Unsere Verantwortung

Eckart Spoo  

Wir Deutschen sind gern bereit, Verantwortung zu übernehmen. Nein, wir streben nicht nach Macht, wollen nicht über andere herrschen, bewahre. Aber wir wollen angesichts der Probleme unserer Nachbarn und der entfernteren Völker da unten nicht tatenlos bleiben – als wären wir nicht fähig, wirksam einzugreifen. Wir wissen, daß wir der Völker- und Staatengemeinschaft Solidarität schulden – ja, das sind die richtig schönen Wörte, mit denen wir heute Außenpolitik machen: allzeit solidarisch bereit, Verantwortung zu übernehmen.

Zum Beispiel in Kosovo. Das größte Truppenkontingent dort ist das deutsche. Der deutsche Botschafter Rücker steht an der Spitze der UNMIK, der Kosovo-Mission der Vereinten Nationen. Und der deutsche Botschafter Irrschinger vertritt die Europäische Union in der Dreiergruppe mit Rußland und den Vereinigten Staaten von Amerika, die bis 10. Dezember sagen soll, was aus Kosovo wird. Die Menschen da unten brauchen sich gefälligst nur nach unseren Anweisungen zu richten.

Nachdem Deutschland 1990 wieder ein großer, starker Markt und Staat mit 80 Millionen Verbrauchern geworden war, zeigten wir uns bereit, auch allen anderen europäischen Völkern zu ihrem nationalen Selbstbestimmungsrecht zu verhelfen. Je mehr kleine Staaten um uns entstehen, desto wohler fühlen wir uns in ihrer Mitte. Wie die Slovaken von Prag loskommen mußten, so die Slowenen von Belgrad. Zwar hatte sich die BRD wie die DDR 1975 in der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa auf die Prinzipien souveräne Gleichheit aller Teilnehmerstaaten, Verzicht auf Androhung oder Anwendung von Gewalt, Unverletzlichkeit der Grenzen, territoriale Integrität der Staaten, friedliche Regelung von Streitfällen, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten verpflichtet; und erst nach dieser Unterschrift war die BRD wie die DDR in die UNO aufgenommen worden. Aber was zählte das alles noch, nachdem die deutsche Einheit hergestellt war? Deutschland erkannte – allen Warnungen aus Paris und London, allen Beschwörungen des UN-Generalsekretärs zum Trotz – nicht nur Slowenien, sondern auch Kroatien an und setzte damit weitere Sezessionsbewegungen, Vertreibungen und Bürgerkriege auf dem Balkan in Gang. Jugoslawien, das sich höchste Verdienste um das Zustandekommen der KSZE als Fundament einer dauerhaften europäischen Friedensordnung erworben hatte, wurde von der deutschen Diplomatie zerschlagen. Die letzten, entscheidenden Schläge wurden dem Land 1999 im Zusammenwirken mit einer hochaufgerüsteten Untergrundarmee von Kosovo-Albanern und der NATO-Luftwaffe versetzt.

Selbstverständlich wissen wir, daß neuerstandene Ministaaten wie Montenegro, aus dem jugoslawischen und serbischen Verbund herausgelöst, nicht unabhängiger, sondern ärmer und abhängiger werden. Uns kann das nur recht sein: Teile und herrsche. Abhängiger werden sie von uns. Aber wir drücken es anders, freundlicher aus: Wir übernehmen Verantwortung.

Unsere Medienkonzerne haben sich der öffentlichen Meinung in allen Bal­kanstaaten wie auch in Tschechien, Polen und so weiter angenommen. Die Souveränität dieser Länder kann nun für die deutsche Europapolitik kein ernstes Hindernis mehr sein. In Bulgarien meuterten zwar neulich Journalisten in der dortigen Statthalterei des Essener WAZ-Konzerns, aber dessen Chef Bodo Hombach (einst Gerhard Schröders Balkanbeauftragter) zeigt Entschlossenheit: Er will die Medien an die kürzere Leine legen. Ähnlich wie in Deutschland.

Die früher verheißenen Selbstbestimmungsrechte aller Völker und Völkchen schrumpfen, wo die deutsche Verantwortung sich ausbreitet.

Deutschland war im vorigen Jahrhundert an drei Kriegen gegen Jugoslawien beteiligt – grauenhaften Verbrechen. Ein großer Teil der Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht befaßte sich allein mit Serbien. Entschädigung zahlten wir nicht. Dafür fühlte sich Deutschland niemals verantwortlich. Und jetzt wird das nächste Verbrechen vorbereitet (wozu allerdings noch russische Beihilfe gebraucht wird): die Abtrennung Kosovos, die größtmögliche Schändung der serbischen Kultur, denn Kosovo ist der mittelalterliche Kern Serbiens, hier finden sich die meisten serbisch-orthodoxen Heiligtümer, sofern Albaner sie noch nicht zerstört haben. Deutsche Besatzungssoldaten standen daneben, als 2004 das serbische Viertel von Prizren, der Hauptstadt der deutschen Besatzungszone in Kosovo, ausgeräuchert wurde. Griffen nicht ein, um den Progrom zu verhindern. Verantwortungslos.

Stevica Stevic, (13. Jan. 2008, 14:11)

Erschienen in Ossietzky 24/2007