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Wahrscheinlich gehören Stars zu einem Filmfestival, obwohl mir Festivals ohne roten Teppich lieber sind, Festivals, auf denen Regisseure die Stars sind, die nach der Vorführung ihrer Filmen mit einem interessierten Publikum diskutieren. Aber Festivals brauchen auch Geldgeber, und private Sponsoren und Politiker messen den Erfolg eines Festivals nicht an der Qualität der gezeigten Filme, sondern am Aufgebot möglichst vieler Stars und der Zahl des von ihnen angelockten Publikums. Investitionen sollen sich sichtbar lohnen, und die darauf angewiesenen Festivalleiter richten sich danach, nehmen deshalb auch oft Filme nicht nach Qualitätskriterien ins Programm, sondern nach der Verfügbarkeit beteiligter Stars. Die Medien spielen mit und räumen in ihrer Berichterstattung Stars und den von ihnen besuchten Parties immer mehr Raum ein. Gemessen daran war die Berlinale ein Erfolg. Menschentrauben am roten Teppich, lange Schlangen vor den Kartenschaltern, wo 230.000 Tickets verkauft wurden, 6.000 mehr als im Vorjahr. Volle Kinos verbuchen konnten auch die Nebensektionen, die oft Anspruchsvolleres boten als der weithin langweilige Wettbewerb. Zeitungsspalten und Sendeminuten hatte schon der Streit um die Memoiren einer eritreischen Popsängerin gefüllt, deren Behauptung, in ihrer Heimat als Kindersoldatin gedrillt worden zu sein, von einigen ihrer Landsleute heftig bestritten wurde. Dem Wettbewerbsbeitrag »Feuerherz« von Luigi Falorni ging der Ruf voraus, eine Verfilmung jenes kontrovers diskutierten Buches zu sein, doch die von ihm erzählte Geschichte eines kleinen Mädchens, das mit ihrer älteren Schwester in einem Lager zur Soldatin ausgebildet wird, sich aber ihren Widerspruchsgeist bewahrt und zuletzt den Fehden zweier rivalisierender eritreischer Befreiungsarmeen in den Sudan entkommt, wirkt eher harmlos und der ganzen Aufregung nicht wert. Obwohl Direktor Dieter Kosslick dem diesjährigen Festival schon im voraus den Stempel einer musikalischen Berlinale aufgedrückt hatte, was auch nicht nur durch den Auftakt mit den Rolling Stones gerechtfertigt schien, sollte dahinter doch nicht ganz das Markenzeichen eines politischen Festivals in Vergessenheit geraten. Dem diente, wie 2006 Michael Winterbottoms »The Road to Guantanamo«, jetzt die Wettbewerbsprogrammierung von »Standard Operating Procedure«. Errol Morris, der neben Michael Moore bekannteste US-amerikanische Dokumentarist, wollte untersuchen, wie es zu den berüchtigten Fotos von Abu-Ghraib kam. Interessieren konnten dabei die Interviews mit Beteiligten (»Das hat mir irgendwie Spaß gemacht«), überflüssig erschienen nachinszenierte Passagen. Neues erfuhr man nicht. Daß es sich nicht um vereinzelte Folterfälle handelte – der Titel deutet es an –, war ebenso bekannt wie die Straffreiheit für hochrangige Verantwortliche. Der Silberne Bär als Großer Preis der Jury honorierte wohl die erstmalige Einbeziehung eines Dokumentarfilms in den Wettbewerb so wie der Goldene Bär für den brasilianischen Brutalo-Shocker »Tropa de Elite« die gute Absicht, eine korrupte Polizei im Antidrogenkampf anzuprangern. Daß dagegen der beste politische Film »Katyn«, in dem Andrzej Wajda sehr differenziert aus der Sicht der Angehörigen an die sowjetische Ermordung Zwölftausender polnischer Offiziere erinnert, der auch sein Vater zum Opfer fiel, außer Wettbewerb lief, war um so unverständlicher, als generell die osteuropäischen Kinematografien auf der Berlinale unterrepräsentiert