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Ihre Hohepriester wie Friedrich August von Hayek oder Milton Friedman propagierten den Politikwechsel – weg von keynesianischen Staatsinterventionen und Sozialstaat, hin zum Wettbewerbsstaat – ohne Scheu als »neoliberale Konterrevolution«. Der Wirtschaftswissenschaftler Rainer Ptak attestiert dem Neoliberalismus geradezu religiös-totalitäre Züge: »Zugespitzt formuliert, stellt der Neoliberalismus ein Projekt zur Auflösung der politisch organisierten Gesellschaft dar… Im Zentrum jedweder Analyse stehen fast götzenhaft der Markt, seine Struktur, seine Bedingungen… Insofern existiert die Gesellschaft im neoliberalen Weltbild nur als Rahmenbedingung des Marktes, als exogene Größe oder nur gar als Synonym für den Markt. Im neoliberalen Denken ist die Gesellschaft keine eigenständige Größe.« Ptaks präzise Analysen finden sich in seinem Beitrag »Grundlagen des Neoliberalismus«, erschienen in dem zusammen mit Christoph Butterwegge, Bettina Lösch und Tim Engartner verfaßten Buch »Kritik des Neoliberalismus«. Auch das »neoliberale Demokratieverständnis ist von Skepsis bis hin zu offener Feindschaft geprägt« (Ptak). Die unteren Massen könnten ja mit ihrer Stimmenmehrheit die Regierenden beispielsweise veranlassen, von den Gewinnern mehr Steuern für sozialen Ausgleich zu fordern. Damit aber würden sie – nach neoliberalem Dogma – eklatant gegen die Marktergebnisse verstoßen, sozusagen eine Sünde wider den Heiligen Geist. Deshalb akzeptieren Neoliberale nur eine »eingedämmte Demokratie«: Regierungen müssen sich dem marktwirtschaftlichen Sachzwang unterordnen. »There is no Alternative«, sagte Margaret Thatcher. So wurden »institutionelle Beschränkungen« eingebaut wie zum Beispiel eine unabhängige Zentralbank oder die Maastricht-Kriterien, deren außerhalb der Staatskompetenzen bestehende Vorgaben die Regierenden daran hindern, den Versuchungen ihrer Wähler nachzugeben. Neoliberale behalten sich »eine autoritäre Option zur Durchsetzung markwirtschaftlicher Freiheit vor, die für den ›Notfall‹ auch eine Diktatur nicht ausschließt.« Ptaks Mitautoren konzentrieren sich auf die Darstellung der nun schon über dreißig Jahre währenden neoliberalen Konterrevolution, die in den westlichen Hauptländern aus taktischen Gründen den Weg andauernder »Reformen« wählen mußte. Bettina Lösch schreibt über »Die neoliberale Hegemonie als Gefahr für die Demokratie«, wobei sie unter anderem den »Rückgriff auf Elite- und Konkurrenztheorien« thematisiert und den »Mythos der zivilen Gesellschaft als herrschafts- und machtfreier Raum« in Frage stellt. Kenntnisreich behandelt Tim Engartner »Privatisierung und Liberalisierung – Strategien zur Selbstentmachtung des öffentlichen Sektors«. Gewohnt engagiert und kritisch führt Christoph Butterwegge in seinem Beitrag »Rechtfertigung, Maßnahmen und Folgen einer neoliberalen (Sozial)Politik« auch die hierzulande verantwortlichen Akteure aus Regierungen und Parteien vor. Zum Beispiel Peer Steinbrück, den derzeitigen Bundesfinanzminister, der sich schon 2003 daranmachte, die neo-sozialdemokratische Moral zu formulieren: »Soziale Gerechtigkeit muß künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um die – muß sich Politik kümmern.