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Seit Günter Grass vor sechs Jahren seine Novelle »Im Krebsgang« veröffentlichte – sie berichtet von der Versenkung des Nazi-Kreuzschiffs »Wilhelm Gustloff« im Kriegsjahr 1945 durch die sowjetische Marine – soll (und will?) die Nation nur noch deutsche Opfer kennen. Und die Täter? Wo sind die Nazis geblieben? Wahrscheinlich flohen sie im Mai 1945 in einem riesigen Raumschiff auf den Planeten, von dem aus sie das deutsche Volk 1933 versklavt hatten. 1968 kehrten sie unter Decknamen wie »Rudi Dutschke« oder »Ulrike Meinhof« in den wertvolleren, also westlichen Teil Deutschlands zurück, um ihr Zerstörungswerk mit sexueller Freizügigkeit, Beatmusik und Terrorismus zu vollenden. An die Stelle von Hitlers »Mein Kampf« und dessen buchstabengetreuer Verwirklichung trat vor vierzig Jahren ein Aufstand, den der Historiker Götz Aly in seinem neuen Buch als »Unser Kampf 1968« bezeichnet. Für dieses Gruselwerk der Zeitgeschichtsschreibung vergab der Rezensent von Kulturradio rbb das Besturteil »großartig«, denn Aly sei ein »herausragend wichtiges Buch« gelungen. Ihm könne man eine überraschende Erkenntnis entnehmen: »Ihren bekämpften Vätern waren die Söhne ähnlicher, als ihnen bis heute lieb ist. Nur das Scheitern dieser politischen Absichten verhinderte eine wirkliche historische Schuld«, für die sich Aly et al. dennoch seit Jahren auf ebenso unterwürfige wie finanziell lohnende Weise öffentlich entschuldigen. Den 68ern, die sich gegen seine Verdrehung der Tatsachen wehren, unterstellt Aly eine »Blockwartmentalität«. Im Spiegel überschrieb Kulturchef Matthias Matussek seine Rezension von Alys Kampfschrift mit »Dutschke, Goebbels und Co.«. Für einen anderen Spiegel-Autoren ist dieses Meisterstück der Geschichtsklitterung eines der wenigen Erinnerungsbücher an 1968, das sich nicht wie »Landsererinnerungen« liest. So werden die Gegner der Nazis zu den eigentlichen Nazis umgedichtet. An sie darf man heute noch erinnern. Damit wir die tatsächlichen Nazis und ihre Zujubler endlich vergessen, zeigen ARD und ZDF gebührenfinanzierte Massenmordfantasien wie »Die Flucht« oder »Dresden«. Der neueste History-Quark dieser Machart spielt auf der Ostsee. »Das Dritte Reich hat der Welt den Krieg erklärt. Fünf Jahre später rückt die Rote Armee unaufhaltsam auf Berlin vor.« Mit diesen kurzen Eröffnungs-sätzen gelingt dem zweiteiligen ZDF-Fernsehfilm »Die Gustloff« die einzige erfolgreiche Entnazifizierungsaktion der Weltgeschichte: Sämtliche Nazis, alle ihre Mitläufer, alle ihre Bluttaten verschwinden in der Halbsekunde, die der Sprecher beim Vorlesen zwischen den beiden Sätzen stumm verstreichen läßt. Zugleich sieht man, wie sich ein riesiger blutroter Fleck über eine Landkarte des Deutschen Reiches ausdehnt. Dann folgen Szenen von »Stalin-Orgeln«, brennenden Häusern und Panzerfahrern mit Fellmützen. Russen! Auf einem Kutter weinen ein deutscher Sohn und seine deutsche Mutter über die verstorbene deutsche Tochter. Geigen schluchzen, bis feindliche Tiefflieger das Boot beschießen. Zweieinhalb Stunden später ist die »Gustloff« von einem (frei erfundenen) kommunistischen Funker verraten, sie versinkt, von Kommunisten torpediert, in der Ostsee. Spätestens dann ist den Zuschauern klar, was sie aus den Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern eh schon wußten: Die Deutschen waren doppelte Opfer. Sie fielen ganz wenigen Nazis (Hitler, Göring, Goebbels) und ganz vielen Feinden (Russen, Amerikaner, Engländer, Franzosen) zum Opfer. Diese Erkenntnis, die keine ist, war dem öffentlich-rechtlichen ZDF zehn Millionen Euro wert. Warum wird ein solcher Film heute gezeigt? ZDF-Histotainer Guido Knopp erklärt es auf Bild.de so: »Es ist die deutsche Titanic, unsere Gustloff [ist] die deutsche Titanic. Es ist die Inkarnation des Untergangs des Nazireiches am [Jahres-]Tag der Machtergreifung.« Hier könnten Menschen, die »sehr, sehr alt sind«, noch ein letztes Mal über den schlimmsten (Russentorpedos!) und schönsten (Terrorangriff überlebt!) Augenblick ihres Lebens sprechen. Außerdem erfahre der Zuschauer viel Allgemeines über Menschen. Professor Knopp abschließend: »Das lernen uns diese Zeiten und das lernt uns dieses Beispiel, das der Untergang der Gustloff [sic].« Wenn das »Gustloff«-Märchen wenigstens den Herrn Professor richtiges Deutsch lehrte! Den Blödsinn von der »deutschen Titanic« darf man ihm jedoch nicht voll anlasten; mit diesem Ausdruck hatte der Spiegel vor sechs Jahren getitelt, als er Günter Grass‘ »Gustloff«-Novelle »Im Krebsgang« anpries. Hier schließt sich der Kreis des kollektiven Vergessens, das sich als ach so mutige Erinnerung an – von Linken! – verdrängte Wahrheiten tarnt. Deutschland muß sich der Erinnerung an die Nazis entledigen, um normal zu werden. Normal ist, daß deutsche Soldaten in ferne Länder stürmen, um dort mit dem Schießprügel für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Normal bedeutet auch, daß deutsche Soldaten, die sich beim Erschießen von Ausländern selbst erschießen lassen, in Berlin ein »Ehrenmal« erhalten. Ebenfalls normal ist, daß laut Verteidigungsminister Jung die beim Erschießen von Ausländern besonders mutigen deutschen Soldaten demnächst wieder Eiserne Kreuze erhalten. Ist der Schlußstrich vollendet, beginnt eine neue Runde.
Erschienen in Ossietzky 6/2008 |
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