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Die Wachstumsrate von 2,9 Prozent im Jahre 2006 ließ dann die Arbeitslosenzahl auf 4.487.000 zurückgehen. Der Aufschwung wurde aus einer Kombination von Exportnachfrage und deutlich höheren privaten Investitionen (Bau- und Ausrüstungsinvestitionen) getragen. Das mit über 55 Prozent größte, wichtigste Aggregat der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, der private Verbrauch, stieg 2006 dagegen nur um ein Prozent, was wegen des erneuten Rückgangs der realen Nettolöhne und -gehälter um 1,8 Prozent nicht verwundern konnte. Es blieb bei einer gespaltenen Konjunktur mit einer zu geringen Binnennachfrage. 2007 kam es noch einmal mit 2,5 Prozent zu einem kräftigen realen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts. Trotz negativer weltwirtschaftliche Einflüsse (Dollarverfall, Ölpreissteigerungen, Immobilienspekulationskrise in den USA) und falscher finanzpolitischer Maßnahmen der Bundesregierung (Mehrwertsteuererhöhung, staatliche Sparmaßnahmen) entstanden keine größeren Bremsspuren. Doch der obere Wendepunkt im Zyklus der Konjunktur ist bereits nach nur einem Jahr erreicht, und die Konjunktur ist 2007 gespalten geblieben. Nach wie vor sorgte mit 1,4 Prozentpunkten hauptsächlich der Außenbeitrag (Exporte minus Importe) für Wachstum. Damit unterstrich die deutsche Volkswirtschaft entgegen allen anders lautenden Behauptungen noch einmal ihre exzellente Wettbewerbsfähigkeit. Die Investitionen trugen mit 0,9 Prozentpunkten und der Staatskonsum mit 0,4 Prozentpunkten zum Wachstum bei. Der private Konsum ging dagegen um 0,2 Prozentpunkte zurück. Von der »Lohnfront« kam keine Hilfe. Zwar stiegen 2007 die Nettolöhne und -gehälter um 0,5 Prozent, nach Abzug der Preissteigerungen (2,2 Prozent) ging aber der Reallohn um 1,7 Prozent zurück, fast im selben Maße wie 2006. Die seit Jahren neoliberal betriebene Umverteilung von unten nach oben setzte sich fort. In der Geschichte der Bundesrepublik hatte es noch nie eine derartig gigantische Umverteilung zu den Unternehmens- und Vermögenseinkommen wie nach dem Zusammenbruch der sogenannten New Economy 2001 gegeben. Dabei verharmlosen die relativen Zahlen von 2001 bis 2007 noch die Umverteilung. Demnach ist das nominelle Arbeitnehmerentgelt, einschließlich der sogenannten Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, jahresdurchschnittlich um ein Prozent gestiegen, während die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 6,2 Prozent zugelegt haben. Deutlich zeigt sich die gesamtwirtschaftliche Umverteilungsorgie aber erst bei einer Betrachtung der absoluten Zahlen. Das Volkseinkommen wuchs zwischen 2001 und 2007 um 264 Milliarden Euro. Es ist also eine dreiste Lüge, wenn immer wieder behauptet wird, es gebe in Deutschland nichts mehr zu verteilen, wir müßten alle den »Gürtel enger schnallen«. Sich einschränken mußten in Wirklichkeit nur die meisten abhängig Beschäftigten und die Armen im Land. Auf die Arbeitnehmerentgelte entfielen nämlich von diesen 264 Milliarden Euro Reichtumszuwachs nur 59,1 Milliarden (22,4 Prozent). Die anderen 204,9 Milliarden Euro (77,6 Prozent des Volkseinkommenszuwachses) gingen an die Unternehmens- und Vermögenseinkommen, also an die Empfänger von Gewinn-, Zins-, Miet- und Pachteinkünften. So ist es dann auch nicht verwunderlich, daß die gesamtwirtschaftliche Sparquote in Deutschland 2007 bei 10,8 Prozent lag und die Vermögensbestände – völlig ungleich verteilt – auf immer neue Rekordhöhen wachsen, wie gerade das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin festgestellt hat. 80 Prozent der Nettogeld-, Immobilien- und Betriebsvermögen in Deutschland gehören 20 Prozent der erwachsenen Personen. Aber zwei Drittel der Bevölkerung verfügen großenteils über kein und zusammen über weniger als zehn Prozent des Nettovermögens. Die regierenden Politiker, die mit einer adäquaten Steuer- und Fiskalpolitik etwas an dieser Einkommens- und Vermögensschieflage ändern könnten, verstärken statt dessen noch die Schieflage. So sank die Nettolohnquote im ersten Halbjahr 2007 auf 38,8 Prozent; 2001 hatte sie noch 42,9 