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Schon die Darstellung seiner durch Uniformzeiten beeinträchtigten Jugend im faschistischen Deutschland bringt herzerfrischende Bekenntnisse wie: »Mein Haß auf das Militär und den Militarismus werden unauslöschlich.« Schwarberg gehört zu denen, die lebenslang bei dem »Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!« von 1945 geblieben sind und nie vergessen haben, daß beide, Krieg und Faschismus, mit den Profitinteressen des kapitalistischen Wirtschaftssystems zusammenhängen. Aus seinem unerschöpflichen Archiv bringt er Zitate von Konrad Adenauer und anderen Protagonisten des konservativen Lagers, deren Bekenntnisse zum Sozialismus und Antimilitarismus man heute mit Erstaunen liest. Sehr nötig, sie in Zeiten des globalen Kapitalismus immer wieder in Erinnerung zu bringen. Günther Schwarbergs Autobiografie ist ein Buch gegen das Vergessen miterlebter Geschichte. Jüngeren kann es den Blick für eine Realität öffnen, die von konzernabhängigen Medien und konservativen Historikern geflissentlich verschleiert wird. Das Buch bietet ein Panorama bundesdeutscher Schweinereien, aus dem sich viele spannende Filme machen ließen, die nach dem Muster des Kalten-Kriegs-Dramas »Das Leben der anderen« mit umgekehrtem Vorzeichen auf realkapitalistisches Unrecht fokussiert werden könnten. Aber die Zeit für ausgewogene Unrechtsaufarbeitung ist wohl noch nicht reif. Schwarberg kann als unmittelbar beteiligter Zeitzeuge authentisch über die Entwicklung der Presse nach 1945 berichten. Schon bald geben wieder die Leute von gestern den Ton an. Schwarberg gebraucht eine deutliche Sprache und scheut sich nicht, Namen zu nennen. Zum Beispiel Felix von Eckardt, der im Kapitel »Ein adliger Schnorrer wird Bundespressechef« sein Fett kriegt. Er bekam wegen seiner braunen Vergangenheit von den Amerikanern nicht die erwünschte Lizenz als Chefredakteur des Weser-Kurier, wurde aber Leiter des politischen Ressorts und konnte als solcher den einzigen Kommunisten in der Redaktion, einen KZ-Überlebenden, kaltstellen und schließlich hinausekeln. Felix von Eckardt war es auch, der als Adenauers Staatssekretär und Pressemann 1962 den Major Waldemar Pabst, den Mörder Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, im Bulletin der Bundesregierung mit einer Rechtfertigung dieses Mordes zu Wort kommen ließ. Nachdem die Situation bei den Bremer Tageszeitungen für Schwarberg unerträglich geworden war, ging er zu einem Pressedienst, bei dem er freier arbeiten und auch Themen aufgreifen konnte, die in der Hochzeit des kalten Krieges der antikommunistischen Diffamierung verfielen. So gelang es Schwarberg 1952, Thomas Mann zu interviewen, der damals von den herrschenden Meinungsmachern wegen seiner Emigration aus Hitler-Deutschland und seiner antifaschistischen Rundfunkreden angefeindet wurde, und bot den hochinteressanten Text über seinen Pressedienst 900 Tageszeitungen an. Eine einzige, das Stader Tageblatt, hat ihn gedruckt. Schwarberg zitiert die Neue Westfälische Zeitung: »Wir können uns mit einer ganzen Welt versöhnen, aber nicht mit Thomas Mann.« Und einen Vorläufer solcher Gesinnungen, Joseph Goebbels: »Thomas Mann soll ausgelöscht werden aus dem Gedächtnis der Deutschen, da er nicht würdig ist, den Namen Deutscher zu tragen.