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Überhaupt: Warum hatte Tucholsky, der seinen Hang zu nordischen Gefilden immer wieder äußerte, die Strände Schwedens nicht längst geentert? Sein publizistischer Ziehvater Siegfried Jacobsohn war dort vor dem Krieg mehrfach an Land gegangen, an den Küsten der Halbinsel Kullen hatte er die Schaubühne konzipiert. Nach jener Sehnsuchtsäußerung sollten noch einmal zehn Jahre vergehen, bis Kurt Tucholsky die Koffer Richtung Norden packte – aber dann ging‘s zunächst nicht nach Schweden, sondern nach Dänemark. An einem Maitag vor 80 Jahren nahm er den D-Zug Berlin-Kopenhagen via Warnemünde, und alsbald »stolperte der Panter durch Kopenhagen«. Tucholsky suchte Abstand. Die Ehe mit Mary kriselte, gerade hatte ihn Lottchen im Sturm genommen – er war Ende 1926 für ein paar Wochen von Paris herübergekommen, um nach Jacobsohns Tod bei der Weltbühne nach dem Rechten zu sehen. Zudem: Die Weimarer Republik ließ immer schneller rechtsrum tanzen. Über Deutschland schrieb Tucholsky an Maximilian Harden: »Ich werde da meines Lebens nicht froh.« In Dänemarks Hauptstadt klopfte Peter Panter im Außenministerium an, besuchte den Literaturnobelpreisträger Johannes V. Jensen, den linken Karikaturisten Anton Hansen und begab sich auf die Spuren von Hans Christian Andersen. Bei allen Sympathien für Dänemark notierte er in seinem Feuilleton »Kopenhagener krabbeln auf ein Kriegsschiff« über einen britischen Flottenbesuch mißmutig, die Mädchen badeten in der wohligen Atmosphäre von Matrosenbegehren, und die Knaben übten Militärisches: »So entsteht die Lust am Krieg. Kriegsschiffe spazieren fahren lassen – das ist eine der besten Kriegsreklamen, die es gibt.« Alsbald pflastermüde zog sich Panter in den 70 Kilometer südwestlich von Kopenhagen gelegenen königlich konzessionierten Landgasthof Mogenstrup Kro zurück, wo er bis Mitte Juli seiner Schreibmaschine nicht nur nachdenkliche Feuilletons über dänische Begebenheiten entlockte, sondern auch sein Buch »Mit 5 PS« zusammenstellte – für den Kopenhagener marxistischen Kunsthistoriker Rudolf Broby-Johansen nicht mehr und nicht weniger als »ein Hauptwerk der modernen deutschen Literatur«. Überhaupt seien Tucholskys Mogenstruper Tage »ein Wendepunkt« in dessen Schaffen, eine Zeit, »in der aus einem Blinklicht unter vielen ein Leuchtturm wurde im sich ausbreitenden Dunkel über dem deutschen Geistesleben, das der heraufziehende Nazismus verursachte«. Den Mogenstrup Kro gibt es immer noch, doch der auf absolute Stille bedachte Tucholsky würde auf der Stelle kehrtmachen. Aus dem Landgasthof entstand ein Drei-Sterne-Hotel mit 99 Zimmern, 13 Tagungsräumen, Nachtklub und Golfanlage. Im Wintergarten-Café erinnern Fotos an Stars des dänischen Kabaretts – von denen der eine oder andere womöglich mit Texten Tucholskys auftrat, dessen Mogenstrup-Aufenthalt am Tresen durchaus bekannt ist. Doch ein Foto von ihm suchte ich vergebens, vielleicht schmuggle ich eines unter die Konterfeis der Diseusen, wenn ich das nächste Mal dort halte. Tucholsky schrieb seiner Mary, auch im nächsten Sommer wolle er gen Norden ziehen. Doch 1928 ging es immer noch nicht nach Mariefred, sondern in das unscheinbare südschwedische Fischerdorf Kivik. Über diese sechs Wochen an Schonens »Österleden« war lange wenig bekannt, nur das Feuilleton »Heimweh nach den großen Städten« gibt ein wenig Auskunft über die Landschaft und die Gefühlslage des Meisters mit den 5 PS. Darin schwärmt er: »...vor mir liegt Schonen. Ein hübsches Land; hier, wo ich sitze und meins in die Schreibmaschine klappere, ist es leicht gewellt und gar nicht so ›flach wie ein Eierkuchen‹... Und ich gucke auf die Hügel, einer heißt ›kleiner Stein‹ und einer heißt ›Steinkopf‹...