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Der Gesundheitsminister der EU:
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, mit Interesse habe ich die weitgehend erfolgreichen Bemühungen der Bundesregierung zur Durchsetzung eines grundsätzlichen Rauchverbotes in Gaststätten verfolgt. Ich möchte allerdings nicht verhehlen, daß mir Ihr Engagement aus staatserhaltender Sicht ein wenig unverständlich, wenn nicht gar verantwortungslos erscheint. Sind es nicht gerade Nichtraucher, die durchschnittlich gesehen ein höheres Lebensalter erreichen und damit die Rentenkassen über Gebühr belasten? Wäre da nicht für nichtrauchende Versicherte eine fühlbare Anhebung der Beiträge zur Altersversicherung sinnvoll? Oder ein Rabatt für Raucher? Im Prinzip haben Sie natürlich völlig Recht: Wer unbedingt rauchen will, kann das auch zu Hause oder auf der Straße. Und einige Bundesländer bieten den Parias ja auch großzügig eine Möglichkeit, in vereinzelten ausgesuchten Kaschemmen eine separate kleine Räucherkammer zu nutzen. Nun drohen jedoch Gästen und Personal in der Gastronomie leider auch andere Gefahren, auf die ich Sie nachfolgend hinweisen möchte mit der Bitte, gesetzliche Regelungen zu schaffen. Möglicherweise ist Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, nicht bekannt, daß es immer noch Lokale gibt, in denen Alkohol ausgeschenkt wird? In manchen Wirtshäusern genügt es, bei Betreten der Gaststube einmal tief einzuatmen, um anschließend sofort als fahruntüchtig zu gelten und den Entzug des Führerscheins zu riskieren. Darf man eigentlich Personal und abstinente Gäste diesem Risiko aussetzen? Ein allgemeines Trinkverbot für öffentliche Gaststätten ist unabdingbar. Wer unbedingt saufen will, kann das schließlich auch zu Hause oder auf der Straße. Allenfalls wäre die Einrichtung separater Trinkerräume in Nebenzimmern denkbar. Dabei muß selbstverständlich beachtet werden, daß es getrennte Sonderräume für rauchende Trinker und nichtrauchende Trinker gibt. Selbstverständlich auch solche für nichttrinkende Raucher. Ich komme zum nächsten Knackpunkt. In vielen öffentlich zugänglichen gastronomischen Betrieben wird ständig eine die Gäste und das Personal beeinträchtigende sogenannte Musik abgespielt. Ich für meinen Teil habe unter einem von außen auf mich eindringenden Geräuschpegel Schwierigkeiten, mit meinen Begleitern oder dem Personal auch nur ansatzweise Gespräche zu führen. Mir sind sogar Leute bekannt, die bereits einen Tinnitus davongetragen haben. Vom psychischen Wohlbefinden will ich gar nicht reden. Wahrscheinlich verspüre nicht nur ich jedesmal körperliches Unbehagen bis hin zu veritablen Abdominal-Beschwerden,, wenn mir beispielsweise beim Lachs und einem guten Riesling der literarisch hochstehende Text in die Ohren geblasen wird, der – übrigens völlig unzutreffend – behauptet: »Es gibt kein Bier auf Hawaii.« Hier wäre ein allgemeines Verbot dieser schon von Wilhelm Busch als oft störend empfundenen Geräuschentwicklung geboten. Wer unbedingt Schnulzen hören will, kann das schließlich auch zu Hause oder auf der Straße. Äußerstenfalls dürfte in Gaststätten die Einrichtung separater Berieselungsräume gestattet sein. Wichtig wäre dabei natürlich, die Bereiche für nichtrauchende Trinker, nichttrinkende Raucher und rauchende Trinker, die sich gern beschallen lassen, strikt von den separaten Räumen für Leute zu trennen, die gern im Stillen rauchen, aber nicht trinken, die am liebsten ohne störende Nebengeräusche trinken, ohne dabei zu rauchen, und nicht zu vergessen die schon oben erwähnte Spezies von sowohl trinkenden als auch rauchenden Musikverächtern. Der allgemeine Gaststättenbereich bliebe