« Schwarberg wird von seinen ehemaligen Kollegen der Bremer Nachrichten bei deren Chefredakteur denunziert, er sei zu einer kommunistischen Tarnorganisation gegangen. Der als kommunistisch diffamierte und boykottierte Pressedienst muß eingestellt werden. Für Schwarberg folgen Jahre der Arbeitslosigkeit. Dann ein Angebot, als Wissenschaftsredakteur für Bild am Sonntag zu arbeiten. Er greift zu und versucht, meist vergeblich, kritische Artikel in dieses Massenblatt zu bringen. Dann wechselt er zu Constanze, wo er einen aufsehenerregenden Artikel über den Contergan-Skandal unterbringen kann. Und schließlich holt ihn Henri Nannen zum Stern, wo er dann 25 Jahre lang wichtige Beiträge zur antifaschistischen Aufklärung einer großen Leserschaft veröffentlichen kann. Der Kindermord am Bullenhuser Damm. Die Rettung eines jüdischen Kindes aus dem Warschauer Getto. Der Justizmord an dem Kommunisten Fiete Schulze. Um nur einige zu nennen. Und immer wieder wird den Lesern der Blick auf den Zeitgeist unserer Tage geöffnet, der sich in unglaublicher Schamlosigkeit vor allem in Urteilen der bundesrepublikanischen Justiz äußert. Als in der ersten Nachkriegszeit das Bremer Landgericht das Urteil über die Mörder des Juden Heinrich Rosenblum spricht und den Angeklagten strafmildernd zugute hält, daß sie einen »guten Leumund« hätten und »nur durch Befehl« zu diesem Mord veranlaßt worden seien, ist die Bremer Bevölkerung noch so empört, daß ein Generalstreik gegen das Unrechtsurteil ausgerufen wird. Schon damals hatten die beteiligten Richter die Stirn, die protestierende Bevölkerung als »Pöbel« zu beschimpfen, obwohl sie allen Grund gehabt hätten, sich ihrer eigenen Nazivergangenheit zu schämen. Dies blieb der einzige Streik gegen ein bundesrepublikanisches Unrechtsurteil. Man gewöhnte sich im Laufe der Zeit daran, daß die altbekannte Rechtslastigkeit der Justiz weiterging, als ob der Hitler-Staat nie besiegt worden wäre. Zwei weitere von Günther Schwarberg miterlebte Justizfälle möchte ich etwas ausführlicher referieren, da sie auch ein Licht auf das Berufsethos eines Autor werfen, der an den von ihm geschilderten Menschenschicksalen nicht nur als journalistischer Chronist Anteil nahm. Der Fahrradmechaniker Carl Käselau saß seit zwölf Jahren im Zuchthaus, weil elf Zeuginnen das Gerücht ausgebrütet hatten, er habe seine Frau mit Rattengift ermordet. Ein Kriminalbeamter, dessen Vernehmungsmethoden der Verdächtigte nicht gewachsen ist, bringt ihn zu einem falschen Geständnis, auf das er trotz Widerrufs festgenagelt wird. Günther Schwarberg findet in einer Krankenakte der verstorbenen Frau, die sich bisher niemand angesehen hat, einen Arztbericht, aus dem sich die tödliche Krankheit ergibt, an der sie gestorben ist. Am 21. Dezember 1970 wird die Wiederaufnahme des Verfahrens beschlossen, Käselau aus der Haft entlassen. Er will »nach Hause«, zu seiner zweiten Frau, die in Lübeck wohnt, und ahnt nicht, daß sie, die sich nach dem Mordurteil hatte scheiden lassen, nichts mehr von ihm wissen will. Schwarberg: »Wohin mit dem alten Mann?« Er ruft in der Nacht vor Käselaus Freilassung Freunde in Lübeck an, die ihrerseits ihre Bekannten wecken, um ein Quartier für den 73-jährigen zu finden. Vergeblich. Schwarberg holt seinen Schützling am nächsten Morgen in der Haftanstalt ab und fährt mit ihm nach Lübeck. Der telefoniert mit seiner Gertrud, aber sie lehnt es ab, ihn aufzunehmen. Schwarberg: »Und ich stehe, zwei Tage vor dem Fest der Liebe, in der weihnachtsgeschmückten Hansestadt Lübeck mit einem alten Mann, für den niemand einen Platz hat. Da nehme ich den alten Mann zu mir. Meine Mutter ist da und meine Kinder sind da, und wir feiern mit ihm zusammen Weihnachten...