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Er greift auf Skizzen für seinen nicht geschaffenen »VIII. Knoten« des »Roten Rades« zurück – eines gewaltigen Werkes, das die Zeit von 1914 bis 1922 umfassen sollte. Aus dem Material erwuchs laut seiner Vorbemerkung als Zentrum, als »Große Revolution«, der Februar 1917. Bis zum April 1917 führen die vollendeten Bände. »Schon da offenbarte sich aber die Hoffnungslosigkeit des im Februar zur Macht gekommenen Regimes; keine andere entscheidende geballte dynamische Kraft in Rußland gab es nun als nur die Bolschewiki. Bereits ab April zeichnete sich der Oktober-Umsturz als unvermeidlich ab.« Und tatsächlich lesen sich die Skizzen wie ein spannender Bericht über den Verfall der Staatsmacht (mit Kerenski) von den Schützengräben im Westen bis nach St.Petersburg, über den Autoritätsgewinn der Bolschewiki (mit Trotzki), die hilflosen Bemühungen der »Provisorischen Regierung« um Machterhalt bis hin zum Sieg der Bolschewiki. (»Der Spießbürger schlief und wußte nicht, daß eine Machtablösung stattfindet«, zitiert der Autor Trotzki von der Sitzung des Sowjets – da war auch Lenin aus der Illegalität zur Stelle.) Diese eindrucksvoll objektiven Notizen Solshenizyns zur Geschichte widerlegen die Behauptung, eine Verschwörerclique habe 1917 in St.Petersburg die Macht an sich gerissen und alsbald ihre Diktatur über Rußland errichtet. Mich erinnerten viele Episoden – von Solshenizyn sicher nicht gewollt – eher an Majakowskis Poem »Gut und schön« – bis in die Verszeilen: »Oktoberwinde in alter Weise / wehten und blähten verwitterte Fahnen, / und über die Brücken liefen Geleise / und wieder fuhren die Straßenbahnen. / Doch anders lief ihr gewohnter Lauf – / die Straße des Sozialismus hinauf!« Der Historiker Wladlen Loginow schildert die lange Vorgeschichte der Oktoberrevolution (die Ausplünderung der Bauern 1850, die grausame Niederschlagung der Revolution 1905) und kommt dann auf die Unvermeidlichkeit revolutionärer Gegengewalt zu sprechen – zur Selbstbehauptung der Revolution. Als Zeugnis, daß in dieser Auseinandersetzung alle Seiten diktatorisch vorgehen, zitiert er den einstigen Duma-Vorsitzenden Rodsjanko, der zustimmend berichtet, wie die deutschen Interventionstruppen nach der Wiederbesetzung von Riga 1919 die »Aufrührer« erschossen, die »Ordnung wiederherstellten«. Der Schriftsteller Valeri Schambarow berichtet in seinem Beitrag, der sich wie ein Krimi liest, über Diplomaten und Geheimdienste aus England und Frankreich, die schon in der Februarrevolution ihre Fäden zogen. Zar Nikolaus II. wurde durch Tricks veranlaßt, beim Abdanken eine Namensliste für die Provisorische Regierung mitzuliefern, die umgehend von den USA, England, Frankreich, Italien anerkannt wurde. Diktatorischer als der Zar, löste sie sofort die Duma auf. Lenins und Trotzkis Rückkehr nach Rußland aus schweizerischem und US-amerikanischem Exil wurde auf unterschiedliche Weise von Interessen des Westens beeinflußt. Die USA, England, Frankreich strebten danach, Rußland durch Einflußnahme auf die Revolution – und dann auch im Bürgerkrieg – zu schwächen, sogar zu vierteilen und die Verantwortung Deutschland zuzuschieben. Derweil wurde Rußland ausgeplündert; Gold und Kunstschätze gingen über Estland und Lettland zunächst nach Schweden. Der Historiker Igor Frojanow meint ganz anders als Solshenizyn, im Februar habe im Vergleich zur Oktoberrevolution nur ein politischer Umsturz stattgefunden. Im Herbst 1917 seien dann gegensätzliche Zielsetzungen aufeinander gestoßen. War es eine Revolution für Rußland (russisch-national), die Enthusiasmus und Schöpfertum hervorrief, oder war es Rußlands Hingabe für die Revolution im Sinne der von Lenin und vor allem von Trotzki angestrebten Weltrevolution? Frojanow sieht noch eine dritte Revolution: eine Revolution gegen Rußland, worunter er äußere, gegen Rußland gerichtete Spekulationen vor allem der USA versteht: finanzielle Unterstützung der bolschewistischen Revolution, um den gigantischen russischen Markt zu gewinnen und Rußland (bei staatlicher Zergliederung) in eine Kolonie zu verwandeln. Mit Stalins Sieg über Trotzki habe sich die Revolution für Rußland durchgesetzt (Sozialismus in einem Land), Rußland sei zur Großmacht geworden. »Dummköpfe und Verräter aus der Parteiführung haben dieses Stalinsche Erbe verschleudert.« Ende des 20. Jahrhunderts habe Rußland eine neue, dieses Mal bürgerlich-liberale Revolution erlebt. Die Zielsetzungen erinnerten an die nationalen Elemente in der Oktoberrevolution. Innerhalb einer schleichenden »Weltrevolution«, Globalisierung genannt, sei für das zergliederte historische Rußland mit seinem verelendenden Volk die Rolle des Rohstoff-Lieferanten vorgesehen gewesen. In der langsamen Befreiung von solchen Verstrickungen sieht Frojanow die Möglichkeit, daß sich wieder eine Revolution für Rußland durchsetzt. Leonhard Kossuth wird weiter über diese Diskussion berichten.
Erschienen in Ossietzky 1/2008 |
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