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Weit wegAls ich 1968 geboren wurde, war der Zweite Weltkrieg fast schon eine Generation vergangen. Und doch war er in meiner Kindheit und Jugend ständig präsent. Kein Familienfest, auf dem die Alten nicht über Hunger, Schützengräben, Gefangenschaft und Vertreibung sprachen, derweil sie sich das dritte Stück Schwarzwälder Torte zwischen die Zähne schoben. Neben meiner Großmutter wohnte ein Kriegsversehrter, »der mit dem platten Gesicht«, der keine Nase mehr hatte. Krieg, das war die Apokalypse, das, was nie wieder geschehen durfte. Jeder, den ich kannte, dachte so, ob alt oder jung. Um so mehr, als die Welt seit 1945 mit Atomwaffen hochgerüstet worden war. Unsere Lehrer organisierten in der Rüstungsdebatte Anfang der achtziger Jahre eine Aufführung des Films »Der Tag danach« in der Schule. Im Fernsehen sah ich die Bilder der Ostermärsche mit Hunderttausenden von Teilnehmern. Im Nachhinein merke ich, daß mich das mehr geprägt hat als die Faszination für das Militär, die damals überwog. In der Zeit der großen Herbstmanöver stand ich am Fenster oder an der Straße und sah begeistert die Panzerkolonnen vorbeirollen. Begierig sog ich die Schilderungen meiner älteren Brüder auf, als sie eingezogen waren. Ich wurde ausgemustert, deshalb konnte ich nach dem Abitur gleich mit dem Studium in Tübingen beginnen. Am Anfang pendelte ich noch mit dem Zug hin und her. Jeden Morgen sah ich aus dem Zugfenster die französischen Rekruten der Garnisonen Tübingen und Reutlingen ihr Lauftraining absolvieren. In den neunziger Jahren zogen die Franzosen ab, aus ihrem Tübinger Mannschaftsheim wurde eine Diskothek, aus dem Offizierskasino eine Gaststätte. Der nahegelegene Truppenübungsplatz Mün-singen wird gerade aufgegeben. »Wenn die Bundeswehr einen Schuß abgibt, hat sie versagt.« So hörte es noch Ende der achtziger Jahre ein gleichaltriger Freund von seinen Ausbildern in der Bundeswehr. Ein Jahrzehnt später luden deutsche Militärflugzeuge ihre tödliche Last über Jugoslawien ab. Ich war erstaunt, wie wenig das die deutsche Bevölkerung aus der Ruhe brachte. Und konnte es mir nur dadurch erklären, daß Jugoslawien weit weg lag – »aus den Augen, aus dem Sinn«. Noch mehr trifft das auf Afghanistan zu. Fast jeden Tag kommt etwas darüber in den Nachrichten, aber für die meisten Leute ist es, als würde über den Mond berichtet. Es berührt sie nicht. Seltsam: Das Militär und der Gedanke an den Krieg waren in meiner Jugend immer gegenwärtig, doch gleichzeitig auch die Kritik daran. Die Menschen wußten: Ein Krieg in Deutschland wäre ihr Ende gewesen. Heute muß man die Kasernen suchen – und den Pazifismus. Heute führen deutsche Soldaten Krieg – und kaum einer denkt daran. Denn wir erfahren fast nichts davon. Die Medien können uns einzelne weit entfernte Menschenschicksale nahe bringen – wenn sie wollen. Über den Krieg wollen sie uns lieber nicht genau informieren. Über die gefährlichste deutsche Truppe in Afghanistan, das Kommando Spezialkräfte (KSK), erfahren wir gar nichts. Die Bundesregierung informiert darüber nicht einmal den Verteidigungsausschuß des Bundestags – und die Abgeordneten lassen sich das gefallen. Denn was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Und man kann sich frei von Verantwortung fühlen. Stefan Hug
