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Neue Krise, alte PropagandaParallel zur Endphase der Verhandlungen um die Zukunft des Kosovo und im Schatten einer drohenden Abtrennung der Provinz von Serbien hat Joseph Fischer seine Memoiren vorgelegt: »Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik vom Kosovo bis zum 11. September« (Kiepenheuer & Witsch).Darin führt er aus, warum er ein völkerrechtswidriges Vorgehen bisweilen richtig findet. »Warum, so fragte ich mich, mußte ausgerechnet die erste Bundesregierung, die von der politischen Linken gebildet worden war, mit Deutschland wieder in den Krieg ziehen? (...) Die Welt kann sehr ungerecht sein. Warum wir?« So quälte sich der große Schmerzensmann schon Ende Januar 1999. Gut sechs Wochen vor dem NATO-Angriff war für Fischer demnach schon klar, daß die Bomben fallen mußten. »Weil wir gewählt worden waren und weil es im Kosovo um unsere Grundwerte ging, beantwortete ich mir diese Frage selbst.« Damit ist eigentlich alles gesagt: Wenn solche wie Fischer einmal gewählt worden sind und wenn dann irgendwo auf der Welt eine Situation entsteht, wo es um »unsere Grundwerte« geht, werden sie wieder den Angriffsbefehl geben – gegen UN-Charta und Völkerrecht, gegen das eigene Parteiprogramm und gegen das Grundgesetz. Gelegenheit zu neuer Aggression bietet sich seit dem 10. Dezember: Nach dem offiziellen Ende der Verhandlungen um die Zukunft des Kosovo haben die Albaner angekündigt, in Kürze ihren eigenen Staat zu proklamieren. Unterstützung finden Sie dafür bei NATO und EU, die auch ohne Beschluß des UN-Sicherheitsrates aus Serbien knapp ein Fünftel seines Territoriums herausschneiden wollen. Der Zorn Rußlands, das diesem Rechts- und Tabubruch scharf widerspricht, wird einkalkuliert, von Washington und London vielleicht sogar gewünscht. Falls die Serben gegen die neue Grenzziehung opponieren, könnte die NATO – wie 1999 – gegen sie vorgehen. 17.000 Soldaten des Paktes sind auf dem Amselfeld stationiert, davon 3.000 deutsche. Zur Legitimation militärischen Zwangs wird Schwarz-Rot die Lügengeschichten aufbacken, die schon Rot-Grün beim letzten Krieg genutzt haben: angebliche serbische Massaker wie in Racak, angeblich serbische Verhandlungsunfähigkeit wie in Rambouillet; angebliche serbische Vertreibungsoperationen wie den Hufeisenplan. Wer's nicht glaubt, wird mit abgereichertem Uran ruhiggestellt. Im politischen Berlin dürfte, bis auf Die Linke, große Einigkeit darin herrschen, die Serben wieder einmal »in die Knie zu zwingen« (so Außenminister Klaus Kinkel 1993). SPD und Grüne, die an Angela Merkels Außenpolitik bisweilen herummäkeln, müssen im Falle Kosovo schweigen – zu sehr haben sie sich 1998/99 schuldig gemacht. Jürgen Elsässer Wer in den kommenden Wochen nicht an den parteiübergreifenden Kriegslügen ersticken will, möge zur Neuauflage eines Buches greifen, in dem Jürgen Elsässer alle Propagandamärchen der humanitären Intervention von Joschka und Co. auf dem neuesten Stand der Forschung auseinandernimmt (Jürgen Elsässer: »Kriegslügen. Der NATO-Angriff auf Jugoslawien«, vollständig überarbeitete Neuauflage, Verlag Kai Homilius, 200 Seiten, 12.80 €). Buchpremiere ist am 21. Dezember um 19.30 Uhr in Berlin-Wedding, Serbisch-Orthodoxe Kirche, Ruppiner Straße 28
