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Was waren die deutschen Soldaten in Stalingrad? Auf welchem Weg vom einzelnen Soldaten zum allgemeinen Desaster wurde der Angriff auf die Stadt zum Verbrechen? Für Deutsche heißt Stalingrad Untergang einer Armee. Von fast einer Viertelmillion Soldaten marschierten etwa 90.000 jämmerlich frierend, halb verhungert in Gefangenschaft, 6.000 kehrten zurück. Was vorher war, ist Hitlers Schuld, der seinen Generälen den Rückzug verbot. Wer aber befahl und befolgte den Angriff? Fragt jemand, wie viele Menschen der Feind verlor? Es kann die dreifache, wenn nicht vierfache Anzahl sein. Daran denkt der Sohn nicht, dessen Vater »in Stalingrad blieb«, ohne Verbrecher gewesen zu sein. Denn die Teilhabe an einem Verbrechen ist höchstens strafbar, handelt es sich um eine kriminelle Vereinigung. Das aber sagten selbst die Alliierten nicht von der Wehrmacht, nur von der SS. Die aber leistete an der Wolga bloß Beihilfe. Nun, das sind vergangene Zeiten. Aber die Russenfeindschaft ist wieder en vogue. Von Merkel bis zur FAZ kriegt der Osten sein Fett weg. Auch die Chinesen sind schon wieder böse, obwohl Mao längst durchs gelbe New-Deal-Programm ersetzt wurde. »Die Kommunisten sind noch nicht tot«, schreit es aus der FAZ vom 21. November, Seite 3, und Schäuble fordert auf Seite 2: »Mehr Soldaten für Afghanistan!«. Ran an den Feind? Ja, sie bekämpfen den Terrorismus. Das taten schon ihre Väter und Großväter. Laut Abkommen zwischen SS und Wehrmacht sollten die Einsatzgruppen im Osten zusätzlich Emigranten, Saboteure und Terroristen umbringen, Generaloberst Halder ergänzte die Liste der Zielpersonen noch ausdrücklich um Kommunisten und Juden. Göring und Heydrich hatten 1941 bereits vor dem Angriff im Osten festgelegt, daß die Truppe wissen solle, »wen sie praktisch an die Wand zu stellen habe« (Jürgen Förster: »Die Wehrmacht im NS-Staat«). Was von oben angeordnet wurde, fand bei der Truppe volles Verständnis. Befehl der 12. Infanteriedivision vom 21.6.1940 für den Angriff auf Frankreich: »Gefangene Reichsdeutsche … sind, soweit es sich um sogenannte Emigranten handelt … zu erschießen.« Nicht alle Wehrmachtsoldaten waren gehorsam. Der renitente Obergefreite Erich Kuby schrieb ganze Bücher über Gehorsam und Ungehorsam. Er war so unbequem, daß er in unseren Medien endlich vergessen gemacht werden mußte. Mit Kuby zusammen werden heute viele aus dem Gedächtnis gestrichen, die nach 1945 nie wieder in den Krieg ziehen lassen wollten. Wenn Roland Koch zur hessischen Wahl seinen Parteibruder Alfred Dregger für den Kampf auferstehen läßt, klingt es wie Donnerhall über die Heldenfriedhöfe. Als die FAZ sich in ihrem Fragebogen erkundigte, welche militärischen Leistungen Dregger am meisten bewundere, antwortete er: »Die Standhaftigkeit von Teilen der Wehrmacht in der Niederlage von 1945 mit dem Ziel, die ostdeutsche Bevölkerung vor der Roten Armee zu retten.« Ein Satz aus echtem Schrot und Kornschnaps. Dregger war vom ersten Kriegstag an bei der Wehrmacht. Wer wurde da gerettet? Sie fallen als gepanzerte Heuschrecken in fremde Länder ein, marschieren bis Moskau, Leningrad, Stalingrad, Kreta, Tobruk, Athen, an den Ebrus, und wenn ihnen der angegriffene Feind heimleuchtet, retten sie »die ostdeutsche Bevölkerung«, die ohne ihre tapferen Soldaten gar nicht in die rettungslose Lage geraten wäre, was einzusehen den Horizont der Helden übersteigt. Deutschland über alles. In Ossietzky 11/07 zitiere ich unter dem Titel »Kriegsverrat oder Friedensverrat« den CSU-MdB Norbert Geis, der am 10. Mai dieses Jahres im Deutschen Bundestag zu Protokoll gegeben hatte: »Wer desertiert, um die eigene Haut zu retten … hat sich nach allen Maßstäben der zivilisierten Welt verwerflich verhalten … Durch eine von der Linksfraktion geforderte Aufhebung dieser damaligen Urteile wegen Kriegsverrats würde solch ein verwerfliches Verhalten nachträglich sanktioniert werden.« Abgesehen davon, daß Geis für seine Partei den antinazistischen Widerstand in Mißkredt bringt und diese Verteidigung des Angriffskrieges auch noch der »zivilisierten Welt« zuschreibt, dekonstruiert er sich selbst intellektuell und charakterlich. Das will bewiesen sein. Dazu ein Beispiel: Am 8.1.1944 erfolgt gegen den Schützen Anton P. vom XV. Fest. Inf. Btl. 999 Tatbericht wegen Kriegsverrats. Am 25.1.44 folgt das Todesurteil, das durch keinen Geringeren als Generalfeldmarschall von Kleist aufgehoben wird, obwohl gegen Angehörige des Strafbataillons 999 Todesurteile leicht und schnell ausgesprochen und vollstreckt wurden. Derselbe von Kleist weist auch ein zweimal verhängtes Todesurteil gegen einen anderen 999er zweimal zurück und erreicht Strafminderung auf acht Jahre Haft. Wäre das nicht ein schönes Thema für unsere wenn auch nicht mehr allzu mutigen, leider gekürzten Fernseh-Politmagazine? Ein Hitlerscher Feldmarschall kämpft unverdrossen um das Leben zweier wegen Kriegsverrat zum Tode verurteilten Strafsoldaten, und 63 Jahre später kämpft der CSU-Bundestagsabgeordnete Geis im Namen der christlichen Parteien gegen die von der Linksfraktion geforderte Rehabilitierung dieser verurteilten Soldaten. Aber nein, die Herren Christen wollen Rehabilitierung nur nach Einzelfallprüfung zugestehen – und ich weiß auch warum: Der nächste und bereits jetzt gegen Recht und Grundgesetz geführte Krieg soll seinen präheroischen Freispruch erhalten, und wer widersteht, soll als Kriegsverräter verurteilt werden. Das ist die subkutane Botschaft der Friedensverräter, die den Kriegsverrat, statt ihn zur Bürgerpflicht zu erheben, kriminalisieren.
Erschienen in Ossietzky 24/2007 |
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