Diäten und RentenDie parlamentarische Demokratie lebt von der Glaubwürdigkeit des Grundsatzes, daß die Abgeordneten des Bundestages die Interessen ihrer Wähler wahrnehmen. Wenn es um den Lebensstandard der Menschen geht, sind unseren Volksvertretern die eigenen Interessen offenbar wichtiger, wie wir der soeben beschlossenen satten Diätenerhöhung entnehmen durften. Eine Selbstbedienung, die man nur als schamlos bezeichnen kann angesichts der Tatsache, daß zwanzig Millionen Rentner seit Jahren auf einem Rentenniveau fixiert werden, das hinter der Entwicklung der Lebenshaltungskosten zurückbleibt. Wer soll da noch glauben, daß unsere Interessen bei den von uns gewählten Abgeordneten in guten Händen seien? Auch so kann man Demokratie kaputtmachen. Heinrich Hannover
Schöne SiemensweltDer Münchener Elektrotechnik-Konzern kann sich das leisten: Auf 1,3 Milliarden Euro schätzt der neue Siemens-Chef Peter Löscher die Aufwendungen des Unternehmens für Korruptionszwecke in den letzten Geschäftsjahren. Wer weiß, ob da nicht noch das eine oder andere Sümmchen hinzukommt. Der Profitabilität hat diese Schattenwirtschaft offenbar nicht geschadet, die Siemens-Bilanz für 2006/2007 wird in den Medien als »glänzend« dargestellt, Umsatz, Gewinn und Dividende haben sich nach oben bewegt. Und an Freunden mangelt es dem Konzern nicht. Laut Spiegel war jetzt einige Monate lang auch Otto Schily MdB beratend für Siemens tätig, wofür er ein Honorar von 140.000 Euro einstrich. Der Bundestagsverwaltung mochte der Innenminister a.D. über diese Nebentätigkeit nicht berichten; als sie ruchbar wurde, berief er sich auf seine Anwaltspflicht zur Verschwiegenheit. Dem Siemens-Aufsichtsrat gehörte bisher auch Berthold Huber von der IG Metall an. Auf dem Gewerkschaftstag animierte ihn die Siemens-Betriebsrätin Birgit Steinbach, trotz seiner nun noch höheren gewerkschaftlichen Funktion das Amt bei Siemens weiter wahrzunehmen – schließlich sei es doch gerade ihm zu verdanken, daß die IG Metall bei diesem Spitzenkonzern »hoffähig« geworden sei. Da wird sich Siemens wohl in Zukunft die schwarzen Gelder für die Alimentierung gelber Gewerkschaften sparen können. Marja Winken
Die Moschee muß gebaut werdenDie ganze Debatte um den Bau einer neuen Moschee in Frankfurt am Main – wie auch in anderen Städten – ist verlogen. Von Frankfurter Muslimen wird ein Ausmaß an Unterwerfung verlangt, das die Frankfurter Christen, gerieten sie in eine vergleichbare Situation, empört zurückweisen würden. Noch nie hat mich eine christliche Kirche um ihre Zustimmung zu einem Bauprojekt gefragt, ob ich das Gebäude schön finde, die Parkplätze ausreichend, den Turm zu hoch. Die Moschee darf nicht höher werden als die orthodoxe Kirche gegenüber. Geht es um Hochhäuser, die Kirchen des Kapitals, muß ein Hochhaus höher sein als das zuletzt gebaute. Seit Jahrzehnten kann ich im Frankfurter Nordend sonntags nie ausschlafen, trotz Ohropax und Isolierfenster, weil christliche Glocken gleich mehrerer Kirchen dröhnen. Es wäre weniger störend, wenn die Kirchen ihre Besucher einzeln anrufen würden, so viele sind es ja nicht. Kaum vorstellbar ist, daß Atheisten vergleichbaren Lärm machen dürften. Deutsche Ausbildungsstätten sind voll vom neuen alten Irrationalismus. Den neuen Wahn namens »Kreationismus« oder »Intelligent Design«, die Kampfansage gegen die Evolutionstheorie, fördert zum Beispiel die hessische Kulturministerin. Eine tatsächlich weltoffene, tolerante Stadt hat den rassistischen Mob zu bekämpfen, nicht sich ihm anzubiedern. Eine offene Frage ist seit