel, die sie benötigte, um die anfallenden Gehälter und Löhne zu zahlen und das jährliche Budget von rund zwei Milliarden Dollar zu decken. Israel verschärfte die Grenzsperren, entführte 64 Hamas-Offizielle, darunter 45 Parlamentsabgeordnete, die noch heute in israelischen Gefängnissen sitzen, und schickte seine Armee in den Gaza-Streifen, nachdem einer ihrer Soldaten entführt worden war. Die Ereignisse, die dann zum Staatsstreich der Hamas führten, lesen sich heute etwa so, wie im Sommer 2007 schon vermutet wurde. Nur heute haben wir die Bestätigung durch Hintergrundberichte wie den von David Rose »The Gaza Bombshell« in der Aprilnummer von Vanity Fair. Die USA – wer sonst? – drängten den Palästinenser-Präsidenten Abbas (Führer der Fatah-Partei, die der Hamas bei der Wahl unterlegen war), die Situation in Gaza zu bereinigen. Ihr Mann war der damalige Abbas-Vertraute und Sicherheitsberater Mohammad Dahlan. Der Plan war, Dahlan mit militärischen Kräften und neuen Waffen auszurüsten, um Fatah in den Stand zu versetzen, die gewählte Hamas-Regierung aus dem Amt zu jagen. Hamas bekam Wind von dem Komplott und drehte den Spieß um, bevor die zahlenmäßig weit überlegenen Fatah-Truppen die notwendige Kampfstärke erreicht hatten. Der Plan scheiterte also und konnte nur mit anderen Mitteln weitergeführt werden. Die wirtschaftliche und politische Blockade hat grauenvolle Konsequenzen für die in Kollektivhaft genommene Bevölkerung. Das Konzept hat gegen Kuba nicht geholfen und wird auch Iran nicht zur Aufgabe seiner Atomtechnologie bewegen können. Ob es gegen Libyen und Nordkorea gewirkt hat, ist umstritten. In Gaza nimmt es kriminelle Formen an, da es im Widerspruch zu den Menschenrechten und besonders zu dem in der Vierten Genfer Konvention von 1949 kodifizierten Verbot kollektiver Bestrafung steht. Die jüngsten Berichte des Beauftragten des UN-Menschenrechtsrats, John Dugard, und von sechs bekannten Nichtregierungsorganisationen über die katastrophalen Lebensbedingungen im Gaza-Streifen bezeugen allen Regierungen, welches Desaster ihre Politik in diesem überbevölkerten Landstrich angerichtet hat. Die Aufhebung der Blockade ist daher nicht nur eine rechtliche, sondern auch humanitäre Notwendigkeit. Sie wäre allerdings nur der erste Schritt, um zu einer vernünftigen, das heißt politischen Lösung aller jener Probleme zu kommen, die derzeit zwischen der israelischen Regierung und der Hamas bestehen. Wer Frieden will, muß verhandeln statt nur diktieren wollen. Es gibt nicht nur Israels legitime Forderung nach Einstellung des Beschusses seiner Grenzstädte, sondern auch Gazas Forderung nach Sicherheit vor den tödlichen Überfällen israelischer Trupps. Wer den Begriff des Terrorismus bemühen möchte, sollte ihn richtigerweise auf beide Seiten anwenden. Beide Seiten haben das gleiche Sicherheitsinteresse gegenüber dem anderen, und beide verfügen über legitimierte, aus demokratischen Wahlen hervorgegangene Verhandlungsführer. Beide haben sich zu dem Konzept einer Zwei-Staaten-Lösung bekannt, worüber sie bereits verhandelt haben. Doch auf der palästinensischen Seite ist nur die knappe Hälfte der Bevölkerung repräsentiert, denn die Wählerschaft der Hamas bildet die Mehrheit der Bevölkerung. Wer dies vernachlässigt, wird später genauso überrascht wie seinerzeit im Januar 2005. Mit Strafen und Sanktionen kann man die Herzen und Köpfe der Bestraften nicht gewinnen. Vielleicht will man es auch gar nicht. Daß Hamas nicht verhandeln wolle, ist eine Schutzbehauptung. Beide Seiten verhandeln unter Vermittlung der Ägypter, aber nur über das Los des israelischen Soldaten Shalid und den Austausch von Gefangenen – und das ist zu wenig. Erinnern wir uns der Jahre, in denen die israelischen Regierungen jede Verhandlung mit der PLO abgelehnt haben. Auch damals war der Verdacht aufgekommen, wie man ihn heute von Nablus bis Hebron wieder hören kann, daß man sich so am besten den drohenden Kompromissen und notwendigen Zugeständnissen entziehen kann – nichts ist gefährlicher als der Verhandlungstisch. Also: »Kein Kontakt mit Hamas.« Aber nein, Frau Merkel: Israel kann dauerhafte Sicherheit nur am Verhandlungstisch erhalten. Und dazu gehört es auch, mit der Hamas zu reden.
Erschienen in Ossietzky 7/2008 |
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