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Das wird heiß

Ein Essay über die Klimadebatte und die Grenzen der Vernunft

von Winfried Rust

Wer heute etwas auf sich hält, ist Klimaretter. Atomstrom-Firmen werben vor azurblauen Wellen mit Windkrafträdern und Gezeitenkraftwerken, Ölkonzerne investieren in Solarenergie, Pendler steuern im "sparsamen" Auto zum Job. Mit dem Klimawandel hat die ökologische Frage endgültig die Nische verlassen. Insbesondere bei der Politikinszenierung ist Klimaschutz zukunftsfähig. So schaffte es Bundeskanzlerin Angela Merkel, sich beim G8-Gipfel in Heiligendamm, als EU-Ratspräsidentin oder bei der UN-Klimakonferenz auf Bali als Anwältin des Weltklimas zu inszenieren. Deutschland begreift sich als avancierter Umweltlobbyist in der ohnehin avancierten Europäischen Union. Um das zu untermauern, bedient sich die ehemalige Umweltministerin Merkel gerne der NGO-Terminologie: "Nur wenn wir offene Märkte, faire Wettbewerbsbedingungen, nachhaltiges Wirtschaften und soziale Gestaltung von Wachstum und Beschäftigung im Rahmen eines kohärenten Gesamtkonzepts verfolgen, werden wir einen fairen und ausgewogenen Globalisierungsprozeß erreichen."

Bereits seit der ersten UN-Umweltkonferenz 1972 in Stockholm bekundete die internationale Staatengemeinschaft ihren Willen zur "grenzüberschreitende[n] Zusammenarbeit in Umwelt- und Naturschutzfragen". Beim UN-Umweltgipfel in Rio 1992 wurde als Lösungsstrategie der Begriff der Nachhaltigkeit ausgegeben. Mit dem im Frühjahr 2007 veröffentlichten vierten Sachstandbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wurde erstmals von ganz oben eingestanden, daß die Klimaerwärmung zum guten Teil von den Menschen gemacht wird, voranschreitet und dramatische Auswirkungen haben wird. Mit der Weltklimakonferenz auf Bali im Dezember 2007 folgt auf die Ära der Nachhaltigkeit die des Klimaschutzes. Verbindliche Höchstwerte für Emissionen, deren Überschreitung mehr als nur symbolisch sanktioniert würde, gibt es trotzdem bislang nicht.

Utopische Realpolitik

Jenseits der Sonntagsreden über Klimaschutz verwendet die deutsche Politik ihren Arbeitsalltag darauf, Kohlekraftwerke zu bauen, das Straßennetz zu erweitern, die Deutsche Bahn AG an die Börse zu bringen oder halbherzige Umweltschutzmaßnahmen zu verhindern, zum Beispiel ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. So wird nach Bali die altbekannte Verkehrs- und Infrastrukturpolitik einfach fortgesetzt: An erster Stelle bei den staatlichen Investitionen in Mobilität steht nach wie vor die Instandhaltung und der Ausbau des Straßennetzes.

Auch in der Wirtschaft gibt es neben dem anzeigentauglichen umweltfreundlichen Image, um das sich viele Unternehmen bemühen, einen marktorientierten Alltag. Die Deutsche Bahn AG und die Deutsche Post AG formieren sich als Global Player in der Frachtverkehr- und Logistikbranche, denn entgegen der ökologischen Vernunft wächst das Volumen der transportierten Waren weiter und weiter. Hier werden harte Fakten geschaffen, denen die weichgespülte Öko-Rhetorik nicht wirklich etwas entgegensetzt. Die Auslagerung der Produktion in Billiglohnstandorte bewirkt ein sinnloses Hin- und Herfahren von Gütern. Die Transportkosten einer Flasche Rotwein aus Chile betragen heute lächerliche zehn Cent. Deutschland importiert pro Jahr Tierfutter im Wert von 1,6 Milliarden Euro und exportiert Tierfutter im Wert von 1,6 Milliarden Euro. Die Ökobilanz der wachsenden Luft- und Güterschiffahrt ist verheerend. Die Kosten dafür wie auch für den aufwendigen Ausbau der (Flug-) Häfen und der Verkehrswege tragen nicht die Unternehmen, die davon profitieren, sondern die öffentlichen Haushalte. Und auch der Güterverkehr auf der Straße deckt weniger als die Hälfte der Kosten, die er durch Straßenbau und Umweltschäden verursacht.