Jahrhunderten die Demokratisierung der christlichen Kirchen: Noch immer segnen sie den Krieg, machen Menschen mit Wahnvorstellungen irre, diskriminieren Frauen und Menschen anderer Hautfarben, haben eine perverse, gestörte Beziehung zu Sexualität. Gälten dieselben Maßstäbe für christliche Kirchen wie für Muslime, müßte beispielsweise eine wütende Debatte um die Wiedereinführung der lateinischen Liturgie in der Katholischen Kirche geführt werden. Mit ihr darf wieder, ganz im Sinne des aggressiven Antijudaismus des 19. Jahrhunderts, für die »Bekehrung« der falschgläubigen Juden gebetet werden, von deren »Verblendung« ist die Rede und von den Juden als einem Volk, das »in Finsternis« wandelt. In was, bitte schön, sollen Muslime »integriert« werden? In eine reaktionärer werdende deutsche Gemeinschaft? Ich bin dagegen, daß muslimische Vereine Sondervereinbarungen mit Behörden treffen müssen. Das ist eine Unterwerfung. Entweder gilt das – durchlöcherte – Grundgesetz für alle oder gar nicht. Es geht um die Überwindung der jeweiligen diskriminierenden, rassistischen inhumanen Beschränkungen überall und in allen Religionen. Karl Marx schreibt, oft falsch zitiert, 1844 in der Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie: »Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.« Wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse so sind, das die Menschen eine Art von Drogen für die Milderung ihrer durch die soziale Realität verursachten Schmerzen brauchen, dann sollen sie sie haben. Zählen Sie einmal die Zahl der christlichen Kirchen in Frankfurt im Verhältnis zur Zahl der Christen, die es in Wirklichkeit noch gibt, vergleichen Sie sie mit der Zahl der Muslime und ihrer Moscheen, und Sie werden sehen, daß es zu wenige Moscheen gibt. Selbstverständlich muß diese Moschee der Hazrat-Fatima-Gemeinde am Industriehof gebaut werden. Es ist das Recht der muslimischen Frankfurter. Jutta Ditfurth
Die Autorin ist Mitglied der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung
Kruzifix auf der KühlerhaubeWenn es nach den christlichen Politikern Söder und Pofalla geht, sollen in allen Schulen Kreuze oder Kruzifixe gut sichtbar aufgebaut werden, finanziert auch aus den Steuermitteln von Nicht-Rechtgläubigen, Ketzern, Gottlosen, Heiden. Die aktuelle Finanzlage des Staates läßt kurzfristige Umsetzung zu . Unserer Ansicht nach reicht das aber bei weitem nicht aus. Warum nur Schulen und Bildungseinrichtungen? Warum nicht der gesamte öffentliche Raum? Da bieten sich ungeahnte Möglichkeiten zur Vermittlung von »Leitkultur«. Alle Bushaltestellen, S-Bahn-Stationen und Taxistände werden mit Kruzifix gekennzeichnet, alle Ausgabeeinrichtungen von Hartz-IV-Bescheiden und sonstigen Zuwendungen, alle Supermärkte, Kaufhäuser, Discos, Rundfunk-, Fernseh- und Strafanstalten. Alle Fahrzeuge werden mit Kruzifix auf der Kühlerhaube ausgestattet, die Anzahl der Gipfel- und Wegekreuze wird genauso durch Gewährung von Steuervorteilen erhöht werden können wie die Anzahl der Träger von Schmuckkreuzen durch Kruzifix-Pauschalen. Das Bleiberecht wird an das Tragen von Kreuzen gekoppelt. Der erhöhte Bedarf an Kruzifixen und Schulkreuzen schafft Arbeitsplätze, so daß alle bürgerlichen Parteien und die Gewerkschaften mit bestem Gewissen am Kreuzzug teilnehmen können. Daneben ist geplant, die vollständige Nutzung des öffentlichen Raumes durch Aufnähen von Kruzifixen an Kleidungsstücken oder – vielleicht noch