Umweltpolitik im BiokapitalismusAl Gore ist zu einem der bekanntesten Akteure gegen die globale Klimaerwärmung geworden – durch seine vielen Vorträge, seine Bücher, den Film »Eine unangenehme Wahrheit« und schließlich durch den Friedensnobelpreis, den er gemeinsam mit dem Klimarat der Vereinten Nationen erhalten hat. Wirkungsvoll wendet er sich hauptsächlich an Verbraucher, um ihr »Bewußtsein zu wecken«. Weniger bekannt ist Gore als rückhaltloser Befürworter der sogenannten Biokraftstoffe, die aus Agrarprodukten wie Zuckerrohr, Mais oder Soja gewonnen werden. Auf zwei großen Industriekongressen in diesem Jahr warb er enthusiastisch dafür und ließ außer acht, was in zahlreichen Studien nachgewiesen worden ist: Mit Herstellung und Verbrennung von Ethanol werden die Kohlendioxid-Emissionen nicht gemindert. Wer für Agrarkraftstoffe wirbt, verrät damit eine sehr engstirnige Auffassung von Umweltschutz. Die Erzeugung von Energie aus Nahrungsmittelpflanzen trägt bereits zu deren Verteuerung bei. Darin liegt eine der Hauptursachen für die Verdreifachung des Preises von Tortillas, dem mexikanischen Grundnahrungsmittel aus Mais, Anfang dieses Jahres. Die starke Nachfrage nach Biokraftstoff macht es immer profitabler, Agrarprodukte für Sprit statt für die menschliche Ernährung anzubauen, und steigende Preise fördern die zusätzliche Bepflanzung von Millionen Hektar Land, die bisher Wald waren und Kohlendioxid in Sauerstoff umwandelten. Monokulturen und Düngemittel lassen das Land erodieren – eine fatale Entwicklung angesichts der weltweit 25.000 Menschen, die an den Folgen von Nahrungsmangel sterben. Gores Denken läßt die gesamte gesellschaftliche Produktion und Reproduktion, aus der sich die Umweltprobleme ergeben, unangetastet: Wenn die USA als führender Produzent von Mais und Soja die ganze Ernte für Ethanol verwendeten, würden dadurch nur 12 Prozent des Benzin- und sechs Prozent des Dieselverbrauchs dieses Landes aufgebracht. Die Industrieländer sind für 80 Prozent der von Menschen verursachten Treibhausgase verantwortlich, die USA mit 4,7 Prozent der Weltbevölkerung für ein Viertel des weltweiten CO2-Ausstoßes. Wenn Gore sich gegenüber der Atomenergie etwas zurückhält, dann nicht etwa wegen der Probleme mit der Reaktorsicherheit und dem Verbleib des Atommülls, sondern weil Atomreaktoren in den Händen von Schurkenstaaten noch gefährlicher werden könnten. Das erinnert an den Friedenspreisträger als Kriegspolitiker, der als Clintons Vizepräsident der NATO-Bombardierung Jugoslawiens und den Wirtschaftssanktionen gegen den Irak zugestimmt hat. In der US-Militärakademie Westpoint mahnte Gore einmal, »unsere Nation« müsse darauf vorbereitet sein, Gewalt anzuwenden, wenn amerikanische Interessen ernsthaft bedroht seien. Während das Zeitalter der fossilen Energieträger zu Ende geht und geostrategische Kriege ums Öl geführt werden, zeichnen sich bereits gewaltsame Konflikte um die Bioressourcen ab. Auch das ist Umweltpolitik, die des 21. Jahrhunderts. Miriam Boyer
AufklärungskunstZeitgeschichtliche Untersuchungen über das Ende der DDR und die Anfangsjahre der neuen Bundesrepublik sind ein schwierig Ding. Für diejenigen, die sie schreiben und am wissenschaftlichen Befund interessiert sind, vor allem deshalb, weil sie heutzutage für all und jedes drei Belege beibringen und, unter Beachtung der »political correctness«, eine »ausgewogene« Betrachtung liefern müssen. Solches Bemühen verhilft zwar nicht zu irgendeiner Anerkennung, da die politischen »Mainstreams« an einer objektiven Geschichtsbetrachtung eh nicht interessiert sind, sondern nur an der Bestätigung ihres jeweiligen Vorurteils (»SED-Diktatur« oder »Ostalgie«). Aber es vergrault das Lesepublikum, zumindest den Teil, der sich nicht professionell mit der Thematik befassen muß und derart steriles Zeug nicht in seiner Freizeit lesen möchte. Ein ähnliches Schicksal erleiden Zeitzeugen, die den größten Teil ihres Berufslebens in der DDR zugebracht haben. Ihnen wird meistens, zu Recht oder zu Unrecht, vorgeworfen, daß sie sich die Vergangenheit entweder schönreden oder, weil in dieser alt-neuen Gesellschaft »angekommen«, sie verteufeln. Noch schlechter dran sind allerdings diejenigen, die