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In allen Gazetten, Fernsehkanälen, Radiosendern sondern die »Wissenden« ihre aktuellen Prognosen ab. Wenige Wochen zuvor noch hatten sie die US-Konjunktur gepriesen und die einfachen Leute zu Aktienkäufen aufgerufen. Jetzt sind die Kurse in den Keller gesaust. Zwei typische Experten sind Ulrich Kater, Chef-Volkswirt der Deka-Bank (Zentralinstitut und Investmentgesellschaft der Sparkassen mit einem Fondsvermögen von 191,3 Milliarden Euro und 3500 Beschäftigten), und der Chef des Ifo-Instituts, Professor Hans-Werner Sinn. Noch im Dezember 2007 sagte Kater für den Deutschen Aktienindex (Dax) einen baldigen Wert von 9000 Punkten voraus und riet zum Kauf. Einen Monat später lag der Dax bei 6677 Punkten, und Kater mahnte zur Zurückhaltung. Ein Beispiel für den Wert von Expertisen sind auch die Erdölpreise, deren Entwicklung unsere Analytiker angeblich über Jahre und sogar über Jahrzehnte hinaus bestimmen können. So ist im Moment Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sicher, daß das Faß in fünf Jahren 150 Dollar und in zehn Jahren 200 Dollar kosten wird. Dabei weiß sie genau so wenig wie jeder andere Bundesbürger, wie der technische Fortschritt verläuft. Es ist nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß in absehbarer Zeit mit neuen Geräten Ölfelder billiger und besser gefunden und erschlossen werden können. Selbstverständlich hängt der Preis auch von politischen Ereignissen in der Welt ab, die nicht vorhersehbar sind. Dennoch werden Frau Kemferts Prophezeiungen ernst genommen. Ebenso wie das Ifo-Instituts in München, dessen Chef Hans-Werner Sinn von der Bild-Zeitung zu Deutschlands klügstem Wirtschaftsprofessor ernannt worden ist. Dieser Weise und sein Institut gaben in noch nicht einmal einem Jahr folgende Voraussagen und Bestandsaufnahmen ab, nach denen sich vor allem der kleine Aktienkäufer, aber auch die Politik richten sollen: »Das Weltwirtschaftsklima ist gut und gibt Anlaß zu Optimismus.« (Juni 2007) – »Das Weltwirtschaftsklima hat sich in den vergangenen Monaten massiv verschlechtert.« (20. November 2007) – »Das Wirtschaftsklima hat sich in den letzten vier Tagen überraschend um mehrere Punkte verbessert.« (28. November 2007) – »Es hat sich alles verschlechtert. Der Geschäftsklima-Index sank zum Beispiel in nur zwei Wochen von 104,2 auf 103,0 Punkte.« (20. Dezember 2007) – »Das Geschäftsklima ist im Januar von 103,0 auf 103,4 Punkte gestiegen.« (24. Januar 2008) – Zur selben Zeit gaben auch die anderen Institute, zumeist von interessierten Industrie-, Versicherungs- und Bankenkreisen gesponsert, ihre Prognosen bekannt, die einander oft widersprachen. Im gleichen Atemzug mußten sie aber ihre eigenen Zahlen korrigieren, die sie nicht lange zuvor veröffentlicht hatten. Nur ein Beispiel: Das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut belehrte uns, daß das bundesrepublikanische Wirtschaftswachstum 2008 um 1,7 Prozent und nicht um 2,3 steigen werde, wie kurz zuvor prognostiziert. Zu den gleichen Fehlleistungen kommt regelmäßig die Bundesregierung, die sich, bezahlt mit unseren Steuergeldern, eine Menge »weiser« Fachleute hält. Aber selbst bei langfristigen Voraussagen tut sie immer so, als wäre sie sich ganz sicher. So weiß sie schon heute. daß die Renten 15 Jahre lang je Jahr um 1,7 Prozent steigen werden. Nicht nur für aktuelle Geldgeschäfte gibt es hochangesehene Propheten, denen trotz ihrer vielen falschen Aussagen immer wieder geglaubt wird. So wissen wir bereits heute, daß es im Jahre 2050 höchstens noch 50 Millionen Deutsche geben wird, daß deshalb die Lebensarbeitszeit auf 67 bis 70 Jahre verlängert werden muß, daß die staatliche Rente aber auch dann nicht zum Überleben ausreichen wird und sich jeder zusätzlich privat versichern muß. Die »Stiftung Gesundheit« hat sogar errechnet, daß in 30 Jahren 77 Prozent der Einwohner Deutschlands unter Darmkrebs, Diabetes und Divertikulose leiden werden. Und niemand lacht sie aus, genauso wenig wie die sich als Wirtschaftsweise ausgebenden falschen, aber teuren Propheten. Dabei gibt es einen kostenlosen Rat, der wenigstens die Bankiers vor blamablen Fehlern, Verlusten und Pleiten schützen könnte, wie sie sich jetzt nach der amerikanischen Hypothekenaffäre weltweit ereigneten. Er stammt von einem Mitglied des Direktoriums der Schweizer Nationalbank und lautet: »Banken dürfen sich nicht nur auf Rating-Agenturen und mathematische Modelle verlassen, sondern müssen bei ihren Geschäftsentscheidungen auch den gesunden Menschenverstand walten lassen.« Doch vielleicht ist das zuviel verlangt.
Erschienen in Ossietzky 3/2008 |
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