waren. Die beste von zahlreichen Familiengeschichten auf diesem Festival war im Wettbewerb das Regiedebüt des Schriftstellers Philippe Claudel »Il y a longtemps que je t’aime« mit einer faszinierenden Kristin Scott Thomas in der Rolle einer Frau, die nach 15 Jahren Gefängnis wegen Tötung ihres unheilbar erkrankten Kindes in der Familie ihrer Schwester erste tastende Schritte zur Rückkehr ins Leben versucht. Ein trauriges schönes Gesicht, das man nicht vergißt. Der Film erhielt den Preis der Ökumenischen Jury. In der vor allem auf ein jungendliches Publikum zielenden Reihe Generation Kplus verdiente sich der Film »Buda Az Sharm Foru Rikht« (»Buddha zerfiel vor Scham«, eine Anspielung auf die am Anfang und Ende gezeigte Sprengung jahrhundertealter Buddha-Statuen durch die Taliban) neben einem Gläsernen Bären der Kinderjury den von der Heinrich-Böll-Stiftung mit 5000 Euro dotierten Friedensfilmpreis. Die erst 19jährige Regisseurin Hana Makhmalbaf, Tochter aus einer produktiven Teheraner Cineastendynastie, erzählt in einer gelungenen Mischung aus ethnographischer Genauigkeit, Humor und Metaphorik von einem kleinen afghanischen Mädchen, dem sich in seinem Drang zum Schulbesuch immer wieder Hindernisse in den Weg stellen, vor allem durch Jungen, die mal als Taliban, mal als Amerikaner Krieg spielen und sie sogar steinigen wollen. »Erschreckende Szenen: Kinder, die das spielen, was sie von den Erwachsenen gelernt haben: Gewalt, Demütigung und Zerstörung«, so die Jurybegründung. Der Film bewies erneut die hohe Qualität des iranischen Kinos und war einer von mehreren, die das Elend unserer Welt aus Kinderaugen betrachteten. Zu den herausragenden Beiträgen gehörte »Lemon Tree« von Eran Riklis: der Kampf einer palästinensischen Witwe um ihre ererbten Zitronenbäume, die auf Geheiß der israelischen Sicherheitsbehörden abgeholzt werden sollen, weil der in unmittelbarer Nachbarschaft eingezogene Verteidigungsminister durch sich darin verbergende Terroristen bedroht werden könnte. Ebenfalls aus Israel beeindruckte die Dokumentation »Shahida – Brides of Allah« von Natalie Assouline, Interviews mit inhaftierten Palästinenserinnen, die ein Selbstmordattentat geplant oder sich daran beteiligt hatten. Der Film verurteilt nicht, sondern erschreckt durch die religiöse Verblendung sympathischer junger Frauen Wiederum bewährte sich das Berlinale-Forum als Ort für politisch engagierte und ästhetisch innovative Filme. Ganz aktuelle Assoziationen zum medial strapazierten »deutschen Herbst« drängten sich auf bei dem japanischen Beitrag »United Red Army«, der deutlich macht, daß die gegenwärtig von Bernd Eichinger zum Kinostoff vermarktete RAF keineswegs nur ein deutsches Phänomen war. Auch in Japan gab es wie in Frankreich, Italien und anderswo eine idealistische revolutionäre Studentenbewegung, die sich dann zersplitterte und teilweise in einen dogmatischen und selbstzerstörerischen Aktionismus mündete. Regisseur Wakamatsu Koji, damals ein »Sympathisant« und radikaler Filmemacher, verbindet in seiner den historischen Hintergrund erhellenden Chronik der Ereignisse Archivmaterial mit einer rekonstruierten Spielhandlung. Bedauerlich nur, daß gerade politisch aufklärende und aufwühlende Filme nur ein Festivalereignis bleiben und nicht den Weg ins normale Kinoprogramm finden. Aber sie haben dafür gesorgt, daß diese 58. Berlinale doch keine Madonnale wurde, sondern den Horizont der Besucher erweiterte.
Erschienen in Ossietzky 4/2008 |
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