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Daß es in Brandenburg, wie jüngst ermittelt, nicht gelungen ist, wenigstens die Hälfte der Schüler von zehnten und elften Klassen zum Verdammungsurteil über den Unrechtsstaat zu bewegen, in dem ihre Eltern und Großeltern hatten leben müssen, kann in der Tat nur Besorgnis bei allen erregen, die 1990 mit so schönen Hoffnungen in »Deutschland, einig Vaterland« aufgebrochen waren und nun sehen, daß es mit der Ausrichtung der Köpfe nicht klappt. Und das bei den Nachgewachsenen! Ähnliche Forschungsergebnisse wie in Brandenburg waren zuvor schon in Berlin gewonnen worden. Jedesmal folgte Ratlosigkeit, was die Resultate denn verursacht haben könne. Mündlich befragte Schüler bestätigten, daß ihnen die Lehrer zu wenig beigebracht hätten. Die vorurteilslosen Forscher beklagten sogleich, daß die Geschichtslehrer aus der DDR-Zeit nicht aus den Klassenzimmern auf die Arbeitsämter geschickt worden sind. Als wären in 17 Jahren nicht Junglehrer nachgerückt, die ihre Ausbildung nicht mehr im ostdeutschen Staat erhalten haben, so daß sich Vergleiche zwischen den pädagogischen Ergebnissen dieser jungen Lehrer und denen der alten, geradezu aufdrängen, die – horribile dictu – einst womöglich das Mitgliedsbuch der SED besaßen. Doch wird auch bemängelt, daß an Universitäten, zum Beispiel in Potsdam, bis heute zu wenig geschieht, um Absolventen für die dort auch per Landtagsbeschluß gewünschte »offensive Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur« zu konditionieren. Eine Erleuchtung ist den Recherchierenden freilich gekommen. Noch stets haben gegenwärtige Erfahrungen den Blick in die Vergangenheit beeinflußt. Aus der Wirklichkeit der faschistischen Diktatur erfuhr die Weimarer Republik im Denken vieler ihrer einstigen Gegner eine Neubewertung, die fragen ließ, ob die »Spießerrepublik« nicht bewahrens- oder gar verteidigungswert gewesen sei. Und: Ähnlich hatte sich während der von Massenarmut gekennzeichneten Jahre dieser Republik die Erinnerung an die Vorkriegsjahre im Kaiserreich verändert, die nun als »die gute alte Zeit« erschienen. Und jetzt? Vor dem Hintergrund der im Elternhaus erfahrenen Arbeitslosigkeit, der Hilfsbedürftigkeit selbst der Arbeitenden, des Kampfes um Lehrstellen, die Aussicht auf Weiterbeschäftigung nach der Ausbildung bieten, und der ebenso artigen wie wirkungslosen Ermahnungen der Kanzlerin an die Raffkes an der Spitze der Großkonzerne beginnt der Vergleich beider deutscher Staaten, des existierenden mit dem untergegangenen, neue Resultate zu zeitigen. Mehr noch, und das ist das eigentliche Beunruhigende: Es hat ein Nachdenken über Werte eingesetzt, die als erstrebenswert gelten. Nun also: Wie werden die Sachsen abschneiden? Hält man sich an eines der für die Mittelschulen in Sachsen, Klasse 9, zugelassenen Schulgeschichtsbücher und unterstellt, daß mit diesem gearbeitet wird, fällt eine Voraussage zwiespältig aus. Nehmen wir das bei den Forschern von der Freien Universität Berlin besonders beliebte Thema »Stasi«. Darüber werden die Wißbegierigen auf zwei Seiten unterrichtet bis hin zum Umfang der papierenen Hinterlassenschaft der »Firma«. Dazu werden sie aufgefordert, in Frau Birthlers Rolle zu schlüpfen und zu sagen, wie sie den Zugang zu den Aktenmassen handhaben würden. Seiten später wird ihnen von raffinierten Anstrengungen des DDR-Fernsehens berichtet, das Ansehen dieses Dienstes aufzuwerten. All das aber kann sie am Ende doch nicht zur Beantwortung der die Forscher interessierenden Frage befähigen, ob die Staatssicherheit der DDR als ein Geheimdienst wie jeder andere anzusehen sei, vor der schon die Brandenburger großenteils versagten. Dazu müßte ihnen im Lehrbuch wenigstens ein Bild von den Geheimdiensten in der Bundesrepublik gegeben werden oder auch vom US-amerikanischen, etwa von der Kampagne gegen die »unamerikanische Tätigkeit«, deren Ziel und Opfer auch Emigranten aus Deutschland wurden. Die Forderung, die deutsche Geschichte in den Jahren der Zweistaatlichkeit derart konfrontativ zu behandeln, hat vor längerem der Willy-Brandt-Kreis schon erhoben. Kein Versagen dürfte es hingegen in Sachsen bei Fragen zur »Mauer« geben. Das 1945 (!) einsetzende Kapitel trägt die Überschrift »Die Mauer – ein Symbol für die Teilung Deutschlands« und schließt mit dem Abschnitt »Die Berliner Mauer wird errichtet«. Dem Text dieses Kapitels, der chronologisch mit der Potsdamer Konferenz beginnt, sind prophylaktisch zwei Seiten zum Thema »Mauer« vorangestellt, die mehrfarbig auch eine schematische Darstellung der Grenzanlage bieten. Kurzum, der Band beginnt mit Bildern und Fotos, die, bevor noch von der Entstehung der DDR gehandelt wird, Verurteilung und Abscheu erzeugen. Schon auf der dritten Seite, sie wissen über diesen Staat sonst nichts, wird sächsischen Schülern abverlangt, sie sollten sich vorstellen, in Berlin Reiseführer zu sein, und sich fragen: »Was würdest du deinen Gästen über die Mauer erzählen?« Nun gut, mögen sie denken, das wäre immerhin ein – Job.
Erschienen in Ossietzky 2/2008 |
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