effizienter – durch Tätowieren von Kreuzen auf den Stirnen all derer zu garantieren, die das christliche Bekenntnis – freiwillig oder nicht – als das nehmen, was die Kreuzritter vorgeben: die »eine« Wahrheit. Mit Kennzeichnungsmaßnahmen haben die Deutschen ja ausreichend Erfahrung. Eva Herman, Gloria von Thurn und Taxis und Kardinal Joachim Meissner haben ihre Zustimmung ungefragt öffentlich dreigefaltet. Das von dem Münchner Künstler Wolfram P. Kastner entwickelte ausklappbare Kreuz, das notfalls ohne großen Aufwand auch Haken an der richtigen Stelle vorweisen kann (http://hpd-online.de/node/2760), wird als Entwurf in den noch auszuschreibenden Ideenwettbewerb geschickt. Seine Erfolgsaussichten können wir aktuell als gut einstufen. Assunta Tammelleo
Komik und Peinlichkeit»Zunächst ein Vergleich mit Goethe. Goethe gilt als der universellste Dichter aller Zeiten. Ich produziere dreimal mehr Genres. Was bin ich?« – »Auch bedeutende Künstler und Literaten machen im Kleinen wie im Großen schändlichen Mist und gelten doch für bedeutende Leute.« Anhand dieser beiden Kurzpassagen aus Gerhard Branstners Autobiographie dürfte man sich entscheiden können, wie man das Buch, das für »unbotmäßige Heiterkeit« wirbt, und seinen Autor (»Genie«, »großer Spaßmacher aller vier Himmelsrichtungen«) bewertet. Wie eng Komik und Peinlichkeit nebeneinander liegen können, wurde mir bei der Lektüre erschreckend deutlich. Christel Berger Gerhard Branstner: »Liebengrün. Ein Schutzengel sagt aus«, Autobiographie, Kai Homilius Verlag, 254 S., 14.80 €
Das letzte KommaDer Suhrkamp Verlag ist sich nicht zu schade, selbst das letzte Komma von Hermann Hesse zu vermarkten. Hesse ist immer im Programm. Im Frühjahr wie im Herbst. Seit Jahrzehnten. Diesmal gibt's was zum Herbst des Lebens. »Vom Wert des Alters« ist der jüngste Titel, der seinen Nektar auch aus älteren Veröffentlichungen saugt. Neu sind viele der Fotos, die zu einem Großteil von Hesses jüngstem Sohn, Martin, stammen. Sie machen den eigentlichen Wert des Bandes aus, den Volker Michels verantwortet. Wer ist vom Wert des Alters überzeugt? Gewiß nicht Fünfundzwanzigjährige, auch nicht der lange an sich leidende Hermann Hesse. Ihn drückten, wie wir wissen, arge Depressionen, so daß er wiederholt an den Rand der Existenz geriet. Der jugendliche Hesse war ein Alter, der alte ein Jugendlicher. Wieder einmal fühlte er sich nicht »altersgemäß«. Wieder einmal äußerte er sich nicht »altersgemäß«. Der ältere, alte Hesse – er hat's über die Achtzig geschafft – hatte eine Menge Binsenweisheit übers Alter, die er offenbar gern postalisch verbreitete. Brief-Brosamen, Essays und Gedichte, Selbstäußerungen also, die aufgelegt wurden, weil sie Äußerungen Hermann Hesses sind und zu Hesse gehören wie alles, was wir von ihm haben. Müssen wir alles haben? Bernd Heimberger
Hermann Hesse: »Vom Wert des Alters«, Suhrkamp, 280 Seiten, 25 €
Scholochow und Stalin1950 hatte Stalin den Romancier Michael Scholochow beunruhigend kritisiert. Auf briefliche Fragen antwortete er nicht. Im folgenden Jahr bat der Schriftsteller um einen Gesprächstermin. Stalins Sekretär kündigte ein langes und ernstes Gespräch an. Auf dem Weg zum Kreml machte Scholochow überraschend Halt. Er folgte auch nicht dem herbeigeeilten Sekretär, der warnte, Stalin werde nicht warten, sondern erwiderte: »Ich habe ein ganzes Jahr gewartet.