sich an einer Autobiographie versuchen. Schon im Interesse und zum Schutze jener, die in ihrem Leben eine Rolle spielten, müssen sie verantwortungsbewußt jedes Wort abwägen, sollten das zumindest, und unterliegen letztlich doppelter Vorverurteilung, als Zeitzeuge und Zeithistoriker. Auch der vor allem als Brecht-Forscher berühmt gewordene Werner Mittenzwei hatte sich in den letzten Jahren der Mühe sowohl autobiographischer Betrachtung als auch zeitgeschichtlicher Analyse unterzogen (siehe die bei Faber & Faber erschienenen Bände »Zwielicht« und »Die Intellektuellen«), mit nämlichem Resultat. Jetzt aber hat er das Genre gewechselt und ein literarisches Werk vorgelegt, eine Schlüsselgeschichte zum selben Thema, im »intellektuellen Zwielicht« von Dichtung und Wahrheit angesiedelt: eine künstlerische (subjektive) Darstellung, deren Basis, die Ergebnisse wissenschaftlicher (objektiver) Forschung, unsichtbar bleibt. Es beginnt wie ein »Wendekrimi«: Der Schweizer Literaturwissenschaftler Tobias Bitterli hat eine zu Wendezeiten verbreitete Schauergeschichte über die Stasi gelesen (Stichwort: Internierungslager für oppositionelle DDR-Intellektuelle) und will der Sache auf den Grund gehen. Da er sich dem Ideal wissenschaftlicher Objektivität verpflichtet fühlt und dessen Realisierung jetzt, nach dem Ende des »kalten Krieges«, zum Greifen nahe sieht, geht er ganz unideologisch vor. Mit dem neutralen Blick des Außenstehenden – ein Schweizer betrachtet deutsch-deutsche Kultur und Wissenschaft – will er die Tatsachen aufspüren und in ihren historischen Zusammenhang stellen. Was ihm und seiner Schülerin Christine Moser, aus der Schweiz »importierte« Professorin in Ostdeutschland, beim Bearbeiten des Themas, in ihren Begegnungen mit Beteiligten und Betroffenen, beim Recherchieren und Reflektieren widerfährt, ist köstlich zu lesen und wirkt nach. Auch wer sich in der Personage nicht so genau auskennt, der zeitgenössischen wie der erfundenen, den mit erfundenen Zügen ausgestatteten Zeitgenossen wie den mit zeitgenössischen Zügen versehenen Phantasiegestalten, also, wie der Rezensent, die Vielzahl vorhandener Anspielungen nur zum kleinsten Teil erkennt und durchschaut, kommt auf seine Kosten. Denn der Autor, ausgestattet mit dem nötigen historischen Wissen und zugleich befreit von den oben skizzierten Lasten und Zwängen, bewegt sich mit einer wunderbaren Freiheit durch das Gestrüpp des historischen Materials und wirft nach eigenem Gusto Schlaglichter auf eine zerklüftete Landschaft. Das alles liest sich so leicht und unaufgeregt wie humorvoll und ironisch, führt und verführt zugleich zu weiterem Nachdenken über die Abgründe intellektuellen Daseins. Ganz besonders gelungen scheint mir die Zeichnung der Christine Moser (die ich, en passant, so von einem Mann nicht erwartet hätte). Sehr zum Mißfallen seiner Zunftgenossen schrieb mein Vater, Jürgen Kuczynski, zu DDR-Zeiten des öfteren darüber, daß aus den Werken der Schriftsteller viel mehr über die (damalige) gesellschaftliche Realität zu erfahren sei als aus denen der Wissenschaftler. Das trifft offenbar auch auf die Zeit der »Wende« und die ihr nachfolgende zu. Dem Autor ist daher für ein wunderbares und wunderbar anregendes Leseerlebnis zu danken. Mißtrauisch gegen alle der Marktgängigkeit verpflichteten Werbeslogans, zitiere ich doch das Eigenlob des Verlags: ein Kabinettstück der Nachwende-Literatur in Deutschland. Thomas Kuczynski Werner Mittenzwei: »Die Brockenlegende. Aus den nachgelassenen Papieren des Schweizer Gelehrten Tobias Bitterli kommentiert von Christine Moser. Ein deutscher Mentalitätsspiegel«, Faber & Faber Verlag, 254 Seiten, 21.90 €
