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Treffend kommentierte Heribert Prantl, ehemaliger Staatsanwalt: »Die Richter haben der Politik, der Nato und der Bundeswehr eine Carte Blanche ausgestellt. Sie haben das heiße Eisen Afghanistan-Krieg nicht angefaßt, sondern es nur distanziert betrachtet. Sie haben solchen Militär-Aktionen keine Grenzen gesetzt. Die dritte Gewalt zieht sich zurück und überläßt der exekutiven Gewalt und dem Militär das Terrain und die Offensive.« Mit ihrem nach 1994 und 2001 dritten Urteil zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr begründen die Verfassungsrichter, vermutlich ohne es überhaupt zu merken, nichts anderes als eine Doktrin des euro-atlantischen Internationalismus, die letztlich nicht anderes darstellt als das mit umgekehrten Vorzeichen versehene Prinzip des »proletarisch-sozialistischen Internationalismus«, das im November 1968 der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Leonid Breschnew, deklariert hatte, um nachträglich den Einmarsch von Truppen des Warschauer Vertrages in die damals noch existierende Tschechoslowakische Sozialistische Republik (CSSR) zu rechtfertigen. Im Westen besser bekannt als »Breschnew-Doktrin«, beschränkte jene außenpolitische Direktive die innere und äußere Souveränität der Warschauer Vertragsnationen auf die »sozialistische Selbstbestimmung« und formulierte – frei nach der Devise: »Wo der Sozialismus gesiegt hat, ist der Prozeß unumkehrbar« – einen Anspruch auf Intervention in deren innere Angelegenheiten. Für den Fall des Abweichens vom rechten Pfad des Sozialismus nämlich sollte den betreffenden Ländern des realen Sozialismus’ »brüderliche Hilfe«, gegebenenfalls auch mit Waffengewalt, zuteil werden. Breschnews Chimäre wurde im Jahre 1985 durch eine Erklärung Michail Gorbatschows auf dem Schuttplatz der Geschichte beigesetzt. Nun aber hat das Bundesverfassungsgericht zu Karlsruhe die Mumie exhumiert und ideologisch neu ausstaffiert – und freundlich grüßt darob Genosse Leonid aus seiner Moskauer Gruft. Der globale Hegemonieanspruch der NATO, den das Bundesverfassungsgericht in seinem wahrlich bahnbrechenden Urteilsspruch konstituiert, entspringt aus zwei Prämissen. Zum einen, so die Richter, »können, wie der 11. September 2001 gezeigt hat, Bedrohungen für die Sicherheit des Bündnisgebiets nicht mehr territorial eingegrenzt werden«. Soll heißen: Da sich die Risiken globalisiert haben, darf demzufolge auch die atlantische Allianz global agieren und intervenieren. Zur Rechtfertigung militärischer Gewaltanwendung genügt nach Auffassung des Gerichts stets ein wie auch immer gearteter »Bezug zur eigenen Sicherheit im euro-atlantischen Raum« – und mag dieser auch noch so sehr an den Haaren herbeigezogen sein wie etwa die Erklärung, von Afghanistan aus sei ein bewaffneter Angriff gegen die USA erfolgt. Kurzum: Immer wenn die NATO ihre Sicherheitsinteressen tangiert sieht, ist sie nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts weltweit automatisch zur Intervention befugt – die bloße Behauptung genügt. Keineswegs sei, so die Verfassungsrichter, hiermit eine strukturelle Veränderung des ursprünglichen Vertrages über ein »klassisches Verteidigungsbündnis« verbunden, dem der Deutsche Bundestag 1955 zugestimmt hatte. Denn andere militärische Einsätze als den gegenseitigen Beistand im Bündnisfall regle der NATO-Vertrag nicht ausdrücklich, und daher seien »auch Krisenreaktionseinsätze erlaubt, ohne daß dadurch der Charakter als Verteidigungsbündnis in Frage gestellt würde«. Zudem konnte das höchste deutsche Gericht wie schon im Jahr 2001 keinerlei Anhaltspunkte dafür finden, daß sich das atlantische Bündnis von seiner friedenswahrenden Zwecksetzung abgekoppelt hätte. Denn nach