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Voller Mißtrauen scheint er sich zu wundern, wem er gerade die Hand gibt: einem blassen, gescheitelten Musterschüler mit gesenktem Blick, dem schwarzen Schaf unter den südamerikanischen Staatenlenkern, Álvaro Uribe Vélez, Präsident der República de Colombia. Dem Bestgehaßten seiner Sparte. So geschehen am 7. März auf dem Jahrestreffen der Rio-Gruppe in Santo Domingo. Seit 1986 versammelt sie 19 lateinamerikanische Staatschefs zu ungezwungener Aussprache. Gewöhnlich eher farblos, kam sie diesmal zu verdienten Schlagzeilen. Ihr gelang, was die Organization of American States (OAS) Tage zuvor in Washington nicht erreicht hatte oder nicht erreichen durfte, nämlich die formale Beendigung der von Uribe ausgelösten Kolumbienkrise. Trotz dessen larmoyanter, bisweilen hysterischer Verteidigung seines »Kampfes gegen den Terrorismus« verabschiedete das Plenum eine scharfe Verurteilung des Kolumbianers und ließ ihn geloben, nie wieder in souveräne Staaten einzufallen, »aus welchen Motiven auch immer«. Internationaler Beifall, jedoch wenig internationales Nachdenken. Die Bewertung der (erfundenen) »Bruderküsse« (von denen in der Frankfurter Rundschau und anderen Blättern zu lesen war) und der Gelübde Uribes sei den Ossietzky-Lesern überlassen. Folgende Fakten mögen weiterhelfen. »Operation Phönix«: Am 1. März vernichteten höchst modern ausgerüstete kolumbianische Truppen in halber Divisionsstärke zwei kleine Einheiten der Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) auf ekuadorianischem Staatsgebiet, etwa 250 Kilometer nordöstlich von Quito. 23 Menschen wurden umgebracht, Verwundete nachträglich erschossen. Unter ihnen eine noch unbekannte Anzahl Angehöriger der Autonomen Universität von Mexico, die nach einer Tagung in Bogota die FARC-Truppe besucht hatten. Sowohl der mexikanische Besuch wie auch die programmierten Bomben galten zwei prominenten Mitgliedern der FARC, Raúl Reyes (wirklicher Name: Luis Edgar Devia Silva) und Julián Conrado (Guillermo Enrique Torres). Conrado gehörte zur ideologischen Spitze der Organisation; Reyes war Mitglied des Sekretariats, internationaler Sprecher und eingestuft als »Nummer Zwei« der FARC. Noch zwei Tage vor seinem Tod hatte Reyes chilenische Journalisten empfangen. Man glaubte sich sicher auf neutralem Boden, zumal Reyes und Conrado nicht zum militärischen Planungsstab gehörten. Ekuadors Regierung war von Kolumbien nicht über die Anwesenheit von »Terroristen« auf ihrem Staatsgebiet unterrichtet worden. Der unerwartete nächtliche Angriff, die satellitengestützten, »intelligenten« Waffen und das bedeutend weniger intelligente Konzept verraten US-amerikanische Führung, besonders der Zeitpunkt der Operation. Reyes nämlich, seit den 1990er Jahren »Außenminister« der FARC, Gesprächspartner des U.S. State Department und der Regierungen der Nachbarländer, war gerade dabei, die Auslieferung weiterer politischer Gefangener vorzubereiten; Verhandlungen mit Hugo Chavez und dem französischen Außenminister Bernard Kouchner standen an. Es ging um 41 Menschen, zuallererst um die kolumbianische Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt, seit 2002 festgehalten. Ihre – jetzt von Uribe durchkreuzte – Befreiung war längst Chef- und Prestigesache der französischen Regierung, da Betancourt nicht nur Kolumbianerin, sondern auch Französin ist. Paris hatte Reyes als Verhandlungspartner bestätigt, und Uribe wußte davon. Vier Tage nach dem Coup ermutigte Nicolas Sarkozy neuerlich – an Uribe vorbei – im kolumbianischen Fernsehen die FARC, »ihre Strategie der humanitären Befreiung« weiterzuführen. Betancourt ist das höchstkarätige Pfand in der Auseinandersetzung mit dem weitgehend totgeschwiegenen »Narko-Staatsterror« in Kolumbien (s. »Wenn die Schutzmacht mordet«, Ossietzky 2/08). Uribe hatte – auch im Interesse Washingtons – eine weitere internationale Aufwertung der FARC und vor allem Hugo Chávez’ unbedingt verhindern wollen. Der venezolanische Präsident hatte schon im Februar Geiselbefreiungen vor Uribes Nase durchgesetzt und dabei so viele Sympathien gewonnen, daß selbst die