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Die täglichen DreistigkeitenDie neoliberalen Wirtschafts- und Geldfürsten und ihre politischen und wissenschaftlichen Lakaien einschließlich der meisten Medien übertreffen einander an Frechheit, Lügen, Schamlosigkeit, Skrupellosigkeit und Verhöhnung der Schwächeren. Hier ein paar Beispiele aus den letzten Wochen. Der Telekom-Konzern nannte die Entlassung von 2000 Beschäftigen und die Verlängerung der Arbeitszeiten für die verbleibenden: »Verbesserungen«. – Günther Oettinger (CDU), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, äußerte sich in Südafrika über Jugendliche: »Der junge Arbeitslose steht dann rum, kommt auf dumme Gedanken, wird kriminell oder kriegt Aids.« – Peter Löscher, Siemens-Chef: »Wir betreiben nun fokussierte Portfoliopolitik.« (Das heißt Arbeitsplatzvernichtung. Denn Betriebe und Betriebsteile, die nicht den vorgegebenen Profit erwirtschaften, werden geschlossen oder an »Heuschrecken« verkauft). – Mario Frusch, Chef des privaten Post-Unternehmens TNT: »Wir schaffen neue Arbeitsplätze und lehnen deshalb Mindestlöhne ab.« (Die privaten Postunternehmen sind für Hungerlöhne bekannt.) – CDU-Bundestagsfraktion: »Mindestlohn bei Postdienstleistungen ist politisches Gammelfleisch.« –Bund der Deutschen Industrie: »Rentendämpfung nötig«. (Gemeint ist: Der Rentenklau soll beschleunigt werden.) –Georg Brüderle, FDP: »Staatliche Schutzzäune um Arbeitnehmer haben in einer sozialen Marktwirtschaft nichts verloren.« – Westdeutsche Landesbank: »Für 2007 Gewinnwar-nung«. (Zu deutsch: ein dreistelliger Millionen-Verlust steht bevor.) – Bernhard Walker, Redakteur der Badischen Zeitung: »Bei der Ablehnung der Tornadoeinsätze in Afghanistan handelt es sich um Primitiv-Pazifismus.« –Franz-Josef Jung, Bundesverteidigungsminister, am Volkstrauertag: »Wir gedenken heute vor allem jener Bundeswehrsoldaten, die Opfer der Friedensmissionen wurden.« (Die westlichen »Friedensmissionen« haben allein in Jugoslawien, Afghanistan und Irak Hunderttausende von Zivilisten das Leben gekostet.) Werner René Schwab
Die Krise(n) des KapitalismusKrisen und Katastrophen, die der moderne Kapitalismus produziert und denen ganze Gesellschaften und Millionen Individuen zum Opfer fallen, nutzt er sofort als Gelegenheit, den globalen ökonomischen Umbau im Interesse weltweit operierender Profiteure voranzutreiben. Die kanadische Journalistin Naomi Klein – vor Jahren international bekannt geworden mit ihrer globalisierungskritischen Schrift »No Logo« – beschreibt dies in ihrem neuen Buch »Die Schockstrategie« auf mehr als 700 Seiten am Beispiel vielfältiger, sorgfältig recherchierter Fakten. Der »Aufstieg des Katastrophenkapitalismus« – so der Untertitel – ist beileibe keine zufällige Folge der Krisen, sondern Ergebnis ökonomischer, in akademischen Denkfabriken entwickelter Strategien. Seit mehr als 30 Jahren spielt dabei die von dem Neo-Liberalen Milton Friedman begründete Chicagoer Schule und die von ihm und seinen Schülern, den »Chicago Boys«, weltweit praktizierte »wirtschaftliche Schocktherapie« eine zentrale Rolle. »Nur eine Krise – eine tatsächliche oder empfundene – führt zu einem echten Wandel«, so Friedmann. Erst der durch die Krise ausgelöste gesellschaftliche Schock macht die Bevölkerung bereit, die mit dem neoliberalen Umbau ihrer Wirtschaft und des politischen Systems verbundenen Konsequenzen – Privatisierung, Deregulierung und Abbau der Sozialsysteme – hinzunehmen. Naomi Klein zeigt, daß die vor mehr als 30 Jahren erstmals in Chile realisierten Konzepte der Chicagoer Schule die Welt grundlegend verändert haben. Ob in Chile oder anderen Staaten Lateinamerikas, beispielsweise Bolivien, ob in Südostasien nach dem Tsunami, in China und in Rußland, in den USA nach dem 11. September oder im Irak, dort und anderswo in der Welt hat die Katastrophen ausnutzende Verwirklichung der neoliberalen Wirtschaftsmodelle eines Milton Friedman und seiner Anhänger die Folge, daß »sich eine mächtige Allianz von einigen wenigen Großunternehmen und einer Schicht größtenteils reicher Politiker der Herrschaft bemächtigt« hat. Es wundert deshalb wenig, daß Donald Rumsfeld zu Friedmans engen Freunden gehörte. Und auch das beschreibt und belegt Naomi Klein: Wo der gesellschaftliche Schock als Grundlage der radikalen wirtschaftlichen Reformen nicht ausreicht, besteht keine Zurückhaltung der politischen Machthaber, den individuellen Schock hinzuzufügen. Die Folterungen in Chile und im Irak stehen durchaus im Zusammenhang mit diesen wirtschaftlichen Reformen. Naomi Klein hat kein theoretisches, sondern ein politisches Buch geschrieben. Sie will deutlich machen, daß die sichtbaren Erscheinungen und verbreiteten Ideologien der Ausdruck ökonomischer Interessenzusammenhänge sind. Im Gegensatz zu zahlreichen kritischen Ideologen argumentiert sie auch nicht moralisch, sondern beruft sich ausdrücklich zustimmend auf Simone de Beauvoir: Es sei ein Fehler und komme aktiver Komplizenschaft nahe, im Namen der Moral gegen »Exzesse« und »Mißbrauch« zu protestieren. Es gebe keine Exzesse und keinen Mißbrauch, sondern nur ein alles durchdringendes System. Was Naomi Klein beschreibt, beunruhigt zutiefst. Aber solange solche Bücher geschrieben werden, lebt auch die Zuversicht. Jürgen Marten
Naomi Klein: »Die Schockstrategie – Der Aufstieg des Katastrophenkapitalismus«, S. Fischer Verlag, 763 Seiten, 22.90 €
Glaubt nicht der TagesschauWalter van Rossum, dem wir schon das Buch »Meine Sonntage mit Sabine Christiansen« verdanken, hat ein neues verfaßt: »Die Tagesshow – wie man die Welt in 15 Minuten unbegreiflich macht«. Kenntnisreich deckt er reihenweise Fehlinformationen auf: Mangel an Fakten, Mangel an Distanz und Ausgewogenheit, stattdessen Parteinahme, Tradierung von Vorurteilen und Mythen. Er schreibt keß, scharfzüngig und klug – ein Genuß. Ob seine analytisch gewonnenen Erkenntnisse und davon abgeleiteten vernichtenden Urteile die Tagesschau-Leute erreichen werden? Sie sind ja nicht nur Informanten, sondern Meinungsproduzenten und freuen sich, wenn die Umfrageindustrie ihnen immer wieder bestätigt: Das Volk glaubt ihnen alles. Noch! Aber jetzt kommt van Rossum. Frank Schubert
Walter van Rossum: »Die Tagesshow – Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht«, Kiepenheuer & Witsch, 200 Seiten, 8.95 €
Wozu noch Goethe?Die Konferenz der Kultusminister hat sich nahezu einmütig dafür ausgesprochen, das Goethe-Institut, das seit 1976 im Auftrage der Bundesregierung in mehr als 70 Ländern kulturpolitisch tätig ist, umzubenennen. Wer kann denn mit dem Namen Goethe noch etwas anfangen? Zeitgemäßer erscheint der Autor Heinz G. Konsalik. Widerspruch gab es bisher nur von Bayern, das Edmund Stoiber als den wegen seiner vorbildlichen Diktion einzigartigen Vertreter deutscher Sprachkunst als neuen Institutspatron vorschlägt. * Die vor 17 Jahren in den damals gerade neuen Bundesländern vollzogenen