« Butterwegge konstatiert hier eine »totale Deformation des Gerechtigkeitsbegriffs« und einen Bruch mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes. Dem beeindruckend materialreichen Buch, dessen Autoren sich nicht scheuen, für soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie und Emanzipation Partei zu ergreifen, was heute unter Sozialwissenschaftlern alles andere als selbstverständlich ist, möchte man viele Leser wünschen, die sich noch aufregen können und endlich Gegenwehr organisieren. Zugleich ergeht ein Wunsch an die Kölner Wissenschaftler: daß sie weiter forschen! Ihr bisheriges Werk weist einige Leerstellen auf, es kann so gelesen werden, als wäre fast die ganze Welt in die Hände einer kleinen Clique von Verschwörern gefallen. Aber wie konnte es geschehen, daß nicht nur die sogenannten real-sozialistischen Staaten implodiert sind, sondern auch die keynesianischen Sozialstaaten von der neoliberalen Bewegung geschleift werden? Welche inneren Widersprüche trugen und tragen weiterhin zum Verfall vorheriger Gesellschaftsbildungen bei? Was ist zuvor schon alles in eine falsche Richtung gelaufen? Auch der bis 1970 vorherrschende Keynesianismus mit Sozialstaat und parlamentarischer Demokratie hat ja an den kapitalistischen Machtverhältnissen und der Vorherrschaft der Reichen und Mächtigen nicht gerüttelt. Die Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln sollte auch im Keynesianismus angeblich keine Rolle spielen. In Wahrheit mußte sie tabu bleiben. Und erst als die gewohnten Gewinnerwartungen ab den siebziger Jahren vom Sozial- und Interventionsstaat nicht mehr garantiert werden konnten, als nicht nur die Studierenden, sondern auch die sozialstaatlich einigermaßen abgesicherte Arbeiterschaft anderes und mehr verlangte, wechselten die Kapitaleliten auf das neoliberale Pferd, um ihr absolutes Privileg auf Herrschaft und Kapitalrendite rücksichtsloser durchsetzen zu können. Doch hierfür brauchten und brauchen sie Helfer, Ideengeber, Religionsstifter, Meinungsbildner, um Loyalitäten herzustellen. Zu untersuchen wären demnach auch die Gewinner der neoliberalen »Reformen«: Manche schätzen allein die materiellen Nutznießer auf über 30 Prozent der Gesamtbevölkerung. Zu thematisieren wären weiter die Erwartungen und Hoffnungen auf mehr »Freiheit«, mehr »Selbstbestimmung«, mehr »Eigenpotentiale«, die in der »eindimensionalen Gesellschaft« (Herbert Marcuse) des Keynesianismus mit Sozialstaatszuteilungen eben nicht oder nur sehr unzureichend möglich waren. Es gab und gibt bis hinein in die Mittel- und Unterschichten ein großes Heer von »Gläubigen«, die von Markt und Wettbewerb mehr erwarten als von staatlich organisierter Solidarität. Zumal letztere bisher immer mit direktem Zwang verbunden war. Daß die Marktzwänge oft viel härter und erdrückender sind, wird gern solange wie möglich verdrängt. Gibt es ein neues historisches Projekt – mit vielen Zwischenschritten – für einen alle und jeden befreienden Sozialismus/Kommunismus? Ich merke, meine Wünsche übersteigen bei weitem jenes Maß, das einem Rezensenten erlaubt ist. Ich verlange etwas Unmögliches, nämlich eine »Vivisektion«, das heißt eine in die Strukturen eindringende Untersuchung am immer noch sehr lebendigen Körper des Neoliberalismus, wo doch wahrscheinlich erst nach dessen Abscheiden in hoffentlich nicht zu ferner Zeit diese besondere Ausprägung des kapitalistischen Monstrums einer wissenschaftlich exakten »Sektion« unterzogen werden kann.
Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak, unter Mitarbeit von Tim Engartner: »Kritik des Neoliberalismus«, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 298 Seiten, 12.90 €
Erschienen in Ossietzky 24/2007 |
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