Ansicht der Verfassungshüter »manifestiert sich in den Erklärungen der Staats- und Regierungschefs der Allianz anläßlich des NATO-Gipfels in Riga vom 28. und 29. November 2006 der Wille der NATO, auch ihre Operation in Afghanistan auf das Ziel der Wahrung und Stabilisierung des Friedens auszurichten« – und an solcher Zusicherung lupenreiner Demokraten sind Zweifel schließlich völlig unangebracht. Die höchstrichterliche Eloge auf das nordatlantische Friedensbündnis gipfelt in der abschließenden Feststellung: »Auch in den Teilen der Erklärungen, die über das Engagement der NATO in Afghanistan hinausgehen, finden sich keine Anhaltspunkte für eine Abkehr der NATO von ihrer friedenswahrenden Ausrichtung, zumal auch dort betont wird, die NATO halte unverrückbar an den Zielen und Prinzipien der Vereinten Nationen fest.« Wo Frieden draufsteht, ist auch Frieden drin, lautet demnach die schlichte Maxime der blauäugigen Verfassungshüter. Von Mogelpackungen scheint man in Karlsruhe noch nie etwas gehört zu haben – anders als die Opfer jener Bomben für den Frieden, die weit hinten in Afghanistan und anderswo tagtäglich fallen. Das Ärgste ist schließlich, wie die Verfassungsrichter mit dem Völkerrecht umgehen – das nach Artikel 25 des Grundgesetzes Bestandteil des Bundesrechts ist und den Gesetzen vorgeht. So begründen nach Auffassung des Gerichts »Völkerrechtsverletzungen durch einzelne militärische Einsätze der NATO, insbesondere die Verletzung des Gewaltverbots, nicht bereits für sich genommen einen im Organstreitverfahren rügefähigen Verstoß«. Auch nimmt das Bundesverfassungsgericht »keine allgemeine Prüfung der Völkerrechtskonformität von militärischen Einsätzen der NATO« vor. De facto erteilt es mit seinem Urteilsspruch der atlantischen Allianz eine Lizenz zum Völkerrechtsbruch. Nach dem frivolen Motto, ein bißchen Völkerrechtsbruch könne nicht schaden, konstatieren die höchsten deutschen Richter allen Ernstes, daß, »selbst wenn man von einer punktuellen Zurechnung einzelner Völkerrechtsverstöße ausginge, sich damit jedenfalls keine Abkehr der NATO von ihrer friedenswahrenden Zielsetzung begründen ließe«. Und weiter heißt es in dem Urteil: »Um mit dem ISAF-Einsatz einen systemrelevanten Transformationsprozeß der NATO weg von der Friedenswahrung belegen zu können, müßte dieser Einsatz insgesamt als Verstoß gegen das Völkerrecht erscheinen.« Im Klartext folgt daraus: Solange weder die Bundesregierung noch die NATO selbst dumm genug sind zu erklären, sie führten einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, so lange läßt das Bundesverfassungsgericht sie ohne Vorbehalt gewähren, so lange dürfen sie die Bundeswehr für die weltweite »Friedenssicherung« mit Militärgewalt mißbrauchen. Auf die Frage: Wollt ihr den globalen Krieg?, antwortet es inbrünstig: NATO befiehl, wir folgen! Was von der in solcher »Rechtsprechung« aufscheinenden richterlichen Attitüde zu halten ist, brachte Christian Bommarius in der Berliner Zeitung mit spitzer Feder auf den Punkt: »Gäbe es den Straftatbestand der richterlichen Desertion, dann hätte ihn das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung über die Tornado-Einsätze in Afghanistan erfüllt. Die Richter sind dem Verfassungsrecht von der Fahne gegangen. ... Das juristische und intellektuelle Niveau dieser Entscheidung ist bedrückend. Aber beschämend ist, daß kein einziger der acht Richter der Versuchung der verfassungsrechtlichen Fahnenflucht in einem abweichenden Votum widerstand.« Dem bleibt nichts hinzuzufügen.
Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs, die in Ossietzky 1/08 begann, wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.
Erschienen in Ossietzky 7/2008 |
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