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Walerjan gehörte zu den 1,7 Millionen während des Krieges nach Deutschland geschafften polnischen Zwangsarbeitern und war einem Bauernhof in Bremen-Lesum als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter zugewiesen worden. Krank vor Heimweh hatte der Junge, der offensichtlich noch nicht einmal die Reife eines 16-jährigen hatte, zunächst versucht, einfach auszureißen und die 900 Kilometer nach Hause zu laufen, war aber schon nach wenigen Metern ergriffen und zurückgeholt worden. Einige Tage später hatte er eine noch unreifere Idee: Er wollte eine Scheune auf dem Hof seines Zwangsarbeitgebers anzünden, in der Erwartung, daß man ihn dann als unbrauchbare Arbeitskraft nach Hause zu seinen Eltern schicken würde. Das von ihm gelegte Feuer wurde unter seiner Mitwirkung schnell gelöscht, bevor nennenswerter Schaden entstanden war. Aber man zeigte ihn an, und er geriet in die Hände der faschistischen Barbaren in Uniform und Robe, die damals deutsche Staatsgewalt repräsentierten. Wir wüßten nichts von Walerjan Wróbel und seinem Schicksal, wenn nicht Christoph Schminck-Gustavus, der als Rechtshistoriker an der Bremer Universität den Verbrechen der Nazigeneration nachspürte, im Bremer Staatsarchiv die Akten über den Fall Walerjan Wróbel gefunden hätte. Schminck-Gustavus hat dann etwas getan, was nur wenige seiner Professorenkollegen getan hätten: Er ist nach Polen gefahren und hat die noch lebenden Angehörigen und Freunde des hingerichteten Jungen aufgesucht, ihnen von dessen gewaltsamem Ende berichtet und Informationen über Walerjan, seine Familie und seine Freunde eingeholt. Und er hat auch recherchiert, was aus den Richtern und Staatsanwälten geworden ist, die für Walerjans Tod verantwortlich waren. Das alles hat er in seinem Buch »Das Heimweh des Walerjan Wróbel« aufgeschrieben und dafür gesorgt, daß man sich in Bremen, und nicht nur in Bremen, des an diesem Jungen verübten Justizverbrechens erinnert. Walerjans Schwester und ein Haftgenosse aus dem KZ Neuengamme, wo Walerjan vor seinem Strafverfahren noch monatelang gequält worden ist, wurden im Mai 1987 nach Bremen eingeladen und von zwei Senatoren empfangen. Ihnen wurde eine Spende von 10.000 DM mitgegeben, die sie auftragsgemäß in einem polnischen Kinderheim abgegeben haben. Ob dieses Geld wirklich den Kindern zugute gekommen ist, für die es bestimmt war, ist fraglich. Aus Polen ist nie eine Bestätigung oder gar ein Dank gekommen. Es wäre aus nachträglicher Sicht wohl besser gewesen, dieses Geld der Familie des Ermordeten zu geben. Sie ist auch bei der Zwangsarbeiterentschädigung leer ausgegangen, denn diese wurde bekanntlich nur an noch lebende Zwangsarbeiter gezahlt. Man liest in Schminck-Gustavus’ Buch die Dokumente über das kurze Leben des Walerjan Wróbel, vor allem den Bericht über seine letzte Nacht und seine Abschiedsbriefe an seine Eltern, mit tiefer Erschütterung, und lauter als Schreie empfindet man die drei stummen Bilder des Jungen, aufgenommen von der Gestapo. Unberührt von den barbarischen Unrechtsurteilen des Nazi-Staates sind jedoch gerade die geblieben, die am meisten Anlaß gehabt hätten, ihr Gewissen wenigstens nachträglich zu befragen. Schminck-Gustavus hat die schamlose Selbstrechtfertigung des Vorsitzenden des Bremer Sondergerichts ausführlich zitiert. Man wußte sich gut aufgehoben im Zeitgeist der Adenauer-Ära, der von altbewährten Nazis in den Medien und in politischen Schlüsselstellungen geprägt wurde. Die Richter, die im Jahr 1942 das Todesurteil über diesen jungen Menschen gesprochen haben, sind dafür auch nach dem Zusammenbruch des Nazistaats nie zur Verantwortung gezogen worden. Im Gegenteil, sie durften auch nach 1945 weiter judizieren und nach Erreichen der Altersgrenze ihre auch mit Terrorurteilen verdienten Pensionen verzehren. Einem der Richter, die das Unrechtsurteil über den polnischen Jungen und noch viele weitere Todesurteile gegen Antifaschisten und Widerstandskämpfer gefällt hatten, bin ich als junger Gerichtsreferendar Anfang der 50er Jahre noch begegnet. Dr. Heumann war Vorsitzender einer Zivilkammer des Bremer Landgerichts. Anläßlich seines 80.Geburtstag wurden seine Verdienste vom Senat der Freien Hansestadt gewürdigt, die Tagespresse berichtete über die Ehrung, wobei seine Rolle im Sondergericht taktvoll verschwiegen wurde. Auch den Staatsanwalt, der die für Walerjans Hinrichtung nötigen Verfügungen getroffen hat, einen Herrn Albrecht, habe ich noch kennengelernt. Er war inzwischen zum Oberstaatsanwalt aufgestiegen und unterschrieb Anklageschriften gegen Kommunisten, die schon im Hitler-Reich als Widerstandskämpfer kriminalisiert und eingesperrt worden waren. Walerjans Schwester, die kürzlich zusammen mit weiteren Persönlichkeiten aus Polen noch einmal in Bremen zu Besuch war, ist sicher mit dem Bewußtsein in ihre Heimat zurückgekehrt, daß es heute in Deutschland Menschen gibt, die mit Trauer und Zorn auf das Unrecht reagieren, das deutsche Juristen in der Zeit kollektiver Rechtsblindheit verübt haben. Wir können dieses Unrecht nicht wiedergutmachen, wir können Walerjan Wróbel nicht wieder lebendig machen, aber wir können etwas dafür tun, daß sich Barbarei im Gewande des Rechts nicht wiederholt und daß sie, wo sie auch heute noch geschieht, durch öffentliche Anklage ins kollektive Gewissen gerufen wird.
Heinrich Hannover hat zur Vorstellung der Neuausgabe des Buches in der Bremer Zentralbibliothek diese Einleitungsworte gesprochen. »Das Heimweh des Walerjan Wróbel. Ein Knabe vor Gericht 1941/42« von Christoph Schminck-Gustavus ist im Donat-Verlag erschienen. Es hat 165 Seiten und kostet 12.80 €. Nachgetragen seien Angaben zu dem Buch von Günther Schwarberg, das Heinrich Hannover im vorigen Ossietzky-Heft besprochen hat: »Das vergess ich nie. Erinnerungen aus einem Reporterleben«, Steidl Verlag, 409 Seiten, 19.90 €
Erschienen in Ossietzky 25/2007 |
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