Viel Widerstand regt sich dagegen nicht. Die erneute Erweiterung des Frankfurter Flughafens müßte in Zeiten des Klimawandels eigentlich ein Fanal für Aktivitäten sein, gegen die die Auseinandersetzungen um die Startbahn West ein Kindergeburtstag waren. Denn die Sache ist klar: In den nächsten zehn Jahren muß nach dem Bericht des IPCC der Anstieg des CO2-Ausstoßes weltweit gestoppt und in der Folge halbiert werden, um dramatische Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern. Eine neue Start- und Landebahn widerspricht diesem Ziel diametral. Den Bau zu unterlassen, wäre einfachste Klimaschutz-Realpolitik. Und doch ist diese Politik heute völlig utopisch.

Stunde der Wahrheit

Denn die hiesigen Produktions- und Lebensgewohnheiten sind tief mit der Umweltzerstörung verbunden. In Deutschland sind zum Beispiel 1,1 Millionen Menschen bei der Automobilindustrie und ihren Zulieferbetrieben beschäftigt. Dazu kommen Arbeitsplätze für Reparatur, Verkauf oder Straßenbau. Auch in anderen Ländern ist die Automobilindustrie eine wesentliche Grundlage ganzer Volkswirtschaften und verfügt über entsprechende Macht. Das Dilemma dabei: Einerseits läßt sich in Kooperation mit der Automobilindustrie kaum ein entscheidender Schritt gegen die hohen Emissionen machen. Eine ökologisch sinnvolle Verkehrswende würde der Automobilindustrie die Geschäftsgrundlage nehmen. Autofahren ist dem öffentlichen Verkehr in der Schadstoffbilanz hoffnungslos unterlegen. Andererseits läßt sich gegen die Automobilindustrie ebenfalls kaum Politik machen, weil viele Menschen von den Arbeitsplätzen abhängig sind.

Wie wirkt sich das auf die Klimaschutzpolitik aus? Bereits das Reformziel des EU-Umweltkommissars Stavros Dimas, den durchschnittlichen CO2-Ausstoß der Fahrzeugflotten bis 2012 auf 120 Gramm pro Kilometer zu beschränken, war für die deutsche Umweltpolitik eine Stunde der Wahrheit. Es sei "mehr als unredlich, wenn in Brüssel unter dem Deckmäntelchen des Klimaschutzes knallharte Industriepolitik zulasten Deutschlands betrieben wird", wies Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) das Reförmchen zurück. Das Greenpeace-Magazin fragte ihn vor kurzem, ob Klimaschutz Spaß macht: "Ja, na klar!" Klar ist aber vor allem, daß Gabriel die geplanten Emissionsbestimmungen im EU-Ministerrat und im EU-Parlament zugunsten der deutschen Automobilindustrie verändern will. Die Praxis gehört weiter dem Standortnationalismus. Der baden-württembergische CDU-Generalsekretär Thomas Strobl formulierte das dankenswert deutlich: "Niemand will, daß sich der Ministerpräsident mit einer japanischen Reisschüssel durch die Gegend kutschieren läßt."

Ein Auto ist jedoch nicht nur Statussymbol, sondern für viele auch Sachzwang. Öffentliche Verkehrsmittel sind häufig umständlich oder unzuverlässig. In vielen Gegenden ist das Nahverkehrsnetz so schlecht ausgebaut, daß es kaum eine Alternative zum Auto sein kann. Wer eine Reise über tausend Kilometer im Zug anstatt im Billigflieger macht, bezahlt mehr. In den so genannten Schwellenländern begibt man sich derzeit in genau dieselben Abhängigkeiten. Aus der individuellen Perspektive ist dieses Handeln rational. Und Zweifel am Sinn dieser Art von Mobilität lassen sich durch die neuen Lebenslügen vom Biosprit und dem Energiesparauto zerstreuen. So entsteht ein neuer Markt, der die ökologisch bewußten Konsumenten bedient und so dafür sorgt, daß kritische Impulse systemimmanent kanalisiert werden.

