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Das Stück hat den merkwürdigen Titel »Die Beißfrequenz der Kettenhunde«. Die verschiedenen Grade des Umsichbeißens des neuen Geschäftsführers eines Zulieferbetriebes (Unterwäsche) für Aldi-Nord sind nachzuvollziehen. Sogar das Sich-Selbst-Anketten, um nicht abzustürzen von der Leiter des Erfolges. Peter Vischer sitzt am Anfang wie ein Häufchen Elend im »Deutschen Club« – oder im Puff – in Dakar, der Hauptstadt Bangladeschs. Ein sehr junges Mädchen, fast noch ein Kind (Nina Sarita Müller), versucht, ihn aufzumuntern, indem sie ihm qualvoll radebrechend das deutsche Lied vom Kuckuck und dem Esel vorsingt. Er sitzt da wie ein Toter, sagt nichts. Dort lernt er einen alten Freund seines Vaters kennen, Rudolf Klaase (Werner Wölbern), dem sein »Bauchgefühl« sagt, Vischer sei der neue Mann für ihn. Peter Vischer nimmt den Job bei »Power-Clothing« an, einer Firma, die in dem Billigland ihre Waren herstellen läßt. Auch von solchen Kindern wie der – kolonialistisch nur »eine Bengalin« genannten – kleinen Sängerin. Sie taucht später noch einmal bei einer irrwitzigen Party der Betriebsmitglieder auf, um das Kuckuck-Lied in ihrer Muttersprache zu singen. Emanzipation? Im Hamburger Büro, vollgestopft mit Computern, die nicht funktionieren, macht sich Vischer als neuer Chef im Bewußtsein seiner Macht wortreich an seine Mitarbeiterin Marie Stein (Maren Eggert) heran. Sie weist ihn mit dem Satz ab: »Sie brauchen mich gar nicht, um sich mit mir zu unterhalten.« Er, der sich immer unnütz und fehl am Platze fühlte, kommt wieder auf sein gestörtes Verhältnis zum Vater zurück. Braucht man diese Verletzungen in der Kindheit, um später zu einem gut funktionierenden Mitglied der globalen Business-Gesellschaft zu werden? Die Sekretärin Roswitha Dutt (Katrin Wichmann) leidet auch an ihrem Vater, einem ehemaligen Vorstand von Thyssen, der sich nur einmal im Jahr an ihrem Geburtstag an sie erinnert und Champagner schicken läßt. Ihr Freund wurde von Vischer entlassen, nein, der erfindet ein neues Wort: »enteinstellen«. Roswitha Dutt sitzt allein im Büro, spricht auf den Anrufbeantworter fingierte Gespräche, spielt die Warteschleifenmusik »Freude schöner Götterfunken« auf einem Kinder-Xylophon und spiegelt so einen intakten Büroalltag vor. Dann verschwindet sie, unauffindbar – vielleicht aus dem Leben. Alles wird zum Event, die Angestellten einer Computer-Reparaturfirma müssen Clownsmasken tragen. Man versteht, daß sie, die noch gleichzeitig für einen Pizza-Service arbeiten, sich zum Narren machen. Bei einer Party im Büro tauchen Masken mit dem Gesicht Peter Vischers auf – sie sollen von dem »Ent-Eingestellten« stammen. Eine Form der Demütigung, jemand mit seinem eigenen Gesicht zu konfrontieren – und das noch mehrfach. Überall liegt am Morgen danach Vischers Gesicht herum, das des Verlierers, denn nun ist er der Entlassene. In ihm wächst der Gedanke, endlich etwas zu tun, was gelingen muß. Seine Freundin Fé (Anna Blomeier) versteht ihn nicht (»Ich dachte, wir lieben uns«) und flippt aus, weil er sie nicht mitnehmen will. So tot, wie Vischer am Anfang schien, so aufgekratzt munter ist er nun. Stellt einen Stuhl in die Mitte und zieht sich aus, legt sorgfältig Stück für Stück darauf, seinen weißen Anzug, oben die Maske. Seine Hülle – abgelegt. Dann folgt das Einölen (Balsamieren) des Körpers und das Bestäuben mit Mehl (Asche). Und ein absurdes Bodybuilding, ein Rennen auf der Stelle, Verrenkungen. Lachen im Publikum. Das Leben noch einmal an sich vorbeiziehen lassen im Schnellgang – das ist es, was er sich und uns vorführt. Und kein Schweigen wie am Anfang, ein Wortschwall schwappt aus ihm heraus. Er steigert sich in Ekstase darüber, wie er es anstellen will, unsichtbar zu werden: »Die Leute müssen vergessen, daß man lebt.« Sich polizeilich abmelden, die Konten auflösen, keine Quittungen, den Ausweis in tausend Stücke zerschneiden, in viele Mülltonnen verteilen… Die Schnitte am Unterarm müssen längs sein… und von einer Klippe springen, in Irland. Und dann sagst du: »Papa, das habe ich jetzt aber gut hingekriegt«, sagt er. Und der Vater kommt, macht endlich nicht mehr die abweisende Handbewegung – die an allem Schuld war – und sagt: »War nicht schlecht, mein Junge.« Peter Vischer sieht grinsend hoch, um ihn herum: die Masken mit seinem Gesicht. Aber welcher Kettenhund bringt sich selbst um?
Erschienen in Ossietzky 23/2007 |
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