Ein bayerischer DDR-KommunistWas verbindet den konservativen CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler mit dem DDR-Theaterwissenschaftler, Brechtforscher und Kommunisten Ernst Schumacher? Wenig, aber beide sind Bayern! Und so präsentierte Gauweiler auf einer Veranstaltung des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) in München Schumachers neuestes Buch mit Aufzeichnungen aus den Jahren 1945 bis 1991, nannte das Werk »mutig« und »ehrlich« und animierte seine politischen Freunde: »In diesem Buch finden Sie alles, was wir immer bekämpft haben!« Recht hat der CSU-Mann. Es ist ein faszinierendes und höchst aktuelles Geschichtsbuch über 50 Jahre deutsche Nachkriegsgeschichte, und zwar aus erster Hand, denn es wurde nicht im Rückblick verfaßt, sondern überzeugt seine Leser mit zeitnahen Schilderungen: Tagebucheintragungen, Jahresrückblicken, Beobachtungen, Gedanken. Wir erleben mit, wie der im Krieg verwundete Schumacher im Nachkriegsbayern vom Linkskatholiken zum Kommunisten wird, wie er als unbequemer Journalist verfolgt, von der Polizei krankenhausreif geschlagen, verurteilt, ins Gefängnis Stadelheim gesperrt wird. Hochinteressant die Kapitel »Der Prozeß« und »Stadelheimer Tagebuch«, aber auch die Schilderungen über Verfolgung Andersdenkender, Wiederbewaffnung, hohe Nazifunktionäre bei Militär, Justiz, Polizei, den immer aussichtsloser werdenden Kampf um die Einheit Deutschlands und die zunehmende Hetze gegen »den Osten«. Für ihn ist schon früh klar: Krieg und Frieden sind eine Klassenfrage. 1951 warnt er, man dürfe sich im Falle der Einheit nicht auf die Kapitalisten verlassen – für sie sei eine Rückkehr nach Osten als Fabrik- und Großgrundbesitzer »naturnotwendig«. Was nun nicht mehr bewiesen werden muß. Wegen weiterer drohender Verfolgungen geht Schumacher 1962 in die DDR, habilitiert über Brecht, wird Direktor des Instituts für Theaterwissenschaft der Humboldt-Universität und der bekannteste Theaterkritiker der Berliner Zeitung. Schumacher will den Sozialismus »besser, wirkungsvoller, stärker, besser in der Lage, den imperialistischen Kriegstreibern zu widerstehen«. Immer bewahrt er sich einen kritischen Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung in beiden deutschen Staaten und in der Welt, besonders aber auf die Kulturpolitik der DDR. Im Vorwort nennt Herausgeber Michael Schwartz vom IfZ diesen Teil eine »reichhaltige Quelle zur Erkundung der DDR-Kulturgeschichte«. Das 720 Seiten umfassende Buch ist vom Herausgeber reichlich ausgestattet mit oftmals langen Anmerkungen, zumeist hilfreich, soweit sie sachlich Zusammenhänge erläutern. Oftmals aber sind sie ärgerlich, wenn sie nur Voreingenommenheit und billigen Antikommunismus widerspiegeln und die Aussagen Schumachers konterkarieren sollen. Selten habe ich ein Buch gelesen, in dessen Fußnoten mit dem bloßen Zusatz »SED« versucht wird, alles und jedes in der DDR auf einen Nenner zurechtzustutzen: SED-Staat, SED-Kulturpolitik, SED-Schriftsteller, SED-Herrschaft, SED-Imperium, SED-Diktatur, SED-Künstler, SED-Regime… – nichts wurde ausgelassen. Wenig verwunderlich in diesem Zusammenhang, daß der Herausgeber zwar seitenlang aus Berichten der Staatssicherheit über Schumacher zitiert, kein Wort jedoch aus Akten des Verfassungsschutzes oder anderer westlicher Geheimdienste. Auf seinem Weg vom Bundes- zum DDR-Bürger und – unfreiwillig – wieder zurück ist Schumacher immer Kommunist geblieben. Sein Fazit: »Nein, ich werde mich mit diesen Un-Menschen« – er spricht vom räuberischen Imperialismus – »so bieder sie sich geben mögen, nie versöhnen, mich mit diesem Zustand der Welt nicht abzufinden vermögen.« Die »Rückverwandlung des real existierenden Sozialismus in ein Gespenst«, so macht Schumacher im Buch deutlich, dürfe man nicht hinnehmen. Horst Schäfer Ernst Schumacher: »Ein bayerischer Kommunist im doppelten Deutschland«, Aufzeichnungen 1945–1991, Oldenbourg Verlag, 720 Seiten, 69,80 €