zahlreichen Korrekturen der Namensgebung für Straßen und Plätze, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen waren, wie inzwischen feststeht, durchweg erfolgreich. Man fand zum Beispiel in der Natur viel hübschere Namensgeber als zwiespältige Literaten wie Heinrich Heine, rebellische Theologen wie Thomas Münzer oder Widerstandskämpfer, die kaum jemand kannte und heute erst recht keiner mehr kennt. Im Westen gab es einen Korrekturbedarf in solchem Ausmaß nicht. In Westberlin hätte zwar im Jahre 1946 die Magistratsvorlage 428 beinahe ähnliche Folgen gehabt wie im Osten: Für 428 Straßen und Plätze waren Umbenennungen vorgesehen, um vor allem militaristische und monarchistische Namen zu beseitigen. Doch schon ein Jahr später wurden alle Vorschläge zu den Akten gelegt. So blieb es in Tempelhof bei den 1936 mit großem militärischem Pomp vorgenommenen Straßenbenennungen nach Fliegerhelden aus dem Ersten Weltkrieg. Steglitz ehrt bis heute mit einer Straße den Historiker Treitschke, der einst den Spruch »Die Juden sind unser Unglück« prägte. Reinickendorf würdigt den Kaufmann Lüderitz, unter dessen Mitwirkung der Herero-Aufstand blutig niedergeschlagen wurde. * Jüngst gab der Präsident der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam zu bedenken, daß sowohl im Selbstverständnis der Studenten als auch in der Außenwirkung der Name Konrad Wolf in der Bezeichnung der HFF immer weiter in den Hintergrund gerückt sei. Die heutigen Studenten wüchsen mit anderen Regisseuren auf. Doch dieser Hochschulleiter, dessen Namen wir uns gar nicht erst merken wollen, stieß auf Widerspruch. Der Präsident der Berliner Akademie der Künste, Klaus Staeck, erinnerte daran, daß die Hochschule und ihr Leiter die Pflicht haben, den Studenten die Bedeutung des Filmemachers Konrad Wolf zu vermitteln. Und der Widerspruch kam so vielstimmig und kraftvoll, die Achtung vor dem Schöpfer einiger der größten deutschen Filme gegen Krieg und Faschismus äußerte sich so klar und überzeugend, daß Präsident Wiedemann, dessen Namen wir jetzt sofort vergessen wollen, sich rasch entschloß, seine Gedanken zurückzuziehen und zu versichern, künftig könne auch eine Universität – denn das will die Hochschule werden – den Namen Konrad Wolf tragen. Joachim Bennewitz
KulturabbauIn Kurt-Tucholskys Vater- und Mutterstadt Berlin, genau gesagt in ihrem Ostteil, wurde 1960 im Stadtbezirk Mitte, Max-Beer-Straße 24 (Nähe Alexanderplatz) die Kurt-Tucholsky-Bibliothek eröffnet. 1984 bezog sie größere Räume im Hause Münzstraße 4, und 1990, noch zu DDR-Zeiten, wurde sie zu allgemeiner Zufriedenheit in der Rosa-Luxemburg-Straße 49 untergebracht. Sie bestand bis 1997. Dann wurde sie aus Kostengründen geschlossen. Der Bezirk Mitte befand, es gebe zu viele Bibliotheken. Immerhin erhielt dann im Nachbarbezirk Prenzlauer Berg eine bestehende Bibliothek an der Esmarchstraße Kurt Tucholskys Namen und machte sich um ihn verdient. Jetzt, im trüben November 2007, beschloß der Bezirk Pankow, in den der Bezirk Prenzlauer Berg inzwischen eingemeindet wurde, aus Kostengründen die Schließung der Kurt-Tucholsky-Bibliothek, zu der auch eine eigene, vielgenutzte Kinderbücherei gehörte. Vor dem Beschluß hatten über 3000 Bürgerinnen und Bürger gefordert, daß sie weiterbestehen müsse. Desgleichen die Kurt-Tucholsky-Gesellschaft. Jetzt gibt es weit und breit keine Bibliothek mehr. Die Kinder dürfen fernsehen oder zu den Nazis gehen. Oder was können sie sich sonst leisten? E.S.