« Wer hätte das gewagt? Der Leipziger Literaturwissenschaftler Willi Beitz, der sich seit langem mit Scholochow beschäftigt (s. Ossietzky 22/05), berichtet darüber in einem kleinen Buch, das auch etliche eigens hierfür übersetzte Briefe enthält. Das Hauptthema ist nicht mehr die im Westen angezweifelte Autorschaft Scholochows an dem Roman »Der Stille Don«, für den er 1965 den Literaturnobelpreis erhalten hat. Wissenschaftliche Forschungen und der Fund von Originalmanuskripten haben dem Plagiatsvorwurf den Boden entzogen. Den Hauptstrang des Buches bilden der Briefwechsel und die Gespräche zwischen Stalin und Scholochow. Beitz verzeichnet zwölf Gesprächstermine (wobei Begegnungen bei Maxim Gorki nicht mitgerechnet sind). Es ging nicht vorrangig um persönliche Anliegen des Schriftstellers. In einem Brief vom 16. Februar 1938 bezichtigte Scholochow hohe Funktionäre willkürlicher Unterdrückungsmaßnahmen, die er als »feindliche Tätigkeit« wertete. Wie Beitz schreibt, zeigte sich Stalin dem Schriftsteller gegenüber »nicht primär als grausam-willkürlicher Diktator, sondern mehrmals sogar in helfender, ja lebensrettender Rolle«. Aufschlußreich ist, was Beitz über individuelle Motive schreibt. Er untersucht, warum Scholochow – im Gegensatz zu anderen – ein solcher Umgang mit Stalin möglich war. Er befaßt sich mit der Behauptung, Scholochow sei in der Stalin-Ära schlechthin »Repräsentant« oder »Galionsfigur« der Sowjetliteratur gewesen – und verneint sie, wissenschaftlich begründet. Auf dem Parteitag der KPdSU 1966 rechtfertigte Scholochow die Verurteilung Andrej Sinjawskis und Juli Daniels als Dissidenten, was ihm empörte Kommentare aus dem Ausland einbrachte. In diesem Zusammenhang verweist Beitz auf Scholochows Grundhaltung: Zwar habe der Schriftsteller das »Tauwetter« nach Stalins Tod begrüßt, aber immer habe er an der Kommunistischen Orientierung festgehalten – vielleicht ähnlich mannhaft wie gegenüber Stalin, dem er bis zuletzt die erwartete künstlerische Glorifizierung verweigerte? Scholochow war, vor allem mit seinem »Stillen Don«, einer der meistgelesenen Autoren der UdSSR. Auch und gerade deswegen ist die Arbeit von Beitz, dem erfolgreichen, aber nach der Wende entsorgten Hochschullehrer, sehr zu begrüßen. Leonhard Kossuth
Willi Beitz: »Scholochow und Stalin – Ein Beitrag zur Kontroverse um den Literaturnobelpreisträger«, Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen 2007, Leipzig, 88 Seiten, 5 €
Deutsche EmigrantenAchim Engelberg hat verwirklicht, was viele sich nach dem Tod von Vater und Mutter übelnehmen, weil sie es nicht getan haben: Engelberg (Jahrgang 1965) hat seinen Vater, den Historiker Ernst Engelberg, nach Einzelheiten seines Lebens befragt. Und da bei ihnen zu Hause oft andere Gefährten mit am Tisch saßen, konnte der Publizist auch deren Erlebnisse und Erfahrungen einbeziehen: Als junge politisch links engagierte Leute, oft aus jüdischem Haus, mußten sie nach 1933 emigrieren, wobei schon das Emigrationsland nicht frei gewählt werden konnte. Ernst Engelberg und Ernst Reuter verschlug es in die Türkei, während viele der Freunde voller Hoffnungen in die Sowjetunion gingen, andere, zum Beispiel Hellmut Stern, landeten in Shanghai. Achim Engelberg verfolgt Einzelschicksale: Kurt Goldstein, Nathan Steinberger, Georg Münz, Hugo und Werner Eberlein, Wolfgang Ruge, Marianne Kühn, Gerhard Leo, Moritz Mebel und viele andere. Bekannte und Unbekannte. Fritz Straube beispielsweise floh als Elfjähriger allein aus Deutschland