Prozent betragen. Die abhängig Beschäftigten müssen immer mehr Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben zahlen, und es bleibt ihnen immer weniger zum Leben. So macht sich Einkommensarmut breit. Unternehmensgewinne und Vermögenseinkommen wurden dagegen immer großzügiger von Steuern und Sozialabgaben entlastet. Das ist nicht nur sozial ungerecht, sondern im Ergebnis auch ökonomisch kontraproduktiv. Wachstum und Beschäftigung bleiben aus, und die Gewinnüberschüsse werden an die Finanzmärkte verlagert; die Finanzinvestoren (Hedge-, Private Equity- und andere Fonds) erlangen gegenüber der Realwirtschaft immer größere Dominanz. Zwar sind jetzt konjunkturbedingt mehr Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt als in den vorangegangenen Jahren, aber das Mehr an Beschäftigung besteht überwiegend aus Teilzeit (mittlerweile gibt es über elf Millionen Teilzeitbeschäftigte), Leiharbeit (rd. 800.000) und aus zum Leben nicht auskömmlichen prekären Beschäftigungsverhältnissen. Über sieben Millionen Menschen erhalten in Deutschland Hunger- oder Niedriglöhne. Rund drei Millionen bekommen so wenig, daß sie Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben, aber nur 1,3 Millionen machen davon Gebrauch – darunter rund 500.000 Menschen, die vollzeitbeschäftigt sind. Die Unternehmer zahlen diesen Menschen für ihre Arbeit nicht einmal einen Lohn, der ihnen bescheidenste Reproduktionskosten sichert. Der Staat springt hier mit Profitsubventionen in Höhe von rund acht Milliarden Euro aus Steuergeldern bei. Trotz des Beschäftigungszuwachses waren auch 2007 jahresdurchschnittlich 3,78 Millionen Menschen ohne Arbeit. Dieses Land leistete sich also weiterhin eine gigantische Massenarbeitslosigkeit. Ohne Arbeitszeitverkürzung, das heißt ohne faire Verteilung der Arbeit, wird es in Deutschland keine Rückkehr zu einer vollbeschäftigten Wirtschaft mehr geben. Kurzfristige Konjunkturerfolge lenken hier nur von dem grundsätzlichen Problem ab. Der nächste Abschwung kommt sicher, und mit ihm werden die Arbeitslosenzahlen wieder drastisch ansteigen. Im Jahr 2008 ist der nur kurzzeitig aufgetretene Konjunkturaufschwung bereits zu Ende. Die reale Wachstumsrate wird auf weit unter zwei Prozent einbrechen. Dies liegt wesentlich daran, daß in Deutschland weiter von unten nach oben umverteilt wird. In den nächsten Tarifrunden müssen die Gewerkschaften mindestens Reallöhne in Höhe der Produktivitätsrate durchsetzen, sonst wird der private Konsum keine Wachstumsimpulse geben können. Solange der Staat die hier dargestellte Schieflage nicht über Vermögens- und Erbschaftssteuern korrigiert, fällt immer mehr Massenkaufkraft und damit beschäftigungsschaffende Nachfrage aus. Hinzu kommt, daß 2008, wie in den letzten beiden Jahren, private Investitionen kaum noch Wachstumsdynamik entfalten werden. Und auch die staatliche Finanzpolitik wird sich eher restriktiv als expansiv verhalten. Wesentliche Wachstumseffekte werden nur noch von ausländischer Nachfrage kommen – trotz Eintrübung der Weltwirtschaft und teurem Euro sowie hohem Ölpreis. Die Konjunktur bleibt damit in Binnen- und Außenwirtschaft gespalten. Bei einer Inflationsrate von um die zwei Prozent ist deswegen nur noch mit einem realen Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent zu rechnen, in etwa auf Höhe der Produktivitätsrate; die Arbeitsmärkte werden davon schwerlich stimuliert werden. Der Abbau der Arbeitslosigkeit gerät also ins Stocken. Weiterhin werden jahresdurchschnittlich rund 3,5 Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit sein. Und das ist nur die registrierte Arbeitslosigkeit. Die wirkliche Zahl liegt weitaus höher. Summa summarum wird die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinanderklaffen. Hieran wird sich nichts ändern – jedenfalls so lange nicht, wie Deutschland und die EU an ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik festhalten. Heinz-J. Bontrup/Lars Niggemeyer/Jörg Melz: »Arbeitfairteilen. Massenarbeitslosigkeit überwinden«, VSA-Verlag Hamburg, 94 Seiten, 6.50 €
Erschienen in Ossietzky 2/2008 |
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