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Eher dirigiert er sie von seinem Platz aus wie eine große Puppe. Es handelt sich um die Illustration zu einem Artikel im Teil »Gesellschaft« der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 11. November. Hat diese Zeitung plötzlich die Seiten gewechselt? Das kann nicht sein, trotz der wahrheitsgemäßen Schlagzeile auf Seite 1: »Leben wird immer teurer. Steigende Preise treffen vor allem die Armen«. Das kann wirklich nicht sein, obwohl oben rechts neben dem Zeitungstitel allen Ernstes Karl Marx dem Leser und der Leserin entgegenblickt. Blättert man um, findet man einen zweiseitigen Artikel über einen Besuch an seinem Grab auf dem Londoner Friedhof Highgate: »An der Spitze seines Politbüros der Toten«. Da können wir also beruhigt sein, Marx ist nicht wiederauferstanden. Spätestens in der Abteilung »Geld & Mehr« ist die Welt der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wieder ganz in Ordnung. Dort steht, illustriert durch eine gezackte Aufwärtskurve, ein Artikel über das Entscheidende: »Prächtige Gewinne. Die Dax-Konzerne verdienen hervorragend. 50 Milliarden sind es schon in diesem Jahr«. Daß dies die Ursache sein könnte, warum es den Armen, wie auf Seite 1 berichtet, immer schlechter geht, fällt den Redakteuren nicht einmal im Traume ein. Dafür werden sie nicht bezahlt. Am Ende müßten sie Marx lesen, um es zu kapieren. Da heben sie doch lieber einen Artikel ins Blatt, dessen Untertitel verrät, warum die Bild-Zeitung seit Jahren eine vom Papst abgesegnete Volksbibel vertreibt: »Der Glaube an Gott gehört zu den stärksten Kräften, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Es wird Zeit, ihn neu zu entdecken«. Der Zeitungsteil »Gesellschaft« kommt weit hinter »Geld & Mehr«. Das zeigt die Gewichtungen an. Außerdem versteht die FAZ unter »Gesellschaft« keinesfalls das, was Soziologen und der gemeine Pöbel darunter verstehen, sondern: die »feine Gesellschaft«, die »Reichen und Schönen« oder den Jet-Set von Aufsteigern und Besserverdienern, die sich für Mode interessieren, also auch für die Modeindustrie. So befaßt sich auch der Artikel, der durch den Mann mit der Zigarre und die Frau mit der Sonnenbrille illustriert wird, mit Problemen der Modebranche. Sie wird, wen wundert es, in den letzten Jahren wie viele Branchen von der weltweit ausgedehnten und beschleunigten Kapitalverwertung – schönfärberisch »Globalisierung« genannt – erfaßt. Designermarken werden aufgekauft von Investoren, »für die Mode ein Geschäftsfeld wie jedes andere ist«. Sie »verfahren nach dem kühlen Businessplan: kaufen, umstrukturieren, verkaufen«. Bei Marx könnte man nun nachlesen, daß Gleichgültigkeit gegenüber dem Geschäftsfeld, gegenüber der konkreten Produktion, gegenüber dem realen Gebrauchswert oder Nutzen der hergestellten Waren ein Prinzip der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist. Entscheidend ist immer die Anhäufung von Tauschwert, und das ist keine Frage der Moral, sondern des Überlebens am Markt. Nur Gesetze und Regeln im Interesse des »Gemeinwohls«, sprich: der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung können diesem herrschenden Interesse Grenzen setzen. Aber solche Erkenntnisse zu verbreiten ist eben nicht die Aufgabe der Redakteure und Artikelschreiber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Was also tun? Den Artikel über die Umstrukturierung einer Luxusproduktion modisch-scheinkritisch betiteln: »Heuschrecken im Trend«. Den Grafiker der Illustration dazu auf das Kleid der Blondine lauter kleine grüne Heuschrecken und den Qualm der Zigarre des Kapitalisten das Dollarzeichen malen lassen, denn, so der Artikel: »In der Regel sind es angloamerikanische Private-Equity-Fonds, die ihre Einkaufstour auf dem europäischen Kontinent machen.« Das reicht aber nicht. Stärkere Bilder des Abscheus müssen her. Wenn sie nicht gemalt oder gezeichnet werden können, weil das gefährliche Assoziationen wecken würde, so doch wenigstens im Text: »Die Herren im Anzug, die bei den Schauen in Paris, Mailand und New York Kollektionen der Designer taxieren, werden gefürchtet wie Motten, die über einen Kaschmirpullover herfallen und ihn als löchrigen Lumpen hinterlassen, bevor sie zum nächsten Teil wandern.« Zitate sind stets gut und unverdächtig. Der Modemacher Wolfgang Joop, der sein Unternehmen vor sechs Jahren an die »Wünsche AG« (!) verlor und heute unter dem Label »Wunderkind« (!) produziert: »Wenn Private-Equity-Firmen anklopfen, ist das immer ein gefährlicher Moment für den Designer. Eigentlich können sich die wenigsten leisten, nein zu sagen. Aber Pierre Bergé sagte schon: Man weiß nie, wen man dann im Fell sitzen hat.« Als die Mitgliederzeitschrift der IG Metall einmal auf ihrer Titelseite »angloamerikanische« blutsaugende Insekten zur Illustration eines Artikels über Hedgefonds und andere internationale Ausbeuter zeigte, brach ein Sturm der Entrüstung los. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung blieb davon verschont. Sie kann es sich ja auch leisten, Karl Marx auf ihre Titelseite zu bringen, die Mitgliederzeitschrift der IG Metall wohl kaum.
Erschienen in Ossietzky 24/2007 |
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