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Was Wunder, daß beide öffentlich-rechtlichen Sender Zuschauerverluste zu beklagen haben. »Nachrichten«, so sprach 1983 ein Tagesschau-Redakteur vor Offizieren der Hamburger Bundeswehr-Akademie, »Nachrichten sind Mitteilungen, nach denen man sich richten kann.« Gilt das heute noch? Es galt schon damals nicht. Der Vortragende war übrigens selbst Hauptmann der Reserve. Die Informationssendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ließen auch 2007 wieder kaum eine Banalität aus und verschwiegen andererseits Wesentliches. Die »Initiative Nachrichtenaufklärung« (www.nachrichtenaufklaerung.de) der Gesamthochschule Siegen stellt seit 1997 unter Mithilfe der Universitäten Bonn, Dortmund und Darmstadt Ranglisten der vernachlässigten Themen zusammen. Mein Hauptvorschlag für die Liste 2007: »Politik für Armut«. Das Statistische Bundesamt hatte Ende November einen Anstieg der Verbraucherpreise für Lebensmittel, Gebrauchsgüter und Dienstleistungen um 3,1 Prozent im Vergleich zum November des Vorjahres gemeldet. Wesentlich teurer waren die Grundnahrungsmittel Brot, Mehl (+7,1 Prozent) und Milchprodukte (+16,5 Prozent) geworden; die Preise für Lebensmittel insgesamt waren um 5,8 Prozent gestiegen. Die Bundesregierung hatte daraufhin behauptet, eine Anhebung des Regelsatzes für Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II »positiv prüfen« zu wollen. Und dann klammheimlich negativ entschieden. Der Regelsatz, zuletzt im Jahr 2003 von 345 Euro um ganze zwei Euro auf 347 Euro angehoben, bleibt nun das fünfte Jahr in Folge unverändert. Kein Wort darüber in den sprachgeregelten Massenmedien, in der ARD-Tagesschau oder im ZDF-heute. 347 Euro sollen für ein Erwachsenenleben in Würde reichen, 208 Euro für den Unterhalt eines Kindes (für Essen, Kleidung, Körperpflege, Schulbücher, Lernmittel, Öffentliche Verkehrsmittel). Wenn das Brot zu teuer sei, empfahl einst Königin Marie Antoinette, »sollen sie doch Kuchen essen!« Ein anderes Thema, das für die Tagesschau keines war: Roßtäuscherei mit Sozialdaten. Die Meldung »Aufschwung erreicht Arbeitsmarkt« war eine irreführende Halblüge. vor allem die Zahl der Mini-Jobs ist angewachsen (auf 6,7 Millionen). Viele Niedrigentlohnte zahlen zwar wieder Steuern und Sozialabgaben, aber nur, weil sie in mehreren Jobs zugleich schuften, um sich und ihre Familien durchzubringen. 1,3 Millionen Erwerbstätige sind »Aufstocker«: Sie brauchen zusätzliche Sozialhilfe, weil ihr Arbeitslohn die Existenz nicht sichert. Herbstliches Mediengedöns: »Entspannung auf dem Lehrstellenmarkt«. Daten, die diese Behauptung gestützt hätten, lagen nicht vor. Die Bundesagentur für Arbeit sowie das Bundesinstitut für Berufsausbildung lehnen es traditionell ab, die Ergebnisse eines Vermittlungsjahres vor dem Folge-Frühjahr zu veröffentlichen, denn erst dann seien alle Fakten gesichert. Auch die Ergebnisse für das Ausbildungsjahr 2007 werden nicht vor März 2008 bekanntgegeben. im Gegensatz zum öffentlichen Gejubel stand im Herbst 2007 lediglich fest, dass zwischen Lehrstellenbewerbungen (734.300) und -angeboten (516.400) eine Lücke klaffte. Ein Minus von 217.900. Abermals haben demnach zehntausende junge Menschen keinen Ausbildungsplatz bekommen. Darunter mindestens 20.000, die seit zwei und mehr Jahren vergeblich versuchen, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. Unsere Mediengesellschaft grenzt ihre Kinder aus und empört sich, wenn sie sich Glatzen scheren lassen. Am ersten Lokführer-Streiktag dröhnte Hartmut Mehdorn, Chef der noch staatseigenen Bahn AG, die er privatisieren will: »Die Eisenbahn in Deutschland ist unser Rückgrat.« Daraus saugte er 3,2 Millionen Euro Jahreseinkommen. Tag für Tag 8767 Euro. Das Zehnfache dessen, was die Bundeskanzlerin verdient. Ein Alg-II-Empfänger soll mit 11,60 Euro am Tag auskommen, für sein Kind erhält er nur 6,93 Euro – obwohl nicht er der Gemeingefährliche ist. Nicht er, sondern Mehdorn wirtschaftet gegen Recht und Gesetz das Volksunternehmen Deutsche Bahn zugrunde. Und mit ihm fünf weitere Bahn-Vorständler, von denen jede und jeder im vergangenen Jahr 1,9 Millionen Euro Gehalt bezog plus 400.000 Euro Prämie Nichts davon in Tagesschau oder heute-journal; allenfalls in Kabarettsendungen kommen solche Einzelheiten vor. Der NDR berichtete von einem Hamburger Fachhändler, der brilliantenbesetztes Hundegeschirr zu Preisen oberhalb von 25.000 Euro anbietet. DB-Vorständler können sich sowas für ihre Vierbeiner leisten. Vor den Feiertagen erhielt ich per E-Mail einen Katalog für vergleichsweise schlichte Hundebekleidung. Darin angeboten ein Burberry-Pulloverchen für »nur« 255 US-Dollar und von Hermés Halsbänder mit Namensschild, je nach Ausführung und Größe zu Preisen von 530 bis 1060 US-Dollar. Jawohl, es gibt ein Leben jenseits von Hartz IV. Besonders intensiv im Fernsehen und in der Werbung. »Mitteilungen, nach denen man sich richten kann« sind dagegen Mangelware. Eher als Kritik an Ursache, Urhebern und Ausmaß des Massenelends dürfen wir wohl ein Christiansen-Palaver zum Thema »Deutschland: Millenniumsziel Armut erreicht« erwarten. mit den Herren Hundt, Thumann, Sinn, Glos, Steinbrück & Co. Literaturempfehlung: Walter van Rossum: »Die Tagesshow. Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht«, Kiepenheuer & Witsch, 199 Seiten, 8,95 €
Erschienen in Ossietzky 1/2008 |
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