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Im Ernst: Derlei Rufschädigung, wenn nötig juristisch, zurückzuweisen, wäre für jede und jeden das mindeste, die oder der fälschlich so zitiert würde. Vorausgesetzt, es wäre Rufeinbuße zu besorgen. Das immerhin läßt sich bei Forschungsleiter Klaus Schröder nicht völlig ausschließen, der an der Freien Universität Berlin einen Forschungsverbund zum Thema SED-Diktatur dirigiert. Dieser hat nun, ob im Auftrag oder aus freien Stücken sei dahingestellt, untersucht, wie es um das Wissen von Berliner Schülern über den untergegangenen ostdeutschen Staat steht. Dazu wurden hinreichend viele Neunt- bis Elftkläßler in Schulen von ehemals Berlin-Ost und ehedem Berlin-West mit Hilfe von Fragebogen ausgeforscht. Das Resultat der Arbeit ist in eine Studie von rund 300 Seiten geronnen und Presseleuten vorgestellt worden, die dann mit ihren Berichten prompt das Gedenken an den 9. Oktober 1989 versauten, den Tag, an dem die DDR-Obrigkeit die installierte und bis dahin strikt geübte Kontrolle des Personen- und Güterverkehrs mit der Bundesrepublik aufgab (vulgo: Mauerfall). Während ein Blatt mit der Überschrift »Schüler wissen fast nichts über die DDR« aufstörte, meldete ein anderes schon im Titel, bei Berliner Schülern habe sich »fundiertes Nichtwissen über die deutsche Teilung« offenbart. »Fundiertes Nichtwissen« –, ja, Pressekonferenzen sind auch keine Veranstaltungen der Weiterbildung. Jedenfalls hatte Schröder Alarm geschlagen, wenngleich er und die Seinen, offenbar hart im Hinnehmen von auch sie betreffenden Mißerfolgsdaten, nicht generell geschockt waren, sondern nur – s. o. – »wo ein verklärtes Bild auf falschen Tatsachen beruht«. Das lassen wir uns noch einmal auf der Zunge zergehen. Entrüstung hätte ihn und seine Mitarbeiter demnach nicht erfaßt, wären ihnen zwar »verklärte«, jedoch auf Tatsachen beruhende Bilder begegnet. Und erschreckt hätte sie auch nicht, wenn sie auf unverklärte Bilder gestoßen wären. sofern diese nur auf »falschen Tatsachen« fußten. Derlei Experten werden in Berliner Schulen eingelassen (was hat der zuständige Senator dazu zu sagen?), jedoch: Nicht überall. Schulleiter im West- wie im Ostteil, in letzterem mehr, haben sich dem Ansinnen, ihre Schüler da mittun zu lassen, verweigert. Diese sollten jenen das danken. Schröders Institution besitzt offenkundig doch einen Ruf. Über die erzielten Daten ließe sich im Einzelnen viel sagen, wenig indessen aufs Ganze gesehen. Das staatsoffizielle Geschichtsbild ist unter den Heranwachsenden nicht im erwünschten Grad durchgesetzt worden. Hartnäckig halten sich Urteile über die DDR, die ihm direkt widersprechen. Einige davon müssen den Organisatoren der geistigen Ausrichtung besonders zeitwidrig erscheinen. So wenn in punkto Kinderbetreuung und Schulbildung der ostdeutsche Staat besser abschnitt als die Bundesrepublik, zumal auf beiden Feldern den Befragten Informiertheit und Sachverstand schwerlich abgesprochen werden kann. Daß nicht nur die ost-, sondern auch die westberliner Schüler – und zwar jeweils deren Mehrheit – urteilten, das Leben der Menschen in der DDR sei durch größere Hilfsbereitschaft gekennzeichnet gewesen als das gegenwärtige im vereinten Deutschland, schlägt hart gegen die Legende, wonach zwischen Elbe und Oder jedermann rasch in seine Fluchtnische verschwand. So schlecht, wie die Journalisten das Wissen der Schüler in den Überschriften ihrer Berichte machten, ist es darum doch nicht bestellt. Was als »Nichtwissen« erfaßt wurde, gehört vermutlich zu einem Teil zur Kategorie »Unwillkommenes Wissen«. Wie das auszumerzen ist, dafür macht der Forschungsleiter Schulen und Lehrern Vorschläge. Der eine besteht darin, weniger über Themen zu sprechen, die am Klischee von der SED-Diktatur, dem Unrechtsstaat, der zweiten deutschen Diktatur und so weiter zweifeln lassen. Wörtlich lautet sein Rat: »Die Vermittlung des Alltags sollte nicht überbewertet werden.« Sodann und nach dem Prinzip »Viel hilft viel« sei die Unterweisung über die Zeitgeschichte auszudehnen, zum Beispiel auf Kosten des Unterrichtsanteils der Antike. Schließlich und vor allem: Die Universitäten haben zu sorgen, daß ihre Absolventen für ihre Aufgaben besser gerüstet sind. Denn ganz ohne Befragung hat Schröder festgestellt: »Viele Lehrer wissen genauso wenig wie ihre Schüler.« Die Aussage schließt die Unterstellung (oder »falsche Tatsache«) ein, daß selbst Fachlehrer für Geschichte die einschlägigen Passagen der Schulgeschichtsbücher nicht zur Kenntnis nähmen. Was aus ihnen gelernt werden kann, darüber ein anderes Mal. PS. Ohne beunruhigt zu sein, könnten Kapitaleigner die Studie aus der Hand legen. Sie dürften, wie eine der Fragen vermuten läßt, Mitauftraggeber der Studie gewesen sein. Sollten die Schüler doch erklären, ob sie bei einer Arbeitsplatzgarantie einen geringeren Lohn in Kauf nehmen würden. Und das hat die Mehrheit in Ost wie in West bejaht – eine Antwort, welche die Forscher wiederum auf den Gedanken verfallen ließ, in den Antworten begegne ihnen weniger das zu ermittelnde DDR-Bild der Schüler als deren »diffuse Zukunftsangst«. Stimmt das, müßten die Politiker beunruhigt sein, die sich für das Ende der Geschichte verantwortlich fühlen.
Erschienen in Ossietzky 24/2007 |
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