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In böser Erinnerung ist das 16. Jahrhundert. Damals überließ der hochverschuldete spanisch-deutsche Kaiser Karl V. das neuentdeckte Land dem Augsburger Handelshaus der Welser zur Eroberung und Besiedlung »auf ewige Zeiten«. Der Kritiker der europäischen Kolonialpolitik jener Zeit, der Priester Las Casas, schrieb um 1540: »Die deutschen Kaufleute kamen mit etwas mehr als 300 Mann in dies Land ...Vor Geiz und Habsucht handelten sie weit toller und verblendeter als alle ihre Vorgänger, ersannen noch abscheulichere Mittel und Wege, Gold und Silber zu erpressen ... Diese eingefleischten Teufel verwüsteten, verheerten und entvölkerten einen sehr fruchtbaren Strich Landes...« Diese böse Episode hat sich den Venezolanern bis heute eingeprägt. In guter Erinnerung dagegen ist ihnen der Naturforscher Alexander von Humboldt, der 1799/1800 für 16 Monate in Venezuela blieb. Er verkörperte das Gegenteil der deutschen »Konquistadoren«. Er kam, um zu forschen, und begegnete den Bewohnern des Landes mit höchstem Respekt. Er war Fürsprecher der bedrohten Ureinwohner im Dschungel, verurteilte die herrschenden Schichten, auch die Geistlichkeit, wenn sie sich an den einfachen Menschen bereicherten, und begrüßte schließlich die Befreiung Venezuelas vom spanischen Joch (1821) durch Simon Bolivar, mit dem er 1805 in Paris zusammengetroffen war. Heute gilt Alexander von Humboldt nach Simon Bolivar als die zweitwichtigste Persönlichkeit in der Geschichte des Landes. Deshalb wurde nach ihm der zweithöchste Berg des Landes benannt, und vor der durch ihn erforschten und bekannt gemachten Höhle der Guácharos, die monatlich von Zehntausenden von Menschen besucht wird, ist ein eindrucksvolles Denkmal zu seinen Ehren errichtet. Simon Bolivar sagte über ihn: »Alexander von Humboldt hat Amerika mehr Wohltaten erwiesen als alle seine Eroberer; er ist der wahre Entdecker Amerikas.« Dabei war Humboldt nur zufällig nach Venezuela gekommen, weil auf seinem Schiff von Teneriffa nach Havanna eine Seuche ausgebrochen war, die ihn veranlaßte, sich bei Cumana ans Land setzen zu lassen. 2002. Die standesamtliche Trauung war auf den 12. April festgelegt worden. Am 11. April ging‘s mit der Fähre von der Ferieninsel Margarita nach Cumana, der Humboldt-Stadt. Auf der Fähre liefen mehrere Fernseher, die immer wieder zwei Bildfolgen zeigten: einen riesigen Demonstrationszug und dann Scharfschützen, die in die Menge schießen. Heute weiß man: Alle oppositionellen Fernsehsender berichteten wahrheitswidrig, Chávez-Anhänger hätten in die Oppositionsdemonstration geschossen. Auf Grund dieser Berichte kam es allerdings einen Tag später zum Putsch und zur Festnahme des Präsidenten. Ob unter diesen Umständen die Trauung stattfinden würde, war unklar. Alle Behörden hatten geschlossen. Im Fernsehen erschienen nun andere Bildfolgen: Ein neuer Präsident, Pedro Carmona, verlas seine ersten Dekrete. Gestützt wurde er von mächtigen Kräften im Staat: den Arbeitgebern, den privaten Medien, der korrupten Gewerkschaftsführung, dem Polizeipräsidenten von Caracas, dem höheren Klerus des Landes, der sofort das neue Regime anerkannte und sich schon anschickte, den neuen Präsidenten ins Amt einzuführen. Was damals unbekannt blieb: Der Erzbischof von Caracas, Velasco Garcia, ein wichtiger Sympathisant des berüchtigten Geheimbundes Opus Dei, hatte seine Residenz als Treffpunkt den Planern des Putsches zur Verfügung gestellt. Der Gastgeber der Hochzeitsgäste, ein Chávez-Anhänger, der bei der letzten Wahl zum Bürgermeister unterlegen war, befand sich an diesem 12. April nicht im Hause. Die standesamtliche Trauung fand dennoch statt, desgleichen die kirchliche Trauung am folgenden Tag. Da gab es viel Jubel, weil der gestürzte Präsident mit Hilfe des Volkes und treuer Militärs in sein Amt zurückkam. Unzählige Autos fuhren hupend durch das Landstädtchen. Große Demonstrationen ließen es kaum zu, zur Kirche zu kommen. Die Hochzeitsfeier wurde zu einer Feier doppelter Freude. 2007/2008. Auf der Fähre nach Cumana läuft im Fernsehen ein Western. Die privaten Fernsehprogramme überschwemmen immer noch das Land. Sie haben wohl auch zur Ablehnung einer neuen Verfassung beim Referendum Anfang Dezember 2007 beigetragen. Die Plakate mit »Si« oder »No« hängen sechs Wochen nach dem Wahltag immer noch. Sie werden die Spaltung, die durch die Gesellschaft in der Provinz geht, wohl noch lange dokumentieren. Unser Gastgeber von 2002 ist inzwischen zum Alkalden seiner Heimatstadt gewählt worden. In seinem Bereich ist die Chávez-Bewegung Sieger geblieben. Sicherlich hat dazu beigetragen, daß es in einem Ortsteil seiner Stadt seit 2006 erstmals eine Poliklinik gibt, in der kubanische Ärztinnen und Ärzte arbeiten. Solche Projekte zugunsten der Bevölkerung spielen in den zahlreichen Gesprächen eine große Rolle. Auch die Gegner der Chávez-Bewegung erkennen sie an, ohne daß sie ihre Ablehnung aufgeben. Für sie ist Fidel Castro geradezu der Leibhaftige ebenso wie Hitler und Stalin, mit denen Chávez in Verbindung gebracht wird. Diesen Zusammenhang hat der derzeitige Vorsitzende der venezolanischen Bischofskonferenz, der Erzbischof von Merida, Baltasar Porras, öffentlich behauptet. Gemeinsam mit seinen Amtsbrüdern, dem gegenwärtigen Erzbischof von Caracas, Kardinal Urosa Savino, und dem Kurienkardinal Rosalio bildet er ein Zentrum des Widerstandes. Damit kommen sie dem Anliegen des Opus Dei nach, alle Befreiungsbewegungen in Südamerika zu bekämpfen. In einem Interview bezeichnet Kardinal Savino das Opus Dei als »wunderbares heiliges Abenteuer«, für das er »immer große Wertschätzung gehabt« habe. Die Befreiungsbewegungen in Venezuela und Bolivien können sich zu Recht auf Simon Bolivar und Alexander von Humboldt berufen. Humboldt ist in den letzten Jahren durch den Bestseller von Daniel Kehlmann (»Die Vermessung der Welt«, 2005) einem großen Publikum nahegebracht worden. Dieses Buch könnte und sollte auch Verständnis für diegegenwärtigen Befreiungsbewegungen in Venezuela und Bolivien wecken.
Erschienen in Ossietzky 4/2008 |
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