Fernliegender GedankeIn jenen fernen Zeiten geschah es, daß in Schwerin ein Kind verhungerte – und die Empörung war groß. Überall, wo sich an den folgenden Tagen die bessergestellten Damen zum Tee trafen, entsetzten sie sich gemeinsam über die Eltern, vor allem die Mutter. Das sei doch gar keine Mutter. Wer seinem Kind nicht gebe, was es brauche, verdiene das Kind nicht. Und darum müßten die Arme-Leute-Viertel viel strenger überwacht werden. Politiker versprachen, mehr Geld für Kontrollen bereitzustellen. In keiner der großen, von den Milliardären des Landes herausgegebenen Zeitungen aber las man die Forderung, daß der Staat Geld bereitzustellen habe, damit alle armen Kinder jeden Tag unentgeltlich Frühstück, Mittag- und Abendessen bekommen. Niemand kam darauf. Der Gedanke lag ihnen ganz fern. Rita Rosmarin
Seka von Achenbachdie 90jährig in München gestorben ist, hat bis in ihre letzten Tage jeden und jede bezaubert – vor allem durch freundliche Aufmerksamkeit. Aber was wußte man von ihr? Lebensbestimmend für die Jugoslawin aus Sarajewo war die Begegnung mit dem deutschen Antifaschisten Ado von Achenbach, der in Zagreb Asyl gefunden hatte. Sie heirateten, bekamen zwei Kinder – doch dann war schon Krieg, die Nazi-Wehrmacht zog auf dem Balkan ein, Ado von Achenbach wurde verhaftet und nach Deutschland ins KZ gebracht. Seine junge Frau ertrug die Trennung und die Ungewißheit über sein Schicksal nicht und entschloß sich – obwohl sie kein Deutsch sprach –, ihm »ins Reich« nachzureisen, mit beiden Kindern. Sie suchte (ein Filmstoff!) und fand ihn, und es gelang ihr sogar, einen KZ-Wächter zu bestechen, daß er den Gefangenen für ein paar Stunden hinaus ließ. Sie blieb in Deutschland, fand mit ihren Kindern Zuflucht im Künstlerdorf Ahrenshoop, wartete auf das Ende des Krieges und des Nazi-Reiches und die Freilassung ihres Mannes. In der Hektik der Nachkriegsjahre ging die Ehe auseinander. Eine zweite mit dem Schriftsteller Alfred Kantorowicz hielt nicht lange. Sie stieß in der DDR als »Tito-istin« auf Mißtrauen; in Jugoslawien, wo sie wieder heimisch zu werden versuchte, wurde sie als »DDR-Agentin« verdächtigt. Kalter Krieg. Ich lernte sie in München kennen, wo sie immer an der Seite derer stand, die sich gegen die reaktionäre Politik der CSU, gegen Aufrüstung, für Sozialismus engagierten. Sie hat mir Herz und Verstand für Jugoslawien geöffnet. Dessen Zerschlagung mit maßgeblicher deutscher Mitwirkung war der größte Schmerz ihres Alters. Eckart Spoo
Eine Kinderbuchautorin1993 erschien im Buchverlag Alkyon der autobiographisch gefärbte Roman »Feuermoor« von Lotte Betke, die bis dahin vor allem als Verfasserin von Kinderbüchern und Hörspielen hervorgetreten war. Grundlage des Romans waren ihre Erfahrungen als Schauspielerin am Berliner Staatstheater am Gendarmenmarkt, wo sie zwischen 1933 und 1943 über dreißig Rollen gespielt hat. Gustaf Gründgens, den legendären Intendanten, stellte sie darin sehr kritisch dar, unverhohlene Sympathie äußerte sie hingegen für den Kommunisten Hans Otto, mit dem sie 1932 zusammen in Goethes »Egmont« aufgetreten war. Im selben Verlag liegt seit einigen Tagen eine Biographie der jetzt 102-jährig in einem Seniorenheim lebenden Lotte Betke von Heide Schmidt vor. Neben Gustaf Gründgens werden hier auch Jürgen Fehling und Albert Florath als Förderer der gebürtigen Hamburgerin genannt, die ihre ersten Engagements am heimischen Thalia-Theater, in Bielefeld, Mannheim und Nürnberg hatte. Mit offenen Augen verfolgte die politisch interessierte junge Schauspielerin in Berlin den Aufstieg der Nazipartei, die zunächst unter ihren Kollegen am Gendarmenmarkt kaum Anhänger hatte. Sie selbst war von Anfang an Anti-Nazi, nicht zuletzt durch einen jüdischen Freund, der nach 1933 emigrieren mußte. Das alles wird jetzt in Heide Schmidts Biographie lebendig, auch der Neuanfang nach dem Krieg, als Lotte Betke zu einer erfolgreichen Kinderbuchautorin wurde; ihre Werke sind in mehrere Sprachen übersetzt. Sie sagt dazu: »Ich nehme Kinder sehr ernst. Sie sind es, die die Zukunft gestalten werden. Ich möchte, daß sie werden, wie ich denke, daß Kinder sein sollten: offen, mutig und verantwortlich.