Nachricht von der Vertreibung der Ölriesen Exxon und Conoco-Phillips aus dem venezolanischen Förderparadies dagegen verblaßte. Zudem begannen die Guerilleros der FARC an eine politische Alternative für Kolumbien zu denken, an eine eigene sozialistische Partei, wo doch Uribe gerade ein drittes Regierungsmandat anstrebt (das, wie schon das jetzige zweite, laut Verfassung untersagt ist). Zu groß war da die Versuchung, mit einem Mordanschlag die Führung der Revolutionsarmee und – ganz im Sinne der US-amerikanischen Destabilisierungspolitik – das Gleichgewicht in der Region zu schwächen. Venezuela und Ekuador reagierten sofort auf die blutige Provokation und verstärkten ihre Grenztruppen, hielten sich aber zurück, um keinen Vorwand für ein militärisches Eingreifen des Imperiums zu liefern. Bush, befand Fidel Castro, sei »der wahre Verlierer«. Uribes Person und sein Handeln, gerade auch in der Geiselfrage, erfordern einen zweiten Blick auf ihn und sein Land, das jegliche politische Opposition radikal ausschaltet, eine der weltweit höchsten Mordraten hat und eine offene militärische Auseinandersetzung mit einer starken Guerilla führt. Seit 47 Jahren gilt eine Ausnahmegesetzgebung, die der Armee freie Hand für die Jagd nach aktiven Kommunisten und anderen Oppositionellen gibt. Daneben entstanden paramilitärische Organisationen, Söldnerbanden für die Drecksarbeit, finanziert von lokalen bürgerlichen Kräften, von Regierung, Armee und Drogenhandel, eingebunden in Kolumbiens legendäre Korruption. Zehntausende, so bilanzierte kürzlich die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ASK), seien diesem System zum Opfer gefallen, Hunderttausende Familien wurden zu internen Vertriebenen und verloren nicht nur ihr Land, sondern auch ihre Existenzgrundlage. Ein Demokratie-Ritual US-amerikanischer Art hielt dabei stets die rechtsstaatliche Fiktion des Volkssouveräns aufrecht (mit zur Zeit auch drei kommunistischen Parlamentsabgeordneten). Die Guerilla, in erster Linie die FARC und die ELN (Volksbefreiungsarmee), beide 1964 gegründet, blieb die einzige aktive Gegenkraft gegen die staatliche Repressionsmaschinerie und kontrolliert rund 40 Prozent des Staatsgebiets. Sie legitimiert sich durch das Ziel einer sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung im Interesse eines Volkes, das verarmt und perspektivlos von einem überlebten Tag auf den andern hofft. Schon 1991 erkannte der für Gegenspionage zuständige US-Geheimdienst Defense Intelligence Agency (DIA) in dem Großagrarier-Sprößling Alvaro Uribe den »Colombian narco-trafficker« (kolumbianischen Drogenschieber) und »fleißigen Kollaborateur des Drogenkartells von Medellin auf hoher Regierungsebene«. Als Gouverneur des Departements Antioquia (1994) schuf Uribe seine eigene Überwachungs- und Eingreiftruppe mit dem verheißungsvollen Namen Convivir (Zusammenleben). 1997 wurden deren Exzesse vom kolumbianischen Verfassungsgericht gerügt, und Uribe geriet ins Visier der Human Rights Watch (Wächter der Menschenrechte), womit die USA allerdings nie größere Probleme hatten. George W. Bush klopft dem willigen Kollegen gern auf die Schulter, und 2007 verlieh das Amerikanisch-Jüdische Komitee dem Chef des »zweiten Israel« (Chávez) die hohe Auszeichnung des Light Unto The Nations (etwa: Erleuchtung der Nationen). Immerhin äußern sich die US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten vorerst nur ungern über Kolumbien, da sie Ärger mit den Gewerkschaften wittern. Doch Uribe läßt weiter morden. Laut der »Kolumbianischen Arbeiter-Zentrale« (CUT) wurden in den ersten 50 Tagen dieses Jahres schon neun Gewerkschaftler ermordet – neben anderen Opfern. Gut bezahlte Killer sorgen für den Erhalt des internen Kriegszustands. Der Präsident braucht ihn. Nur mit blutigen »Erfolgen« kann er seinen Status sichern – und mit den Ängsten seiner Klasse. Sie bejaht ihn zu 82 Prozent, wie Gallup am 12. März mitteilte. Und sollten Geiseln der FARC befreit werden, dann bitte irgendwann später von Alvaro Uribe und nicht sofort von Hugo Chávez.
Erschienen in Ossietzky 6/2008 |
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