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Macras, in Argentinien geboren, lebt seit 1995 in Berlin. »Brickland« ist eine Luxussiedlung bei Buenos Aires, die mittlerweile leersteht. Die selbstgewählte Absonderung, das Glück der eigenen Sicherheit – das Ensemble bringt furios mit Ironie und Witz das Zerbrechen solcher »gated communities« auf die Bühne. Argentinien oder Deutschland, vieles ähnelt sich in der globalisierten Welt. Eine Koreanerin, die in dieses Luxus-Getto ziehen will, wird von Beamten bis unter die Haut befragt. Ob sie denn deutsch spreche, ob sie aus Nord- oder Südkorea komme, ob… – Sie: »Nun, ich bezahle ja bereits für Ostdeutschland.« Das friedliche Zusammenleben wird durch Ohrfeigen demonstriert. »Ihr müßt weggehen, sonst geschieht leicht ein Unglück.« Die Übersetzung auf der Video-Leinwand im Hintergrund. Wer sagt das zu wem? Der Security-Mann im Filmausschnitt, im »Brickland«-Hemd mit Schlüsselbund und Revolver, stolpert zwischen wie tot daliegenden Menschen herum, ruft »Hallo!« Warum bleibt der Müll liegen? Keiner kümmert sich darum. Das Paradies neben der Mülldeponie. Gesang aus Schuberts »Winterreise«: »Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus«, dann wilde Rock-Rhythmen. Kinder spielen zwischen Beton-Ringen auf grüner Wiese, spaßen am Swimmingpool. »Nun ist die Welt so trübe, der Weg gehüllt in Schnee.« Eine Party, alle vergnügen sich, halbnackt in wilder Ekstase, mit sich selbst, mit dem Peitschenmast der Lampe, mit dem Stuhl, mit dicken Grillhandschuhen. Eine Frau weissagt aus dem Rauch des Grills. Sie sieht Abholzung, das Sterben – draußen. Und steigert sich in eine Ode: »O Soja, der du die Tiere und die Vegetarier ernährst!« Dann streiten alle, fallen übereinander her, versuchen, die Wände zu erklimmen – sie tragen Knieschützer, weil sie sich nicht schonen. Einer mit Fliege hält eine deutsch-französische Lektion über den Absturz des Mittelstandes, über das Zusammenbrechen des Immobilienmarktes, Kapitalflucht. Alle rennen gehetzt umher. Dann wird er immer akademischer, doziert über Sprache. Seine Beine verknotet, sein Körper verkrümmt – ein Akrobat. Die Verrenkungen seines Leibes als Synonym für die Irrationalität des Sprechens. Alle haben jede Freiheit, doch die Koreanerin soll deutsch sprechen. Sie kommt mit einem Tablett mit Gläsern, eine Serviererin. Wird vom Bewacher zur Seite gewinkt und abgetastet. Er faßt an ihre Brust, sie schreit, das Tablett fällt. Plötzlich ist sie die Fremde, der Eindringling. Wie sie schon spricht! Die anderen kopieren ihre Sprache, sehr komisch, bis zum virtuosen Mund-Orchester, das Tablett ist der Gong. Die, die nicht dazugehört, hängt über die Wand gebeugt, mit dem Kopf nach unten und verströmt sich selbst. Was da nach unten rinnt – Blut? Die einsame Blonde kommt, suhlt sich in der braunen Flüssigkeit – es ist ja so heiß und trocken. Später wird sie – oder eine andere – verraten: »Wir sind bankrott, mußten unser Auto verkaufen, die Kinder sind seit Wochen weg.« Zum Schluß ziehen die verlassenen Villen am Zuschauer vorbei, wie aus einem fahrenden Zug aufgenommen, Menschen gibt es nicht mehr, dort nicht mehr. Aufstieg und Fall von »Brickland« – Canstanza Macras bot kein Lehrstück von Brecht, sie zeigte mehr, sie wollte zu viel: Globalisierung und Sprachkritik, rasantes Tanztheater, flexible Live-Musiker, Video- und Spracheinblendungen, viele Überraschungseffekte, Sex, Ironie und Komik, aber auch ruhige, bewegende Szenen. Am Ende war der Zuschauer – so leben wir – ganz schön erschlagen. * Auch auf Kampnagel: die Zweipersonen-Performance »Othello, c´est qui?« – Othello, wer ist das? Nun, inzwischen lebt er in Paris, ein schwarzer Tänzer aus Abidjan an der Elfenbeinküste, und hat gelernt, was ein Othello für die Europäer ist. Während in der großen Halle John Neumeier sein (1985 uraufgeführtes) Othello-Ballett präsentiert, läßt sich Franck Edmond Yao aus Abidjan von seiner weißen Partnerin Cornelia Dörr belehren, wer er für uns ist, was Othello auf einer deutschen Bühne bedeutet. Er, der sagt, in Afrika kenne kaum ein Mensch Othello, spielt ihn, spielt die Situationen Eifersucht, Wut, wie er sie versteht. Nicht immer gleich, nicht wie eine Kassette, die man einlegt, sagt er. Sie (in Jeans) müht sich ab, rennt hin und her, auf der Suche nach einer guten Rolle, gibt Proben von Schillers »Maria Stuart« – amüsiert sieht er zu. Dann zeigt er im glänzenden Anzug die verschiedenen Arten zu tanzen. In Afrika ist der Tanz ganz einfach Tanz, und wenn er noch so erotisch wirkt. Die Europäer aber sehen im Tanz gleich eine Aufforderung zum Geschlechtsverkehr, meint er. In Afrika stehe die Ehre der Familie an erster Stelle, wenn man von Eifersucht spricht. Er könne ja verzeihen, aber die Familie… – und er ist Othello, schlägt, im Spiel, aber dramatisch in der Wirkung, auf Cornelia/Desdemona ein. Dann stehen sie friedlich vereint nebeneinander, freuen sich über den Beifall. Und am 1. und 3. April gibt es weitere Vorstellungen mit jeweils wechselnden Partnern. Kampnagel nennt es ein »performativ-diskursives Experiment über das Theater, das Leben und unseren Umgang mit dem Fremden«.
Erschienen in Ossietzky 6/2008 |
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