« Und an anderer Stelle: »Das allerschlimmste ist für mich die Aussage, man kann ja doch nichts machen. Das bedeutet Resignation, das bedeutet Gelähmtsein. Es ist aber wichtig, den Mut nicht zu verlieren und zu kämpfen.« Dieter Götze Heide Schmidt: »Dich merke ich mir!« Lotte Betke erzählt ihr Leben, Alkyon Buchverlag, 197 Seiten, 11.40 €
Bücher in ScheibenIn jedem Heft werden Bücher rezensiert, warum nicht Hörbücher? Zum Beispiel: Thomas Mann, Ein Leben – eine Hörbiografie mit ausgewählten Texten aus diesem »Hamsterschatz an Material« (Th. M.). Ein Mix aus Daten wie Heirat, Nobelpreis, Aberkennung der Ehrendoktorwürde und der deutschen Staatsbürgerschaft, Rückkehr aus dem Exil in die Schweiz – die deutsche Staatsbürgerschaft hat Thomas Mann nicht wieder angenommen. »Frau Thomas Mann« geborene Katia Pringsheim wird liebevoll skizziert. Ihre Eheschließung (sechs Kinder) beschreibt sie selbst lakonisch: »Ich wollte nicht. Er wollte.« Später ergänzt sie: »Ich habe in meinem Leben nie tun können, was ich wollte.« Sie organisierte dem »Träumer« die Bedingungen, sein Lebenswerk zu schreiben. Sie wird erinnert als »Frau mit den vielen Gesichtern«. Als man sie bittet, ihr Leben zu notieren, lehnt sie ab. »In dieser Familie muß es einen geben, der nicht schreibt.« Der Dichter wünscht sich, geliebt zu werden. Kollegen nennen ihn »Großschriftsteller« und »Herr der Bügelfalten«. Sie gehen auf Distanz, sagen: »Er schreibt alle in seinem Umfeld ab.« Marcel Reich-Ranicki konstatiert in nur ihm eigener Art: »Der Thomas Mann hat nichts erlebt und über alles geschrieben.« Bei Mann ist nachzulesen: »Es ist aus mit dem Künstler, sobald er Mensch wird und empfindet.« Thomas Mann entwarf sein Bild für die Öffentlichkeit und zerstörte es gleichzeitig bis zur Peinlichkeit in seinen Tagebüchern. Eindrucksvoll wird die Beziehung der Brüder Heinrich und Thomas erzählt. Anfangs einander nah, gehen sie auf Distanz, verlieren sich in völliger Abneigung. Ihre tragische persönliche Geschichte ist auch ein Stück Zeitgeschichte. Eine vielseitige Scheibe. Thomas Manns Werke werden mit herausragenden Beispielen markiert, Texte professionell zitiert. Hans Peter Hallwachs spricht den Part des Dichters wohltuend zurückhaltend. Der Geräuscheteppich (Ton: Florian Gehlen) bleibt leider illustrierend, erweitert den Essay nicht, verfehlt dadurch eine weitere Möglichkeit, das Porträt sinnlich erfahrbar zu machen. Wer sich dem Menschen und Dichter Thomas Mann nähern möchte, wird mit diesem Hörbuch angeregt, ihn persönlich zu treffen. In seinen Büchern. Anne Dessau
Autorin: J. Monika Walther, Regisseur: Alexander Schuhmacher, Produktion: Mainland Media und Argon Verlag, 4,99 €