Soziale Frage ohne Antwort

Ebenso wenig wie der gegenwärtige Ökologie-Diskurs eine radikale Abkehr von gegenwärtigen Formen von Mobilität und Verkehr bedeutet, stellt er die grundlegende Verknüpfung von ökologischer und sozialer Frage her. Exemplarisch für die Verschränkung ökologischer und sozialer Mißstände ist das Problem, daß in vielen Städten des Südens kein Abwassersystem und in vielen Bezirken keine Müllabfuhr existieren. So müssen die dort lebenden Menschen ihre direkte Umwelt fast schon durch ihre Existenz schädigen, sie verschlechtern die Möglichkeit, zum Beispiel Gemüse anzubauen oder verschmutzen das Grundwasser, woraufhin wieder Trinkwasser fehlt. Diese Mißstände beruhen auf der ungleichen Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Umweltschutz macht wenig Sinn, wenn nur Begüterte in seinen Genuß kommen. Abwasser, Müllabfuhr oder gar ein funktionierender öffentlicher Nahverkehr könnten das Leben in den Slums wesentlich verbessern und wären ökologisch sinnvoll. Aber die Vorstellung, daß Umweltschutz notwendigerweise mit Umverteilung einhergehen muß, wird von westlichen Ökos häufig beiseite geschoben. Reflexhaft blicken sie beim Stichwort Umwelt auf die Natur oder technische Neuerungen.

Der Klimawandel verschärft die ungleichen Lebensvoraussetzungen von Nord und Süd. Im Norden, wo der Klimaanstieg primär verursacht wird, sind die Folgen zunächst weniger dramatisch. Im Einzelnen kann die Klimaerwärmung sogar nützlich für die Landwirtschaft sein. Die Boombranche der Energiespartechnologien sitzt in den nördlichen Industriestaaten. Für Afrika hingegen schätzt die Weltgesundheitsorganisation, daß der Klimawandel bereits heute für jährlich 150.000 zusätzliche Todesopfer verantwortlich ist. Die IPCC-Berichte erwarten für Afrika in Zukunft dramatische Ernterückgänge. Pflanzensorten verschwinden aus bisherigen Wuchsregionen und verbreiten sich in Richtung Norden. Schon bei einem Temperaturanstieg von 2,5 Grad wären ca. 45 bis 55 Millionen Menschen von Hunger und Unterernährung betroffen. Im Süden sind kaum Mittel vorhanden, um die einschneidenden Klimafolgen zu bewältigen, während die Auswirkungen in den reichen Industrienationen eher zu managen sind: Zum Beispiel im Schweizer Andermatt, wo die Gletscher im Sommer von reflektierenden Plastikfolien geschützt werden.

Die UN-Klimakonferenz auf Bali hat begonnen, einen UN-Klimaschutzfonds einzurichten, der die Folgen des Klimawandels für die armen Länder lindern soll. Derzeit befindet sich in diesem Topf die Summe von 36 Millionen Dollar. Bis 2030 "sollen" jährlich über eine Milliarde Dollar dazu kommen, wenn die Entwicklungsländer ausreichend in umweltfreundliche Technologien investieren. Sicherlich sind dadurch sinnvolle Klimaschutzprojekte möglich - aber im Grunde setzt sich hier das Modell der "milden Gabe" fort, das die grundlegenden Probleme nicht antastet.

Auch der reale Gehalt der zukünftigen Klimaschutzpolitik, der sich im Umgang mit Klimaflüchtlingen abzeichnet, paßt wenig zur Rede vom "fairen und ausgewogenen Globalisierungsprozeß". Schon heute schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk den Anteil von Klimaflüchtlingen an den 40 bis 50 Millionen Flüchtlingen weltweit auf über ein Drittel.