« Stenshuvud ist der barhäuptige Ausläufer des skandinavischen Urbergs, Kern des ersten schwedischen Naturreservats. Als Absende-Adresse seiner vielen Kivik-Briefe an Mary, die einen beachtlichen Platz im Band 19 der Tucholsky-Gesamtausgabe einnehmen, gab Tucholsky »Kvasa Solbad« an. Davon ist fast nichts übriggeblieben. In Kiviks moderner Bibliothek fand ich einen Werbeprospekt, in dem Wunderliches angezeigt wird: »Das Sonnen- und Luftbad wird von Männern und Frauen, wenn sie einen Luftanzug anlegen, gemeinsam genossen, aber Frauen können dies auch – so gewünscht – ohne Bekleidung in einem für sie reservierten, abgeteilten Sonnengarten tun.« Das Badeleben werde »mit Gymnastik, Ballspielen, Singspielen und Volkstanz kombiniert«. Kvasa Solbad bestand im wesentlichen aus einem Badehäuschen, aufgestellt vom damals unternehmenslustigsten Kiviker, dem schwedischen »Apfelkönig« Henric Åkesson. Unweit des »Steinkopfs« ist an einem stattlichen Haus eine Erinnerungstafel für den Obstbau-Pionier zu sehen. War Tucholsky wirklich hier, wie eine Briefstelle vermuten läßt? Die freundliche Hausherrin Gunhild Åkesson weiß zu berichten: »Ja der deutsche Schriftsteller hat hier einen Sommer gewohnt und geschrieben, in den beiden vorderen Zimmern des Hauses.« Und das Badehäuschen des Luftbades habe als Gartenhaus ein paar Meter hinter ihrem Haus Platz gefunden. Frau Åkesson weiß noch mehr: In der Nähe verbrachte damals die junge Berlinerin Margot Deilke aus der weit verzweigten Verwandtschaft ihren Urlaub; Tucholsky habe sie damals viele Male zu Spaziergängen abgeholt. Stimmt, bestätigte die in Hamburg lebende Tochter der damals 25jährigen Krankenschwester Deilke, aber sie habe Tucholsky nicht wiedergetroffen. Immerhin verewigte der große Charmeur seinen Kiviker Luft-Kurschatten in jenem Feuilleton: »Alles, alles kann man entbehren. Die Literatur: schwer; den Whisky: schon schwerer; Lisa, Musch, Mara, Margot: am schwersten...« Tucholsky blieb allerdings nicht allzu viel Zeit für Kurschatten, Luftbaden und dergleichen. Unentwegt entstiegen seiner Schreibmaschine Texte für die Weltbühne und die Vossische Zeitung . Zu Plaudereien wie »Wo kommen die Löcher im Käse her - ?« gesellten sich zupackende antikapitalistische Bildgedichte wie »Asyl für Obdachlose«, die in der Arbeiter Illustrierten Zeitung erschienen. In seinem vorletzten Kivik-Brief fragte der schuldbewußte Tucholsky seine Mary vorsichtig: »Und im nächsten Sommer macht, wenn Gott ihm Gesundheit gibt, eine Reise nach Schweden, mit Malzen, wie?« Tatsächlich zog er im Sommer darauf wieder nach Schweden – aber mit Lottchen. Und diesmal nach Mariefred. Kurt Tucholsky: Gesamtausgabe, Bd. 19, Briefe 1928–1932, Rowohlt Verlag 2006, 870 Seiten, 49,90 €
Erschienen in Ossietzky 23/2007 |
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