PeriodikaIm Dezemberheft der Hamburger Monatszeitschrift Sozialismus setzt sich David Salomon klarsichtig mit dem Schriftsteller Martin Mosebach auseinander, einem bekennenden Reaktionär, der in diesem Jahr ausgerechnet mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt worden ist. Da fehlt nur noch ein Ossietzky-Preis für Rumsfeld. Mosebach, dessen Gleichsetzung des Saint Just in Büchners »Dantons Tod« mit Heinrich Himmler zugunsten des SS-Führers ausfällt, wie Salomon richtig schlußfolgert, erweist sich auch als Monarchist – wie er gebraucht wird, wenn wir mit viel Geld anstelle des Palastes der Republik das Berliner Stadtschloß wiedererrichten. Weitere Themen sind unter anderen »Hochschulpolitik in der Ära des Finanzmarkt-Kapitalismus«, »Soziale Vererbung von Bildungschancen« sowie »Weltweiter Waffenhandel«. Hauptzielgruppe der Zeitschrift sind linke Gewerkschafter, von denen auch manche zu den Autoren gehören. Einer der sympathischsten und verläßlichsten von ihnen war Ewald Wehner, der gelegentlich auch für Ossietzky geschrieben hat. Frank Deppe widmet ihm einen Nachruf, dem ich nur zustimmen kann. (Bezugsadresse: Sozialismus, St. Georgskirchhof 6, 20099 Hamburg.) E.S.
Walter Kaufmanns LektüreGay Talese, US-Autor von Rang, hat mit »Thy Neighbor’s Wife« ein gut strukturiertes, spannend zu lesendes Buch über sexuelle Normen in den Vereinigten Staaten 1970er Jahre vorgelegt. Von 1971 bis 1980 recherchierte er, und als das Buch 1981 erschien, wurde es zur Sensation – heute ist es ein Klassiker. In ihm spiegelt sich ein Amerika größter Freizügigkeit: Romane wie »Lolita« wurden legal verkauft, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung deckte (fast) alles ab, die Pille war erfunden und AIDS unbekannt. In jedem größeren Ort gab es Swingerklubs, in Nudistenkreisen sonnte man sich nicht nur, und Psychiater verschrieben Ecstasy zur Behebung von Beziehungsproblemen ... Damals also begleitete Gay Talese über lange Strecken den Playboy-Gründer Hugh Hefner und schrieb anschließend ein differenziertes, aufschlußreiches Portrait über ihn; er sprach ergiebig mit Alex Comfort, dem Autor von »The Joy of Sex«, und leitete selbst über mehrere Wochen einen Massagesalon in Manhattan. In Kalifornien schloß er sich einer Verbindung, an, die freie Liebe lobte und lebte. Dort auch gewährten ihm mehrere Paare Einblicke in ihre Intimsphäre, ihre Ehen, Affären, Haltungen zu Treue und Untreue (Anmerkung des Autors: »Genannte Namen und beschriebene Ereignisse sind echt und haben sich so ereignet«), und so gelang es ihm, die einschneidenden Veränderungen in den USA seit den sechziger Jahren offenzulegen. Sein literarisches Können, das ihm über die Jahre die Veröffentlichung in Esquire und dem New Yorker sicherte, stellt ihn (für mich) in eine Reihe mit Truman Capote. Höheres Lob hatte ich nicht, als ich seine ebenfalls in diesem Jahr auf Deutsch erschienenen Reportagen »Frank Sinatra ist erkältet« besprach, noch weiß ich höheres Lob für »Du sollst begehren«. Walter Kaufmann Gay Talese: »Du sollst begehren – Auf den Spuren der sexuellen Revolution«, übersetzt von Gustav Stirner, Rogner & Bernhard, 671 Seiten, 29.90 €