Die Antwort der in Klimafragen so avancierten Europäischen Union auf die wachsende Zahl von Klimaflüchtlingen besteht im Wesentlichen darin, die Grenzen weiter abzudichten und das "Flüchtlingsproblem" so gut es geht außerhalb des eigenen Territoriums zu verwalten. Die kapitalistische Wirtschaftsweise treibt eine wachsende Zahl von Umweltflüchtlingen in die Zäune der Länder, in denen man deren Probleme schafft.

Hinter dem angeblich gemeinsamen Ziel Klimaschutz verschwindet die soziale Frage, so wie bereits bei der Phrase der Nachhaltigkeit. Als typisches Weltrettungsthema stiftet der Klimaschutz ein "Wir", dem jede reale Grundlage fehlt. Denn die verschiedenen Weltregionen und Gesellschaftsschichten sind ganz unterschiedlich verantwortlich für den Klimawandel und werden auch unterschiedlich von ihm betroffen sein. Und in Zukunft werden sie zum Beispiel um "Verschmutzungsrechte" konkurrieren. Wer dabei gewinnt, kann man sich ausrechnen.

Kapitalismus- und Klimawandel

Sicherlich ist die kapitalistische Marktlogik nicht einzig und allein verantwortlich für Zerstörung der natürlichen Umwelt. Viele Waldgürtel Südeuropas waren bereits zu Beginn der Neuzeit abgeholzt und verödet. Und so verschieden die dem "Westen" gegenüberstehenden Regimes realsozialistischer, islamistischer oder ethnozentrischer Ausrichtung sind: In der Naturbeherrschung agieren sie ohne Rücksicht. Allerdings ist das marktwirtschaftliche Modell der westlichen Industriestaaten empirisch betrachtet die maßgebliche Ursache des aktuellen Klimawandels. Die Lösungsmodelle, die nun aus seiner eigenen Logik hervor treten, verdienen jede Skepsis.

Die auf der kapitalistischen Marktordnung basierenden Klimaschutzmaßnahmen sind Teil des Problems, nicht der Lösung. Obwohl sich nichts an der Produktions- und Lebensweise verändert, wird Veränderung vorgespielt. Solange nicht gefragt wird, warum Wunsch und Wirklichkeit hier nicht zusammen kommen, solange lenkt die Rede vom Klimaschutz von den realen Verhältnissen ab. Die These von der strukturellen Destruktivität des Kapitalismus drängt sich in der Debatte förmlich auf. Profitmaximierung - und nicht gute Lebensbedingungen oder Umweltschutz - ist der Antrieb wirtschaftlicher Tätigkeit. Mensch und Natur werden dabei zum Mittel für die Erlangung von Gewinn. Der Gebrauchswert ist dem Tauschwert untergeordnet, die Umwelt und in der Tendenz auch die menschlichen Beziehungen werden zur Ware, das harte Prinzip der Marktwirtschaft ist Konkurrenz.

Wenn mit Umweltschutz einmal Kasse zu machen ist, nimmt man das natürlich mit. Hier ein neues Paradigma auszurufen, ist allerdings naiv. Gewinne fließen auch dann nicht in Umweltmaßnahmen, wenn Klimaschutz zum größten Ideal wird. Denn der kleinste Handwerker ebenso wie der größte Finanzfonds hat die Aufgabe, das Kapital in dessen Vermehrung zu reinvestieren - der subjektive Wille hat hier wenig Einfluß. Die gewaltige Umstellung, nach der der Energieverbrauch bis 2050 um zwei Drittel reduziert werden soll, ist technisch möglich, aber kaum wahrscheinlich. Denn die real existierende Wirtschaftsmaschine bleibt auf kurzfristige Eigeninteressen ausgerichtet und nicht auf langfristige vernünftige Ziele. Für die Kritik dieser Koordinaten ist auch der Horizont der Fachdisziplinen Ökologie oder Klimaschutz zu eng. Ein Verständnis der strukturellen Vernutzung von Mensch und Natur in der Marktwirtschaft ist in der vorherrschenden Klimaschutzpolitik nicht erkennbar.

