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Gezeigt werden der niederländische Ministerpräsident Balkenende schäkernd mit Daimler-Chef Zetsche, der EU-Kommissionspräsident Barroso vor einem kirchenfensterähnlichen Hintergrund, der Speisesaal in Weitwinkelaufnahmen, die ihn wie eine Kathedrale wirken lassen. Auf diese subtile Weise wird suggeriert: Was »high-level officials« hier verhandeln, hat gleichsam religiöse Weihen. Demokratie wird verbogen zur neofeudalistischen Veranstaltung der sich selbst ermächtigenden Eliten, von der das (nach Heinrich Heines Worten) als »großer Lümmel« verabscheute Volk ausgeschlossen ist. An dieser Entwicklung hat der Bertelsmann-Konzern über ihm verbundene Einzelpersonen an Schaltstellen des politisch-administrativen Systems, über die Bertelsmann-Stiftung sowie das ihr personell und finanziell verbundene Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) maßgeblichen Anteil. Die Bertelsmann-Stiftung (s. Arno Klönne: »Ein Konzern stiftet Politik«, Ossietzky 19/07) betreibt Politikberatung in Sachen Europa seit dem Ende der 1980er Jahre. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten öffnete sich für die EU der Raum nach Osten, und die EU-Politik nahm diese Gelegenheit zur Expansion in vielfältiger Weise wahr. Die Stiftung und ihre wissenschaftliche Tarnorganisation CAP initiierten und forcierten Schritte in Richtung einer europäischen Großmacht und unterstützten sie mit (pseudo-) wissenschaftlichen Argumentationen. Als Hauptfigur trat Professor Werner Weidenfeld auf, bis vor kurzem zugleich Vorstandsmitglied der Stiftung und Direktor des CAP sowie persönlicher Berater von Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Romano Prodi. Eine zentrale Rolle spielt bis heute auch Elmar Brok (CDU), seit 1980 Mitglied des Europäischen Parlaments und wechselweise Beauftragter des Vorstands der Bertelsmann-AG für Europafragen oder Senior Vice President Media Development. Im Europäischen Parlament hatte Brok über lange Jahre den Vorsitz des wichtigen Außenpolitischen Ausschusses inne. Er gehörte dem EU-Verfassungskonvent an und war 2007 einer von nur drei zugelassenen EU-Parlamentariern bei der Lissabonner Regierungskonferenz über den Vertrag, der an die Stelle der in zwei Volksabstimmungen gescheiterten Verfassung treten soll. Unter Bertelsmann-Regie erscheinen seit 2000 in dichter Folge Strategiepapiere, Expertisen und Szenarien, die immer dasselbe Mantra wiederholen: Die EU verfüge schon über Weltmachtpotential im Vergleich zu den USA, sie brauche nur noch »ein rationales Kalkül ihrer weltpolitischen Interessen« (Werner Weidenfeld: »Die verhinderte Weltmacht« in Die Welt , 2003). Sie müsse ihre Handlungsfähigkeit stärken, die Entscheidungsprozesse beschleunigen und eine klare personelle Führung erhalten. Sie brauche eine »neue Machtarchitektur«. Gegen die wachsenden Bedrohungen durch Terrorismus, geopolitische Konflikte infolge der Globalisierung und den Aufstieg Chinas seien Mittel zur »Machtprojektion im globalen Umfeld« erforderlich (»Europas Antworten«. Strategiepapier der Bertelsmann-Stiftung und des CAP zum International Bertelsmann Forum 2006). Die nach einem Hügel bei Bonn benannte »Venusberggruppe« der Stiftung konkretisierte das: Die EU müsse zum weltweit einsatzfähigen Sicherheitsakteur werden, der bis 2015 in der Lage ist, eigenständig, also ohne auf NATO-Strukturen zurückgreifen zu müssen, alle – auch die schwierigsten – Militärmissionen auszuführen. Sie müsse über die volle »militärische Eskalationsdominanz« verfügen und sogar weltweit »präventiv« intervenieren können, um »Terroristen« an »Angriffen auf Europa oder europäische Interessen« zu