Zuschriften ans LokalblattLiebe Mitarbeiter der Ratgeber-Seite, Ihr habt mir schon manchen brauchbaren Tip verraten. Jetzt habe ich mal eine etwas schwierigere Frage. Den Bundesbehörden – ich weiß nicht genau, welchen – ist es ja nun gestattet, auch auf die Dateien der Festplatten und auf die Handys der Bürger zurückzugreifen. Ich kann also jetzt davon ausgehen, daß alle meine Daten zentral gespeichert und verwaltet werden, und ich finde das wegen der Terroristengefahr auch gut so. Nun ist mir durch eigene Unachtsamkeit neulich ein Mißgeschick unterlaufen, ich habe nämlich versehentlich einige meiner Dateien gelöscht. Da es sich um für meine ehrenamtliche Arbeit sehr wichtige Texte handelt, setze ich alle Hoffnungen auf die dafür zuständigen Bundesbehörden. An welche Institutionen kann ich mich mit dem Anliegen wenden, mir eine Kopie meiner verlorengegangenen Dateien zur Verfügung zu stellen, und welchen Dienstwege muß ich beschreiten? Selbstverständlich bin ich bereit, die entstehenden Kosten zu übernehmen oder leere Datenträger zur Verfügung zu stellen. – Paul Punzlaff (67), Computer-Freak, 08491 Lauschgrün. * Wie die Medien berichteten, beriet die UNO-Jahrestagung seit dem 7. November 2007 über Konventionen gegen inhumane Waffen. Ja, richtig, inhumane Waffen, ich wußte gar nicht, daß es so etwas gibt. Ich habe mich demzufolge informiert und weiß jetzt, daß man darunter beispielsweise flächendeckende Streubomben sowie nicht unmittelbar nach dem Abwurf exlodierende Granaten und Minen versteht. Das kann ich mir gut vorstellen, denn in Oranienburg und anderswo gehen über 60 Jahre nach Kriegsende noch immer Bomben hoch oder werden bei Bauearbeiten aus dem Mutterboden gebaggert. Da sich die UNO-Tagung mit »inhumanen« Waffen befaßt, drängt sich allerdings der Schluß auf, daß es auch »humane« Waffen geben muß, also menschenfreundliche Bomben oder Granaten. Darunter kann ich mir, ehrlich gesagt, wenig vorstellen. Wann bitte ist eine Waffe human? Wenn sie auf Anhieb oder besser: auf ersten Anschuß tötet? Wenn sie ohne Streuwirkungen in Weichziele eindringt? Welche Kriterien gibt es für menschenfreundliche Sprengsätze? Existiert eine von der UNO, der NATO oder einer anderen Menschenrechtsorganisation erarbeitete Liste humaner Waffen oder Waffensysteme? Verdienen die Rüstungsfirmen auch genug an menschenfreundlichen Vernichtungsmitteln, oder müssen sie vom Staat, also vom Steuerzahler, zusätzlich bezuschußt werden? Zählen die von den USA bereits in Vietnam eingesetzten chemischen »Entlaubungsmittel«, die nicht nur bei Bäumen zum Kahlschlag führten, zu den humanen Methoden? Fragen über Fragen! Einige Staaten, so auch Deutschland, haben bei der Tagung Bedenken gegen eine generelle Ächtung inhumaner Waffen angemeldet. Sie wollen nicht gleich übertreiben und plädieren lediglich für den Verzicht auf »gefährliche« Streumunition. Es muß also neben »gefährlicher« auch weniger gefährliche, ungefährliche oder harmlose Streumunition geben. Da erhebt sich natürlich die Frage, welchen Sinn es überhaupt hat, »ungefährliche« Streumunition zum friedensstiftenden Einsatz zu bringen? Tomaten? Gummibärchen? – Adalbert Büchsenschuß, Kriegsinvalide, 98666 Waffenrod. * Am 1. Dezember 2007 informierte die Lippische Landeszeitung über einen schlimmen Gesetzesverstoß. Ein 54jähriger Herzpatient und Hartz-IV-Empfänger hatte sich, wie die Zeitung wörtlich berichtete, mittels einer gestohlenen Krankenkassenkarte in der Medizinischen Hochschule Hannover eine Herzoperation erschlichen und wurde dafür zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Ich finde das richtig, weil, wo kämen wir denn hin, wenn sich neuerdings jeder selber um seine Gesundheit kümmert, noch dazu mit unredlichen Mitteln. Die Operation hat dem Schmarotzer zwar das Leben gerettet, aber wie er mit der moralischen Belastung leben kann, eine Chipkarte mißbraucht zu haben und vorbestraft zu sein, bleibt abzuwarten. Da muß doch jeder Herzschlag wie ein Vorwurf wirken! Da hätte er auf dem Friedhof eher seine Ruhe gefunden. – Willibald Wimmer (52), Herzpatient, 38489 Wohlgemuth. Wolfgang Helfritsch
Erschienen in Ossietzky 25/2007 |
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