Sein destruktives Moment kann der Kapitalismus nicht ablegen, aber wandelbar ist er. Die Marktwirtschaft geht aus ihrer Krise beispielsweise mit dem neuen Boomsektor Ökotechnologie gestärkt hervor. Neue Produkte wie Biosprit benötigen neue Industrien - so bleibt die Wirtschaft dynamisch. Unter den gegebenen Voraussetzungen ist der zerstörerische Umgang mit der Natur also kurz- und mittelfristig produktiv, denn die Frage nach den langfristigen Kosten wird traditionell zur Seite gedrängt. Das funktioniert mit der Klimaschutzperformance vermutlich noch längere Zeit. Denn der Klimagipfel in Bali sendet der Struktur Marktwirtschaft die Botschaft: "Weiter so!" Entsprechend sind die Folgerungen des IPCC für die Weltwirtschaft moderat. Die Wirtschaft solle durch Anreize und Kosten zum Umstieg auf schadstoffarme Energie und zu Energieeffizienz motiviert werden. Mit einem Preis von 20 bis 50 Dollar pro ausgestoßene Tonne CO2 sollte man hinkommen. Aber auch bezahltes CO2 ist emittiertes CO2.

Gegen die Büchsenmobilität

Ein Beispiel für den gängigen marktförmigen Klimaschutz ist die Förderung ökoeffizienterer Autos. Sie ist allerdings das Gegenteil von effizientem Klimaschutz - der den Umbau der Mobilität anstreben und dem PKW nur noch eine Nebenrolle zumessen würde. Dabei stellt sich die Frage, ob Verzicht eine Tugend sein kann. Die Ökologiebewegung wurde in der Linken auch deshalb kritisiert, weil sie in den 1980er Jahren positive Veränderung zum Teil mit Verzicht in eins setzte und die Vernutzung der Umwelt mit individueller Einschränkung wettzumachen suchte. Die drastische Reduzierung des PKW-Verkehrs könnte man als solche Einschränkung sehen. Aber vielleicht läßt sich die soziale und ökologische Frage noch ganz anders verknüpfen. Eine andere Mobilität könnte genauso gut der Nebeneffekt einer Suche nach besserer Lebensqualität sein. Die Normalbürger stehen frühmorgens auf dem Weg zur Ausbeutung ihrer Lebenskraft im Stau und starren auf die Straße. Entgegen ihren Interessen produzieren sie dann in einer menschenfeindlichen Weise zum Teil sinnlose Dinge. Würden sie Nein dazu sagen können, andere von der Werbeagentur oder dem Callcenter aus mit Produktwerbung zu behelligen, so wäre sozial wie ökologisch viel erreicht.

Damit erledigte sich Mobilität nicht von selbst. Sie ist Bestandteil zivilisierten Seins. Es muß aber nicht die individualisierte Büchsenmobilität des Autofahrens sein, denn es gibt reizvollere Beschäftigungen, als auf den Asphalt zu starren. Im Zug oder im Bus kann man sich die Landschaft ansehen, Lesen oder die Vor- und Nachteile des öffentlichen Raumes erleben, wo sich Menschen mit verschiedenen Lebensentwürfen tatsächlich zu Gesicht bekommen. Kurz: Es gibt nicht nur puritanische Motive dafür, manche Errungenschaft der Industriegesellschaft dankend abzulehnen.

Destruktives Moment

Wo sollte die Vernunft herkommen, um die erkannte Spaltung der Welt und die Umweltzerstörung abzuschaffen? Die Menschen sehen sich von den Verhältnissen bestimmt, anstatt diese zu bestimmen. Solange das Unbehagen an solchen Verhältnissen unbegriffen ist, werden der Verdinglichung der Welt allenfalls Ideologeme an die Seite gestellt, wie es die ökoromantische Verklärung der "Mutter Natur" oder auch der Glaube an die technische Lösbarkeit sozialer Probleme in vielen Spielarten sind.

