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November 2007 beim Symposium des Bundesnachrichtendienstes (BND) über »Zerfall der Ordnung – Crisis of Governance« in Berlin komprimierte die rechtsstaats- und damit verfassungswidrigen Ideen des für Verfassungsschutz zuständigen Ministers und hätte bei seinem Koalitionspartner SPD einen Sturm der Entrüstung auslösen müssen – zumal Justizministerin Brigitte Zypries ab und zu versucht, durch Gegenpositionen zu Schäuble endlich an Statur zu gewinnen. Aber die SPD schwieg, als ginge sie das nichts an. Schäuble äußerte sich vor den Geheimdienstlern abschätzig über den seit mehr als fünfzig Jahren geltenden Grundsatz, die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten zu trennen; er tut ja auch alles, um beide zu vermischen, etwa durch die von ihm initiierte gemeinsame »Anti-Terror-Datei«. Zugleich machte er deutlich, daß er auch die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit aufheben will; deshalb verlangt er seit langem den Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Er sagte: »Beispielsweise entspricht die strikte Trennung zwischen Völkerrecht im Frieden und Völkerrecht im Krieg den neuen Bedrohungen nicht mehr. Und auch die Einordnung von Terroristen in das System des humanitären Völkerrechts, das von der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten ausgeht, bereitet Schwierigkeiten.« Wie man diese »Schwierigkeiten« überwindet, haben die USA vorexerziert. Sie sehen Verdächtige weder als »Kombattanten« an, die unter dem Schutz der Haager Konvention stehen, noch als Beschuldigte in Strafverfahren, deren Rechte in der Strafprozeßordnung geregelt sind. Vielmehr haben die Amerikaner einen neuen Status erfunden, den des feindlichen Kämpfers (»enemy combattant«), der keine Rechte hat (s. Guantanamo). Ist das die Lösung, die Schäuble für die von ihm beschworenen »Schwierigkeiten« im Sinne hat, wenn er fordert, man müsse darüber »ohne Tabus« diskutieren? Der Innenminister benutzt häufig die Methode, Fragen aufzuwerfen, die erkennbar über die bisher gültigen Grundsätze des Rechtsstaats hinausführen; zugleich betont er, es dürfe keine Denkverbote geben. Wer aber in Richtung »enemy combattants« denkt, müßte sofort massiven Widerstand erfahren. Innerhalb der Bundesregierung wäre das vor allem die Aufgabe der Bundesjustizministerin. Doch Brigitte Zypries versagte auch in diesem Fall. Und sie wirkte aktiv an einem weiteren tiefen Einschnitt in die Bürgerrechte mit: Nachdem sie unermüdlich dafür geworben hatte, verabschiedete der Bundestag am 9. November 2007 mit den Stimmen der SPD ein Gesetz, das die Speicherung aller Telefon-, Telefax- und Elektropost-Verbindungsdaten für polizeiliche Zwecke vorschreibt. Die Maßnahme richtet sich nicht etwa gegen Personen, die sich irgendwie verdächtig gemacht haben, sondern gegen alle Bürgerinnen und Bürger, viele Millionen Unverdächtige. Für frühere sozialdemokratische Justizminister wie Gustav Heinemann wäre es ein Graus gewesen, wenn sie hätten hören müssen, wie Brigitte Zypries dies am 31. Oktober 2007 im ARD -Morgenmagazin rechtfertigte: »Die Daten werden nicht beim Staat gespeichert, sondern die Daten bleiben bei den Telekommunikationsunternehmen.« Als ob es darauf ankäme. Entscheidend ist, daß private und intime Daten ein halbes Jahr lang für polizeiliche Zwecke bereitgehalten werden müssen. Das neue Gesetz regelt in einem anderen Teil, wer abgehört werden darf. Dabei schafft es zwei Arten von »Berufsgeheimnisträgern«. Die Proteste dagegen kümmerten die Ministerin ebenfalls nicht. Während bei Geistlichen und Strafverteidigern Telefone nicht abgehört werden dürfen, ist dies bei anderen Anwälten und bei Journalisten erlaubt. Axel Filges, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, kritisierte im Spiegel, »hochsensible Gespräche« könne es doch nicht nur bei Strafverteidigern, sondern auch »bei anderen Anwälten, aber auch bei Journalisten oder Psychotherapeuten geben«. Die Journalistenverbände befürchten durch die Neuregelung eine erhebliche Erschwerung des investigativen Journalismus, da Informanten nicht mehr geschützt seien. Und so ein Gesetz kam mit den Stimmen der SPD zustande! Was würde dazu ein Adolf Arndt sagen, der als – wie er damals genannt wurde –»Kronjurist« seiner Partei die Adenauer-Regierung in der Spiegel -Affäre kraftvoll und wirkungsvoll kritisierte? Aber heute badet man bei der SPD »gerne lau«, um ein geflügeltes Wort von Herbert Wehner aufzugreifen. Am 31. Oktober 2007 wurde nach einer Tagung der SPD-Justizpolitiker von Bund und Ländern in Mainz berichtet, sie hätten sich dafür ausgesprochen, »bei der umstrittenen Online-Durchsuchung ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten.« Das ist ein halbherziges Spiel auf Zeit. Eine klare Gegenposition gegen die von Schäuble gewünschte heimliche Durchsuchung der auf privaten Computern gespeicherten Daten sieht anders aus. Aus bürgerrechtlicher Sicht kann es gegen diesen Eingriff in die Privatsphäre, der noch schlimmer wirken würde als der große Lauschangriff, nur eine unmißverständliche Ablehnung geben. Dazu ist die SPD nicht in der Lage. Mit dem Verweis auf Karlsruhe kann sie sich vielleicht gerade noch über die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen im Januar 2008 hinwegretten. Anschließend wird sie wie gewöhnlich auch beim Thema Online-Durchsuchungen gegenüber Schäuble einknicken. Somit bleibt als Pluspunkt sozialdemokratischer Innen- und Rechtspolitik aus den letzten Wochen nur die Forderung des Hamburger SPD-Parteitags nach einem neuen NPD-Verbotsverfahren. Aber dabei handelte es sich, wie die SPD-Spitze genau wußte, nur um folgenlose Parteitagslyrik. Denn in der Koalition gibt es dafür keine Mehrheit. Schäuble wies die Forderung brüsk zurück und hielt in der Bild am Sonntag dem SPD-Vorsitzenden Kurt Beck mangelnde Sachkenntnis vor. »Die Hürden unserer Verfassung für ein Parteienverbot sind ungewöhnlich hoch«, dozierte Schäuble. »Daher rate ich, die Finger von einem neuen Verbotsantrag zu lassen.« Es wird also kein neuer Antrag auf Verbot der Neonazi-Partei kommen. Und Schäuble wird weiterhin bestimmen, wie es mit der Einschränkung von Bürgerrechten weitergeht. Die SPD hindert ihn daran nicht.
Erschienen in Ossietzky 23/2007 |
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