Der Preis der ArbeitDer Mutter zuliebe wurde Edgar Winter ein »guter Junge«, gut in der Schule und der Beste in seiner Studiengruppe bei den Architekten. Da aber Beziehungen wichtiger als Leistungen sind, landete er ganz unten: Keine Arbeit, keine Hoffnung, nichts. Das selbst vollzogene, gewaltsame Ende dieser erbärmlichen Existenz schien die einzige Lösung, aber da kommt ihm Johanna dazwischen, die Ex-Kommilitonin, die sich schwanger bei ihm einnistet. Und er erhält ein Angebot für Schwarzarbeit. Wieder ist er der »gute Junge«: arbeitet besessen, engagiert sich für Johanna, stellt sich pöbelnden Rowdys entgegen, die eine Frau belästigen. Ebenso entschlossen reagiert er, als ihn der Fallmanager vom Jobcenter um dieses Glück bringen will. Denn Beschäftigt-Sein und Leistung-Bringen erweisen sich als sein Lebenssinn. Nur muß er nun mit der Leiche und seinem Geheimnis leben, aber noch geht es bergauf. Edgar ist klug genug, zu durchschauen, wie die Strippen gezogen werden. Ein »guter Junge« kann man da nicht bleiben. Zum Schluß des Buches kündigt sich gar ein zweiter Mord an. Michael Sobes erster Roman ist verblüffend professionell: Durchsetzt mit Krimi-Elementen, schildert er detailliert heutige Befindlichkeiten verschiedener Gesellschaftskreise, fragt nach der Rolle der Arbeit im Leben des einzelnen und nach dem Preis dafür. Worüber sich heutige Sozialpsychologen die Köpfe zerbrechen, bietet Sobe an einem Fallbeispiel: Was hat ein gelernter Leistungsbringer noch, wenn ihm keine Leistung abverlangt wird? Und was tut er nicht alles, um sich auf seine Weise beweisen zu dürfen? Ein spannendes und intelligentes Buch! Christel Berger Michael Sobe: »Winter ganz unten«, Das Neue Berlin, 319. Seiten, 19.90 €
Was tun fürs KlimaDie Fernsehberichte über Unwetterkatastrophen häufen sich derart, daß es die Fähigkeit der Zuschauer übersteigt, darüber noch Bestürzung zu empfinden. Hauptsache, wir selbst sind nicht betroffen! Je weiter weg von uns das Unglück geschieht, desto besser! Jährlich Hunderttausende von Toten aufgrund der Klimaveränderung – mit dem zunehmenden Leiden an der Zerstörung der Umwelt hält unser Mitleid nicht mehr Schritt. Die Einsicht, zum Handeln aufgefordert zu sein, wächst nicht wie das Ausmaß der Katastrophen – vor allem dann nicht, wenn es an konkreten Handlungsmöglichkeiten zu fehlen scheint. Über die Ursachen der Zerstörung unserer Umwelt brauchen wir kaum mehr Information, obzwar die industriellen Hauptverursacher weiterhin ablenken und sie vernebeln. Unser Interesse aber verdient, wer uns Handlungsanleitungen zum Kampf gegen die Klimaveränderung gibt. »Die Wissenschaft kann uns helfen, den Klimawandel zu verstehen. Aber sie kann uns keine Hinweise geben, wie wir den sozialen Prozeß gestalten können, der uns vom Pfad der Selbstzerstörung abbringt.« Rudi Amschober und Petra Ramsauer geben deshalb in ihrem Buch »Die Klima-Revolution – So retten wir die Welt« ganz unwissenschaftliche, aber sehr praktische Hinweise. Das wichtigste Kapitel »100 Schritte zur Klimarettung« enthält zahlreiche Tips zur Verkehrsvermeidung, Energieeinsparung (besonders im Haushalt) und zur Konsumbeschränkung. Erläutert wird, mit welcher Politik und mit welcher Art Politiker Klimaschutz wirksam werden kann. Das Buch ist nicht nur eine Materialsammlung für die Politik. Es lädt jeden Leser zur kritischen Selbstbefragung und Kontrolle des eigenen Verhaltens ein. Volker Bräutigam Rudi Amschober/Petra Ramsauer: »Die Klima-Revolution«, Deuticke Verlag, Wien, 220 Seiten, 17.90 €
Jacobsohns ProgrammMeine Lieben: jetzt muß man wirklich Politik machen! Jetzt hat der Geist zu verhüten, daß seine Todfeinde wieder ans Ruder kommen. [...] Was an meinem Teil liegt, so will ich, bei der grauenhaften Vergeßlichkeit des genus homo, unablässig auf die Verbrecher weisen, die uns in diesen Jammer gebracht haben, seien sie Offiziere oder Großfabri-kanten, Diplomaten oder Beamte, Zeitungsschreiber oder Agrarier, Lakaien oder Blaublütler. Mit ihnen ist der laublütige Bourgeois schuldig, der sich wedelnd alles gefallen ließ. Siegfried Jacobsohn (unter »Antworten« in der Weltbühne vom 16.1.1919)
Erschienen in Ossietzky 24/2007 |
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