dann nichtmusikliebenden, nichtrauchenden Nichttrinkern vorbehalten. Der Rest der Gäste würde sich auf die sechs separaten Genußreservate verteilen dürfen. Unbestritten ist aus medizinischer Sicht, daß viele unbescholtene Menschen durch den hohen Musikpegel in Diskotheken bleibende Hörschäden bis hin zur Taubheit davontragen. Deswegen sollte im Interesse des Personals und der Gäste umgehend ein lückenloses Musikverbot für Diskotheken verhängt werden. Da vielen meist jugendlichen Gästen solcher Etablissements Musik vor allem auch als Anregung zu kollektiven rhythmischen Bewegungen – dem sogenannten Tanzen – dient, könnte man dem gesundheitspolitisch begrüßenswerten Drang zu körperlicher Betätigung mit entsprechenden Alternativ-Angeboten entgegenkommen. Denkbar wären hier etwa gemeinsame Liegestützübungen unter Anleitung eines erfahrenen Feldwebels der Bundeswehr. Zwischenzeitliche Erholungspausen könnten durch individuelle still-besinnliche Lektüre der Bibel oder des Bundesgesetzblatts mit geistigem Leben erfüllt werden. Wer unbedingt tanzen will, kann das schließlich auch zu Hause oder auf der Straße. Natürlich könnte man die Brutstätten der Jugenskriminalität auch gleich in »Warnschuß«-Erziehungslager umwandeln. Leider kommt es heutzutage in den meisten Lokalen zum – inzwischen nicht nur Männern vorbehaltenen – lästigen sogenannten »Anbaggern« von Vertreterinnen und Vertretern des jeweils anderen Geschlechts. Sollte man da nicht, wie im viktorianischen England des späten 19. Jahrhunderts durchaus üblich, getrennte Bereiche für Damen und Herren gesetzlich vorschreiben? Da unser Grundgesetz Gleichberechtigung garantiert, müßten allerdings die obigen bereits geschaffenen Sonderzonen jeweils für Frauen, Männer und gemischte Besuchergruppen unterteilt sein. Das Ergebnis wären dann 18 verschiedene strikt individuell zugeschnittene Separees plus einem garantiert sterilen allgemeinen Gastraum. Da bekanntermaßen in gastronomischen Betrieben gerade das Personal den erwähnten Belästigungen ausgesetzt ist, wäre es doch sinnvoll, bedienungsfreie Zonen und solche mit menschlichem Service zu trennen. Die o. a. Klassifizierungen müßten selbstverständlich beibehalten werden, damit ergäben sich dann fürs erste 37 getrennte Gaststättenbereiche. Das System wäre durchaus noch erweiterungsfähig unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Gaststättenbesucher sich gelegentlich von Jugendlichen oder gar Kindern begleiten lassen. Wie verfährt der gesetzestreue Wirt beispielsweise mit einem nichtrauchenden, abstinenten gemischt-geschlechtlichen Ehepaar in Begleitung seiner 17jährigen Tochter, die gern Schlager hört? Am besten wären wohl gleich die gemütlichen, kommunikativen Einzelzellen gleich an der Ecke. Es gibt jedoch noch ein weiteres ernstes Problem. In vielen Selbstbedienungsrestaurants werden Gäste und Gästinnen aufgefordert, das gebrauchte Geschirr mit oder ohne Tablett an eine Sammelstelle zu bringen. Was geschieht, wenn ein solcherart zur teilweisen Führung des Lokals beauftragter Gast stolpert oder fällt und dabei sich oder andere verletzt? Wer haftet dann? Durch Glasscherben, Messer oder anderes sind sogar Todesfälle denkbar. Bitte also: Verbieten Sie als verantwortungsbewußt handelnde Regierung umgehend sogenannte Selbstbedienungsrestaurants, oder machen Sie wenigstens separate geschirr- und besteckfreie Eßbereiche zur Pflicht. Wer unbedingt Teller oder Tassen zerschlagen will, kann das schließlich auch zu Hause oder auf der Straße. Oder könnte man einschlägigen Restaurants vielleicht einfach Plastikgeschirr gesetzlich vorschreiben? Mir fällt auf, daß es noch immer keine Bundesregenschirm-Verordnung gibt. Manche