und kam Jahre später in der Uniform der Roten Armee zurück. Es sind Geschichten über Lageraufenthalte, Internierungen, Überlebensstrategien, Entbehrungen – voller bitterer Details, manchmal mit lebensrettenden, heiteren Momenten, denn es gab ihn, den »Genossen Zufall«, öfter als man denkt. (Daß ein Historiker gerade diesem Phänomen Raum gibt, ist besonders reizvoll an diesem Buch!) Engelberg bezog auch das Leben und Wirken der Remigranten in seine Fragen ein und gibt spätere Überlegungen wieder. Wie Stalin trennte, was sich in der Gegnerschaft zu Hitlers Politik zusammengefunden hatte. Wie lange schlimme Erlebnisse verdrängt wurden und wie sie ein Leben lang nachts die Träume beherrschen. Engelberg hat viele der Alten noch persönlich kennengelernt, aber auch deren Kinder sind interessante Zeitzeugen. Ein bißchen zufällig wirkt die Auswahl der Interviewten, aber ein spannender Blick »in die Abgründe des 20. Jahrhunderts« ist es geworden. Christel Berger
Achim Engelberg: »Wer verloren hat, kämpfe. In den Abgründen des 20. Jahrhunderts«, Karl Dietz Verlag, 207 Seiten, 14.90 €
Der SechsstaatenbürgerEin Großteil der führenden Historiker der DDR stammte aus Schlesien oder der Tschechoslowakei. Das geflügelte Wort von der Machtergreifung der »Vertriebenen« in der Historiographie dieses Landes widerspiegelte deren gelungene Integration und berufliche Karrieren. Zu ihnen gehört Gerhard Fuchs, der über Jahrzehnte als Osteuropahistoriker in Leipzig wirkte, bis die tiefschwarze Landesregierung 1990 den ganzen Fachbereich administrativ auflöste. Als Sohn eines deutschen Vaters und einer tschechischen Mutter war er in Bleistadt im Erzgebirge aufgewachsen und wurde als junger »Deutscher« dort 1946 ausgesiedelt. Nach seiner Ausbildung zum Historiker befaßte er sich professionell mit der Geschichte Böhmens und schrieb darüber mehrere Bücher. Die sechs Staaten, auf die der Titel seiner Memoiren anspielt, sind die Tschechoslowakische Republik bis 1938, das Deutsche Reich bis 1945, erneut die Tschechoslowakische Republik bis 1946, die Sowjetische Besatzungszone bis 1949, die Deutsche Demokratische Republik bis 1990 und die Bundesrepublik Deutschland ab 1990. Am Beispiel seines Vaters und der Geschichte seiner Familien schildert Fuchs, wie erfolgreich die DDR selbst Umsiedler mit stark an die örtliche Industrie des Erzgebirges gebundenen Berufen zu integrieren vermochte und sie nicht lebenslang in einen Vertriebenenstatus zwängte. Fuchs' Lebenserinnerungen sind nicht nur für professionelle Historiker informativ, sie machen den Leser mit dem wechselvollen Schicksal der in der DDR betriebenen historischen Forschungen über die sozialistischen Länder Ost- und Südosteuropas bekannt. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen in der CSSR ließ Ulbricht 1967/68 das Institut für die Geschichte der Volksdemokratien in Leipzig, dessen stellvertretender Direktor Fuchs damals war, als »Revisionistennest« auflösen. Für rund ein Jahrzehnt gab es keine systematischen historischen Forschungen zu diesen Gegenständen mehr. Der Rückstand war nach dem Neubeginn kaum aufzuholen. Fuchs selbst arbeitete zur Geschichte der Tschechoslowakei vor München und zur Aktionseinheit tschechischer und deutscher Antifaschisten, zur Außenpolitik der Weimarer Republik gegen die Tschechoslowakei und zu deren Nachkriegsentwicklung. In seinen Erinnerungen schildert er die Zusammenarbeit von Historikern der DDR und