hindern. Einleitend vermerkt die Gruppe in ihrer »European Defence Strategy« (EDS) zwar, daß zur Konfliktlösung das Militär allein nicht ausreiche; Vorschläge für eine gewaltfreie, dialogische Friedenskultur vermißt man jedoch in dem Strategiepapier ebenso wie eine strikte Bindung an das Gewaltverbot der UNO-Charta. Im Gegenteil: »What Europe needs therefore is a force that can get anywhere, fight anywhere, eat anywhere, stay anywhere, be augmented and get back all organised by an autonomous command and control system under the sovereign political control of the EU«(EDS, Seite 26). Zur Erreichung dieser Ziele sieht das Venusberg-Papier einen politisch-militärisch-industriellen Komplex vor: Solange es keine europäischen außen- und verteidigungspolitischen Entscheidungsstrukturen gibt, soll ein »Trirectoire« aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien die militärisch-operative Führung übernehmen. Die Rüstungsaufträge sollen gleichermaßen an ein rüstungsindustrielles »Trirectoire« gehen: EADS, Thales und BAe Systems sind als »prime contractors« vorgesehen. Dies sind die Konzerne, die 2004, einen Tag vor der Verabschiedung des EU-Verfassungsvertrages, in dem die Rüstungsagentur neben einer Verpflichtung der EU zur Aufrüstung verankert werden sollte, ganzseitige Anzeigen geschaltet hatten: »Eine starke europäische Verteidigungsagentur nützt allen.« Man fragt sich: Was hat der Bertelsmann-Konzern von einer hochgerüsteten, zu den USA in Konkurrenz tretenden Supermacht EU? Offenbar verspricht er sich Vorteile von militärischer Flankierung bei der Eroberung neuer Märkte. Daneben kann vor allem die Bertelsmann-Tochter Arvato lohnende Geschäfte erwarten. Als Spezialist für Logistik und Informationstechnologie-Anwendungen aller Art kommt Arvato sowohl für zivile wie militärische Dienstleistungen in Betracht. Die im EDS-Papier geforderten Outsourcing- und PublicPrivatePartnership-Projekte für Aufgaben, die nicht zum militärischen Kernbereich gehören, sowie die behaupteten Defizite im Bereich »command, control, communications, computers capabilities, intelligence, surveillance and reconnaissance« öffnen für Arvato ein weites Auftragsfeld: In Zeiten, in denen Kriegsvorbereitung und -führung zum großen Teil auf elektronischer Datenübermittlung beruht, ist ein Vertragspartner zur Stelle, dessen Motto lautet: »Die richtige Information – zur richtigen Zeit – im richtigen Format – für die richtige Person«. Arvato-Vorstandsvorsitzender Ostrowski legt indes Wert auf Diskretion in dieser Angelegenheit: »Wir arbeiten immer im Stillen und im Hintergrund« (www. netzeitung. de). Wie haben sich die Konzepte der Bertelsmann-Stiftung in der deutschen und der EU-Politik niedergeschlagen? Unter den deutschen Regierungschefs von Kohl über Schröder bis Merkel trifft solche Beratung auf offene Ohren. Ihnen kam und kommt die Unterstützung gegen den widerstrebenden deutschen Souverän, der mit globalen Militärabenteuern und Großmachtgehabe nichts zu tun haben will, gerade recht. Der Begriff »Handlungsfähigkeit« zielt auf die Ausweitung von Mehrheits- statt Konsens-Entscheidungen im Ministerrat der EU. Verbunden mit der massiven Stimmenverschiebung zugunsten des »Trirectoires«, besonders Deutschlands (Deutschland + 100 Prozent, Frankreich + 50 Prozent, Großbritannien + 40 Prozent) heißt das in der Konsequenz: Ohne die großen Drei geht nichts. Die Zielvorstellungen der Bertelsmänner bestärken all jene, die die Vergangenheit hinter sich lassen und Deutschland eine »angemessene« Rolle in der Welt verschaffen wollen. Vergleicht man die von CAP und Bertelsmann-Stiftung 2005 unmittelbar nach dem Nein bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden vorgelegten Expertisen mit dem Lissabonner Vertrag, so zeigt sich: Was die Bertelsmänner als Essentials definiert hatten, wurde in den Vertrag übernommen. Nicht alle Großmachtphantasien haben Eingang gefunden, aber die Weichen sind gestellt. Die Rüstungsagentur, nach Protesten aus den sozialen Bewegungen in Verteidigungsagentur (European Defence Agency, kurz EDA) umbenannt, ist im Reformvertrag ebenso enthalten wie die Aufrüstungsverpflichtung, die Ermächtigung zu weltweiten Missionen »im Dienste der Interessen der Union« oder der Aufbau von »Battle Groups«. Für den Fall, daß der schnelle Zugriff auf EU-Haushaltsmittel nicht möglich ist, wurde der Keim eines EU-Militärhaushaltes – Anschubfonds genannt – gelegt. Der Leiter der EDA, Weis, ehemaliger Abteilungsleiter für Rüstung im deutschen Verteidigungsministerium, scheut sich nun nicht mehr, das Jahr 2008 als Europas »Jahr der Rüstung« anzukündigen (FAZ 24. 10. 07). Ein als Hoher Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik firmierender EU-Außenminister soll die EU-Außenpolitik kohärenter gestalten. Zur vertraglich festgelegten uneingeschränkten militärischen Beistandspflicht der EU-Mitgliedsländer bemerkte der Linzer Völkerrechtler Manfred Rotter im Wiener Standard , die aus einer Wirtschaftsgemeinschaft hervorgegangene EU sei zum »Verteidigungsbündnis« geworden. Das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik durchzusetzen, ist dem Bertelsmann-Vertreter in EU-Konvent und in der Regierungskonferenz, Elmar Brok, nicht gelungen. Aber als Ausweg bietet sich die »Ständige Strukturierte Zusammenarbeit« an: eine Art Koalition der Willigen, die im Hinblick auf ihre militärischen und rüstungspolitischen Verpflichtungen »anspruchsvollere Kriterien erfüllen wollen«. Ob die erwähnten institutionellen Änderungen ernsthaft den militärisch abgesicherten Weltmachtstatus der USA bedrohen können, mag offen bleiben. Eines aber ist gewiß: Die Bürgerinnen und Bürger der EU sind die Verlierer. Die außen- und verteidigungspolitischen Entscheidungen bleiben nämlich der parlamentarischen Mitentscheidung wie auch der juristischen Kontrolle entzogen: Das EU-Parlament wird bestenfalls angehört, der Europäische Gerichtshof wird für nicht zuständig erklärt. Nationale Kontrollmöglichkeiten werden fraglich, da die gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in die alleinige Zuständigkeit der EU fällt. Darüber hinaus öffnet ein Passus in der Solidaritätsklausel (Art. 188 r) die Tür zum Einsatz von Militär im Inneren der EU. Mit dem Friedensgebot des Grundgesetzes sind diese militärpolitischen Weichenstellungen der EU unvereinbar. Wer angesichts solcher Entwicklungen noch von einer Friedensmacht Europa spricht, ist entweder desinformiert oder blauäugig. Die Bertelsmann- Stiftung und das Centrum für angewandte Politikforschung – mit ihren nahezu 400 Mitarbeitern dem kleinen wissenschaftlichen Dienst des Bundestags und allen anderen öffentlichen Instituten weit überlegen – hat also in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich agiert. Um so notwendiger ist es, über die vom Bertelsmann-Konzern steuersparend und geschäftsfördernd betriebene Stiftung und ihre weitreichenden Tätigkeiten aufzuklären, die Aberkennung ihrer Gemeinnützigkeit zu fordern, PublicPrivatePartnership-Verträge mit militärpolitischen Bezügen publik zu machen, die personellen Verquickungen zwischen Bertelsmann, Regierungen und Parlamenten weiter aufzudecken, eine breite öffentliche Debatte über den neuen EU-Vertrag zu führen und Volksentscheide in den Mitgliedsländern zu verlangen.
Erschienen in Ossietzky 23/2007 |
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