Menschen spannen das gefährliche Gerät im Straßenverkehr schon auf, wenn es noch gar nicht nötig ist. Einige wenige mißbrauchen den Regenschirm sogar als Sonnenschirm! Hier hätte der Staat die unabdingbare Verpflichtung zu regeln, ab wieviel Kubikzentimeter Regen pro Quadratmeter der Schirm aufgespannt werden darf. Dadurch könnte die Häufigkeit von Unfällen durch anderen Passanten ins Auge geratene Schirmspeichen erheblich reduziert werden. Um Schirmsünder zu identifizieren und ihrer gerechten Strafe zuzuführen, wäre es natürlich notwendig, die Apparate mit einem deutlich lesbaren, nachts beleuchteten Nummernschild zu versehen. Die auf diese Weise fälligen Schirm-Zulassungsgebühren einer noch einzurichtenden Regenschutzmittel-Zulassungsbehörde (RSchMZB) könnten dann doch ganz schön Geld in den Staatssäckel spülen, gelle? Einnahmen über eine alle zwei Jahre fällige Schirm-TÜV-Untersuchung wären auch nicht zu verachten. Wer unbedingt den Schirm aufspannen will, kann das schließlich zu Hause. Nicht jedoch egalweg auf der Straße. In New York werden zuverlässigen Berichten zufolge doch auch Fußgänger (beziehungsweise Fußsteher) bereits in Handschellen abgeführt, wenn sie durch verbrecherisches Stehenbleiben den Verkehr auf dem Bürgersteig behindern. Noch ein grundsätzliches, jedoch möglicherweise für die Staatskasse ergiebiges Thema. Bekanntermaßen stößt jeder Mensch beim Atmen pro Minute durchschnittlich 0,2 Liter mehr des berüchtigten Klimakillers Kohlendioxid aus, als er eingeatmet hat: 288 Liter täglich. (Das bedeutet für die Bundesrepublik Tag für Tag über 23 Millionen Tonnen!) Diese Rechnung gilt allerdings nur im Ruhezustand mit etwa neunhundert Atemzügen in der Stunde. Jogger, Bodybuilder, Leistungssportler produzieren erheblich mehr CO2. Da liegt es aus staatlicher Logik doch nahe, alle überdurchschnittlich häufig atmenden Bürger mit einer Klimaschutz-Abgabe zu belegen. Zwanzig Atemzüge in 60 Sekunden als Pauschfreibetrag. Wer mehr braucht, muß zahlen. Man könnte auch, ähnlich wie bei den Energiekonzernen, CO2-Kontingente verteilen. Wer dann mit zehnmal Atmen in der Minute auskommt, darf den Überschuß im Emissionshandel verkaufen. Jogger können zukaufen. Wer ganz aufhört zu schnaufen, kann einen schönen Extraprofit verbuchen. Ich bin sicher, wenn Sie keine Regelungen treffen sollten, wird Ihnen Brüssel mit entsprechenden EU-Verordnungen die Schau stehlen. Nun hoffe ich, Ihnen mit diesen Anregungen gedient zu haben, und würde mich über Antwort freuen. Es muß ja wirklich noch viel geregelt werden in unserer längst etwas zu freiheitlichen Grundordnung. Beispielsweise dürfen bisher noch alle Bürgerinnen und Bürger straflos dorthin gehen, wo es nicht verboten ist. Ein unhaltbarer Zustand – meinen Sie nicht auch? Mit geregelten Grüßen D. K.
PS.: Mehrfach habe ich jetzt schon in Gaststätten Verbotstafeln vorgefunden, die männlichen Toilettenbenutzern das sog. »Urinieren im Stehen« ausdrücklich verbieten. Könnte man das nicht zum Gesetzt erheben? Notfalls mit Zweidrittel-Mehrheit unter Änderung der Verfassung. Eine Kontrolle mittels Videokamera wäre trotz der meist anzutreffenden Enge des Aktionsraumes wohl gerade noch mach- und gerichtsverwertbar. Denkbar wären aber auch flächendeckende unangemeldete Kontrollen und Stichproben in der Kabine durch mobile Ein-Euro-Einsatzkräfte. Wer unbedingt im Stehen Wasser lassen will, kann das schließlich auch zu Hause oder auf der Straße. Bitte handeln Sie.
PPS.: Wäre ich nicht schon Raucher, würde ich vermutlich jetzt aus Protest gegen staatliche Regelungswut anfangen zu rauchen.
Erschienen in Ossietzky 2/2008 |
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