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Im Gespräch mit dem US-amerikanischen Minister für »Heimatschutz«, Michael Chertoff, zeigte Schäuble volles Verständnis für das Desinteresse der USA an der UN-Menschenrechtscharta. Er werde »keine Denkverbote akzeptieren«. Erfahrungen ganz anderer Art muß Schäuble derzeit – zum Glück – vor dem Bundesverfassungsgericht machen. Diese altmodischen Richter beharren tatsächlich noch auf der Gültigkeit des Grundgesetzes. Sie haben Schäuble verboten, nach Gutdünken Zivilflugzeuge abzuschießen, und sie haben Grundsatzurteile zum absoluten Schutz des »Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung« erlassen, die den Großen Lauschangriff, das Abhören von Telefonen und nicht zuletzt das Ausspähen von Computern zwar nicht verhindern, aber erschweren. Nicht nur müssen die obersten Bundesrichter alle paar Monate die wildesten Überwachungsphantasien zurückweisen, sie müssen auch noch in der Zeitung lesen, daß Schäuble am liebsten die Unschuldsvermutung komplett aushebeln möchte, daß er Terrorverdächtige, die sich nicht einfach einsperren lassen, gleich erschießen lassen will, daß er das gescheiterte Luftsicherheitsgesetz irgendwie doch noch durchzudrücken hofft und derlei mehr – was eben herauskommt, wenn es »keine Denkverbote« gibt. Der Gerichtspräsident gab nun auch einmal ein Interview und erklärte im Spiegel, die Menschenwürde gelte auch für Passagiere eines von der Bundesregierung für »verdächtig« erklärten Flugzeugs, keine Neuauflage eines Luftsicherheitsgesetzes komme darum herum. Schäuble hielt Hans Jürgen Papier daraufhin vor, zu solchen Äußerungen »nicht demokratisch legitimiert« zu sein, er möge sich doch bitte an die »Begrenzungen der Kompetenzen« halten. Wäre schön, wenn Schäuble das selbst beherzigte. Nun also die Online-Durchsuchung. Praktiziert wurde sie bereits vor zwei Jahren, obwohl es damals überhaupt keine Rechtsgrundlage gab. Die brauche man nicht, war, von Schäuble gedeckt, die Rechtsauffassung im Bundeskriminalamt. Der Bundesgerichtshof stoppte diesen Unfug und befand: Wenn überhaupt, dürfen Computer nur auf der Grundlage eines eigenen Gesetzes heimlich durchsucht werden. Schäuble favorisierte daraufhin die in Nordrhein-Westfalen eingeführte Gesetzesvariante, die dem Verfassungsschutz mehr oder weniger freie Hand gab. Eingeführt von einem FDP-Innenminister, Ingo Wolf, beklagt von einem früheren FDP-Bundesinnenminister, Gerhart Baum. Das Bundesverfassungsgericht war erneut in der Pflicht, die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes festzustellen. Es blieb sich selbst treu und schrieb vor, daß zumindest konkrete Hinweise auf schwere Straftaten vorliegen müßten, ehe die Bundestrojaner losgelassen werden dürfen. Damit verstärkte es auch die Zweifel am Sinn und an der Rechtmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung, die – ohne jeden Anlaß – die Verbindungsdaten ausnahmslos aller Bürgerinnen und Bürger speichert. Dennoch meint Schäuble, Grund zur Freude zu haben, weil das Gericht zumindest prinzipiell Online-Durchsuchungen gestattet hat. Freude auch beim Koalitionspartner SPD, dessen innenpolitischer Sprecher Dieter Wiefelspütz schon in sechs bis acht Wochen ein Gesetz vorlegen will. Bedauerlich an dem Urteil ist, daß das Gericht den Schutz der Intimsphäre einschränkt. Daß beim Durchstöbern von Festplatten auch private Dateien geöffnet würden, sei »praktisch unvermeidlich«, halten die Richter fest. Anstatt aber daraus die Forderung abzuleiten, auf Online-Durchsuchungen zu verzichten, beschränken sie sich darauf, die Bedingung zu stellen, daß beim Durchlesen besondere Vorsicht walten müsse und die intimen Daten sofort zu vernichten seien. Trotz dieser Vorgaben darf man fast sicher sein, daß Schäuble sich eine weitere Schlappe einhandelt. »Der Teufel sitzt im Detail«, äußerte der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. Der Deutsche Richterbund zweifelt ebenfalls daran, daß sich die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nahtlos in ein Gesetz gießen lassen, und weist auf Probleme der richterlichen Praxis hin: Wer soll eigentlich all die Festplattendaten lesen? Die Justiz braucht mehr Personal, und solange das fehlt, sind verfassungskonforme Online-Durchsuchungen sowieso unmöglich.
Erschienen in Ossietzky 5/2008 |
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