der CSSR und teilt sonst kaum erfahrbare Einzelheiten der jüngeren Geschichte der sozialistischen Tschechoslowakei mit. Die Memoiren sind stellenweise sehr humorvoll geschrieben. Hier eine Kostprobe zum Schluß: »Als ich im März 1960 meinem Betreuer Leo Stern das Manuskript meiner Dissertation vorgelegt hatte, liefen auch die meine Arbeitszeit betreffenden Vergünstigungen aus. Und so hatte ich auch an den etwa einmal monatlich stattfindenden Ausbildungen der Betriebskampfgruppe teilzunehmen. Skurriles blieb auch hier nicht aus. Als Höhepunkt der ersten Übung hatten wir einen Hügel in der schönen Umgebung Berlins zu stürmen, auf dem sich als angenommener Feind ›Fallschirmagenten‹ befanden. Eigentlich sollten wir mit Platzpatronen versehen sein, aber aus irgendeinem Grunde funktionierte der ›Nachschub‹ nicht. Deshalb befahl uns der Vorgesetzte, das Gewehrfeuer lautmalend zu simulieren. So stürmten wir also den Hügel unter großer Heiterkeit mit ›Bumm-bumm-bumm‹-Rufen. Sinnvoller war ein Einsatz auf dem Weihnachtsmarkt, wo es des öfteren zu Schlägereien und Sachbeschädigungen kam.« Werner Röhr
Gerhard Fuchs: »Ein Sechsstaatenbürger«, Leipziger Universitätsverlag, Teil II/1: »Erwachsen in Sachsen. Neubeginn 1946–1953«, 92 Seiten, 13 €; Teil II/2: »Als deutscher Historiker mit Böhmen verbunden (1953–2006)«, 223 S., 19 €
Frauen in der WissenschaftWissenschaft war, so sollte man meinen, bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts männlich. Männlich? Nicht ganz. Annette Vogt skizziert in einer lesenswerten Monographie die wissenschaftlichen Karrieren, aber auch die persönlichen Hintergründe vieler Frauen, die sich der Forschung und Lehre gewidmet haben. Sie behandelt einen langen, ereignisreichen Zeitraum, das halbe Jahrhundert zwischen 1899 und 1949, und konzentriert sich dabei auf den Berliner Raum, genauer: die nach 1945 in Humboldt-Universität umgetaufte Friedrich-Wilhelms-Universität und die 1911 gegründete Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), deren wichtigste Institute ihren Sitz in Berlin-Dahlem hatten. Es ist ein Vorzug der Arbeit, daß Vogt die NS-Zeit nicht verinselt, sondern einen Längsschnitt vornimmt, damit die Spezifika einzelner Epochen besser hervortreten. Zudem wird deutlich, daß der Prozeß der Emanzipation der Frauen in Forschung und Lehre nicht geradlinig verlief. Entscheidend für den Grad der Teilhabe von Frauen am universitären wie außeruniversitären Wissenschaftsbetrieb waren (man ist fast geneigt zu sagen: »natürlich«) die Rollenbilder. Rollenbilder der Männer, aber auch der Frauen. Denn auch die bürgerliche Frauenbewegung folgte tradierten Rollenerwartungen. Frauen »sollten zwar studieren dürfen, aber ›frauengemäße‹ Fächer und zur Vorbereitung auf einen ›Frauenberuf‹, der ihre Weiblichkeit nicht (zer)störte« (Vogt). Vor allem Naturwissenschaftlerinnen oder gar Technikerinnen paßten nicht in dieses Klischee. Angesichts dessen überrascht, daß »vor allem Naturwissenschaftlerinnen« bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts »relativ gute Berufschancen« besaßen, am meisten in der Industrieforschung (bis 1929) sowie in außeruniversitären Instituten, besonders in denen der KWG in Berlin-Dahlem, die – als Vorläuferorganisation der heutigen Max-Planck-Gesellschaft – die reichsdeutsche Spitzenwissenschaft verkörperte. Namentlich die KWG habe sich bis 1933 (und erneut ab 1936) durch »einen hohen Grad an Offenheit gegenüber