Das destruktive Moment im Verhältnis von Mensch und Natur war auch für die Kritische Theorie ein Thema: "Der Mythos geht in die Aufklärung über und die Natur in bloße Objektivität. Die Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie die Macht ausüben." Diese Sätze aus der "Dialektik der Aufklärung" (Adorno/ Horkheimer) von 1947 sind auch auf die Aneignung der Natur bezogen.

Erich Fromm popularisierte den Ansatz in den 1970er Jahren in seinem Buch "Haben oder Sein" auf der ökologischen Ebene: "Unser Eroberungsdrang und unsere Feindseligkeit haben uns blind gemacht für die Tatsache, daß die Naturschätze begrenzt sind und eines Tages zur Neige gehen können und daß sich die Natur gegen die Raubgier der Menschen zur Wehr setzen wird." Diese Mahnungen standen bald im sprichwörtlichen "jedem Bücherschrank" neben dem Bericht des großbürgerlich-elitären "Club of Rome" von 1972, der bis heute über 30 Millionen Mal verkauft wurde und vor den "Grenzen des Wachstums" warnte. Schon lange hat kaum jemand Einwände gegen die Warnung vor Umweltzerstörung. Aber die ideale und die reale Gestalt der bürgerlichen Gesellschaft unterscheiden sich. Die Eigentumsverhältnisse der "Habenden" blieben unberührt, die Umweltzerstörung ging weiter, dafür veränderte sich der Ökodiskurs, der heute in der Rede vom Klimaschutz seinen vorläufigen Höhepunkt findet.

Realistisch ist das Unmögliche

Vollständige Ignoranz gegenüber Umweltthemen würde die Welt sicher in einen noch unwirtlicheren Ort verwandeln. Unbestritten ist auch, daß ein eindimensionales Krisenmanagement gegen die unmittelbaren Ursachen der hohen Treibhausgasemissionen in Verbindung mit harter, globaler Ordnungspolitik gegen Klimasünder auf einen Energieeffizienz-Kapitalismus hinauslaufen könnte. Ob aber der Wettlauf mit der Zeit, um irreversible Umweltschäden zu vermeiden, so gewonnen werden kann, ist fraglich. Das destruktive Moment kapitalistischer Vergesellschaftung würde sich ohnehin nur auf neue Felder verschieben - beispielsweise auf jene der gentechnisch veränderten und monokulturell angebauten Treibstoffpflanzen.

Eingedenk dessen kann man viele Klimaschutzprojekte spannend finden, wie zum Beispiel kleine, aber feine Technologien für Energieeffizienz. Aber sie werden vermutlich nicht weit reichen. Wenn sie diesen Anschein erwecken, sind die Projekte kontraproduktiv. Wesentlich wäre die Veränderung der Ökonomie weg vom Primat der Verwertung und der Rendite. Realistischerweise muß das Unmögliche gefordert werden.

In begrenzten Milieus wie Familien oder Vereinen zeigt sich bereits heute, daß es mehr gibt als egoistische Interessen. Vernunft und Orientierung am Gemeinwohl sind durchaus Fähigkeiten, die man den Menschen heute zutrauen kann. Hier geht es aber nicht darum, Individualismus nieder- oder Familien und Vereine hochzuhalten. Es geht darum, zu zeigen, daß das Bewußtsein des Einzelnen vom ihn umgebenden Kontext abhängt. Erst wenn die Menschen wirklich Grund zu der Annahme haben, daß die Welt die ihre ist, benehmen sie sich entsprechend. Das gilt gerade auch für den Umgang mit der Natur.

Mit Sonntagsreden über die "Eine Welt" läßt sich das allerdings nicht erreichen. Der Umweltschutz muß eine materielle Basis haben: Die Vergesellschaftung der Güter und Produktionsmittel, den Abbau von Herrschaft und die Aufwertung des individuellen Glücks. Ein sozial und kulturell spannendes Leben ist die einzige positive Option, die dem Klimakiller-Dasein als Arbeitstier und Konsument den Rang ablaufen kann.

Winfried Rust ist Mitarbeiter im iz3w.
Dieser Beitrag erschienen zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 305.

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sopos 4/2008