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Der seit drei Jahren anschwellende Bocksgesang in den deutschen Mainstream-Medien kennt nur einen Text, der mit zunehmend schrilleren Tönen aus dem Kalten Krieg unterlegt wird: Putins Rußland ist die Reinkarnation der Sowjetunion unter kapitalistischen Vorzeichen, aggressiv, expansiv, erpresserisch und bedrohlich; statt von der Roten Armee wird Europa nun vom russischen Energiekonzern Gazprom in die Zange genommen. Statt »Fulda-Gap« (einst in den NATO-Planungen als Angriffspunkt des Warschauer Pakts vermutet) nun also Energy-Trap, wie das Spiegel-Titelbild der Ausgabe 10/2007 zu insinuieren versuchte (»Der Staat Gasprom«). Doch die russische Öffentlichkeit scheint von der hierzulande laufenden Kampagne kaum beeindruckt zu sein. Der aufmerksame Besucher der Ausstellung erfährt nämlich, daß das Deutschlandbild der Russen nahezu unbefleckt ist: Deutschland gilt bei den Russen trotz Nazi- und Wehrmachtsverbrechen als eines der beliebtesten Länder. In der deutschen Öffentlichkeit hingegen zeigt das massive Rußland-Bashing deutlich Wirkung. Die Angst der Deutschen vor Rußland wächst. Nach einer Studie des German Marshall Fund of the United States empfunden 73 Prozent der Bundesbürger den Kreml als Bedrohung, wenn es um seine Rolle als Energielieferant geht. Auf die Frage, warum sich das Volk der einstigen Täter vor seinen früheren Opfern so fürchtet, gibt die Ausstellung allerdings keine ausreichende Antwort. Die findet man in deutschen Tageszeitungen. Die Süddeutsche Zeitung sei hier pars pro toto genannt. Ihr Moskau-Korrespondent feuerte 2007 mehrfach in der Woche journalistische Salven gegen das politische System unter Präsident Putin ab. Kein Wort aber verlor er dabei über die aus Töpfen der US-Regierung finanzierte Nichtregierungsorganisationen, die in osteuropäischen Ländern mit »orangenen« oder andersfarbigen Revolutionen dem Westen genehme Regierungen ins Amt zu bringen versuchen. Völkerrechtlich sind das nach der Charta der Vereinten Nationen verbotene Einmischungen in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten. Kein Wort auch über die Rußland immer näher auf den Pelz rückende NATO, die Georgien und der Ukraine bereits Avancen macht. Kein Wort über vorgeschobene Stützpunkte der US-Luftwaffe in Rumänien und Bulgarien. Offenkundig haben sich führende deutsche Zeitungen noch nicht daran gewöhnt, daß das schuldenfreie, Devisen ansammelnde und politisch sowie ökonomisch stabilisierte Rußland nicht mehr das hilflose Jelzin-Land ist, das man ungestraft strategisch in die Defensive drängen konnte. Weder der Internationale Währungsfonds noch die Weltbank können das Land länger kujonieren. Da muß, wer von antirussischer Propaganda lebt, Entzugserscheinungen bekommen und ausrasten. Und so griff die Süddeutsche am 29. August des vergangenen Jahres in die unterste Schublade rassistischer Diffamierung. Auf Seite 2 unterlegte sie ein Bild des russischen Präsidenten, das ihn mit freiem Oberkörper beim Angeln an seinem Urlaubsort zeigte, mit der Textzeile: »Hirschfänger, Goldkettchen und ein verschlagener Blick«. Der Deutsche Presserat vermochte in dieser eindeutigen Anspielung auf den im kollektiven Gedächtnis der Deutschen schlummernden »slawischen Untermenschen« keine Verletzung seines Kodex zu erkennen. Wer allerdings nicht weiß, daß der erwähnte »Hirschfänger« ein Messer ist (der Presserat meinte, Putin sei als Hirschfänger bezeichnet worden), ist wahrscheinlich auch mit der Beurteilung des Falles überfordert. Vom berechtigten Nein Rußlands zur Stationierung amerikanischer Abfangraketen in Polen und Tschechien über seinen verständlichen Unmut wegen der NATO-Verzögerungstaktik bei der Ratifizierung des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) bis zu seinem völkerrechtlich berechtigten Widerstand gegen eine einseitige Unabhängigkeitserklärung der Kosovo-Albaner – kein Anlaß ist zu fadenscheinig, um Putin an den Pranger zu stellen. Insofern darf es nicht verwundern, wenn das vorsätzlich gezeichnete Negativbild Wirkung zeitigt. Inzwischen wird bereits die nächste Eskalationsstufe der Feindpropaganda betreten. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes gab sich dafür her, den Verstärker für neokonservative US-Strategen zu spielen. In einem Hintergrundgespräch mit Journalisten warnte er davor, die Fähigkeit der Bundeswehr zur Landesverteidigung zu vernachlässigen. Er begründete das mit einer sich abzeichnenden militärischen Bedrohung durch Rußland. Die nächste Umfrage des German Marshall Funds ist 2008 zu erwarten, bald.
Erschienen in Ossietzky 2/2008 |
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