Wissenschaftlerinnen ausgezeichnet«, während an den Hochschulen (das zeigt Vogt in einem Exkurs über die Vorurteilsstruktur männlicher Dozenten Mitte der fünfziger Jahre) die Ressentiments stark blieben und zum Teil skurrile Züge annahmen. Daß sich während der Weltwirtschaftskrise die Chancen von Frauen, in der Hochschule und an außeruniversitären Instituten Karriere zu machen, verschlechterten und daß dies während der NS-Herrschaft zunächst anhielt, entspricht den Erwartungen des Lesers. Verblüfft ist man dagegen über das, was Vogt »Paradoxie der Weltkriege« nennt: Wie bereits zwischen 1914 und 1918 verbesserten sich auch während des Zweiten Weltkrieges die Berufs- und Aufstiegsmöglichkeiten von Wissenschaftlerinnen dramatisch. Bemerkenswert ist, daß ausgerechnet »die Militärforschung Frauen [...] mitunter wesentlich bessere Bedingungen als der zivile Sektor der Forschungseinrichtungen« bot, ein Befund, der die feministische Täter-Opfer-Diskussion um eine wichtige Facette bereichern dürfte. Die Untersuchung bestätigt empirisch das in der NS-Forschung mitunter bemühte Bild von einer »Emanzipation wider Willen«. Zugleich betont die Autorin die Tiefe des Bruchs 1933: »Nicht-arische« Forscherinnen wurden stigmatisiert und systematisch vertrieben. Das biologistische Weltbild der Nazis drückte aber auch ihre »arischen« Kolleginnen in eine nicht-gleichberechtigte Stellung. Nicht die bloße Zahl der beschäftigten Forscherinnen ist hier aussagekräftig, sondern ihre Stellung im institutionellen Gefüge und ihre langfristige Resonanz. Darum war und ist es schlecht bestellt: Trotz herausragender Leistungen fanden und finden sich, so weist Vogt nach, in Lexika bestenfalls knappe, häufiger jedoch keinerlei Notizen über einzelne Wissenschaftlerinnen. Sie fielen dem Vergessen anheim. Annette Vogts Untersuchung ist sichtlich von dem Bemühen getragenen, dieser Tendenz entgegenzuwirken und wenigstens die Berliner Wissenschaftlerinnen dem Vergessenen zu entreißen. Das ist ihr insgesamt – mit zahllosen kurzbiographischen Skizzen und einigen weiteren systematischen Passagen, zum Beispiel zu den Promovendinnen – überzeugend gelungen. Rüdiger Hachtmann
Annette Vogt: »Vom Hintereingang zum Hauptportal? Lise Meitner und ihre Kolleginnen an der Berliner Universität und in der Kaiser-Wilhelm-Gesell-schaft«, Franz Steiner Verlag, 550 S., 84 @
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlDer Spiegel nannte seine Titelgeschichte: »Geboren am 9. November '89. Die Kinder des Mauerfalls werden volljährig«. Die am 9. November 1989 geborenen Menschen sind aber aller Wahrscheinlichkeit nach die Kinder ihrer Eltern und nicht die des Mauerfalls. Wer denn könnte Frau Mauerfall sein? Und Herr Mauerfall? Vielleicht Herr Günter Schabowski, der eine Zeitlang keine Gelegenheit versäumte, um das Publikum darauf hinzuweisen, er persönlich habe den Fall der Mauer verursacht. Das glaubte ihm aber keiner, erstens weil es wirklich nicht stimmte, und zweitens weil er bei seinen Bekanntmachungen nicht das strahlende Lächeln eines erfolgreichen Politikers zeigte, sondern stets jene ärgerliche Vergnatztheit, welche der Schabowski-Physiognomie schon vor dem Mauerfall, sogar schon vor dem Bau der Mauer eigen war. Daß er seinen Namen ändert und sich Günter Mauerfall nennt, wäre ihm indes zuzutrauen. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 23/2007 |
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