« Übrigens ließen sich die mit dem Wiederaufnahmeverfahren befaßten Richter so lange Zeit, daß Käselau, der 1975 starb, den Ausgang des Verfahrens nicht mehr erlebt hat. Sein Antrag wurde vier Jahre nach seinem Tod verworfen. Begründung: er habe ein glaubwürdiges Geständnis abgelegt. Obwohl man nicht um die Feststellung herumkam, daß seine Frau nicht an Rattengift, sondern an Krebs gestorben ist. – Juristenlogik. Und der zweite Fall, der mich sehr erschüttert hat: Rose Domaracka, eine Überlebende des KZ Hamburg-Eidelstedt, ist aus Israel angereist, um als Zeugin in einem Verfahren gegen den Lagerleiter Walter Kümmel, auszusagen. Sie hat im Lager ein Kind zur Welt gebracht, das nur eine halbe Stunde leben durfte. Kümmel hat es im Waschraum so lange mit hängendem Kopf unter den laufenden Wasserhahn gehalten, bis es für immer still war. Günther Schwarberg kauft in einer Sitzungspause einen Blumenstrauß, den er der Frau auf ihren Tisch legt. Sie wundert sich, steht auf und dankt dem Gericht für die Blumen. Die drei Herren sind verlegen, tuscheln miteinander. Dann verkündet der Vorsitzende: »Das Gericht legt Wert auf die Feststellung, daß Ihnen die Blumen nicht vom Gericht überreicht worden sind.« Ein paar Tage später sprechen sie den SS-Mann frei. Bei den gefangenen Frauen habe er zwar »als ein besonders übler, sadistischer und zu blutigen Exzessen neigender Menschenschinder« gegolten. Das Gericht sei aber zu dem Ergebnis gekommen, daß Kümmel »im Lager Eidelstedt nur schlug, wenn er es für erforderlich hielt, um die von ihm und seinen Vorgesetzten verlangte Disziplin, Ordnung und Sauberkeit durchzusetzen.« Der SS-Führer Kümmel, der das Neugeborene unter den Wasserhahn gehalten hat, sei juristisch gar nicht der Täter. Vielmehr hätten die Lagerkommandantur oder das Reichssicherheitshauptamt die Tötung des Säuglings befohlen. Weil kein Zeuge dabei war, als Kümmel das Kind umbrachte, müsse auch offenbleiben, »ob das Kind auf grausame, das heißt für das Kind quälende Weise getötet wurde«. Das Gericht habe auch nicht feststellen können, ob die Tötung des Kindes heimtückisch im Sinne des Gesetzes war. Der Säugling selbst sei naturgemäß außerstande gewesen, im rechtlichen Sinne anderen Vertrauen entgegenzubringen. Die Zeugin Domaracka als Mutter des Kindes sei nicht arglos im Rechtssinne gewesen, weil sie schon vor der Niederkunft mit der Tötung des Kindes gerechnet hätte. Schwarberg: »Die Frau nimmt die Blumen und fährt wieder nach Israel.« Einen anderen Fall, bei dem es um eine unglaubliche kriminelle Aktion des Verfassungsschutzes ging, schließt Günther Schwarberg mit dem Satz ab: »In solch einem Staat leben wir.« Das hätte auch zu manchem der anderen Fälle gepaßt, die Schwarberg miterlebt und für eine wache, zeitkritische Minderheit dokumentiert hat. Es bleibt allerdings die Frage, ob es in Zukunft noch mediale Nischen für Journalisten geben wird, die unerwünschte Wahrheiten aufspüren und in auflagenstarken Blättern veröffentlichen können. Günther Schwarberg hat vielleicht als letzter noch in Zeiten globaler Informationslenkung eine große Öffentlichkeit für seine aufregenden, dem herrschenden Zeitgeist widersprechenden Reportagen gefunden.
Erschienen in Ossietzky 24/2007 |
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