Pappeln als Altmännertraum

Lothar Kusche

Der Regisseur Torsten Fischer gilt vielen Besuchern des Renaissance-Theaters, seit er dort Michael Frayns zwerchfellerschütternde Klamotte »Verdammt lange her« und Doug Wrights Monolog des Mahlsdorfer Gründerzeitverschiebers Lothar Berfelde inszenierte, als Spezialist für Komik. So sieht er auch auf dem einzigen mir bekannten Foto aus: ernst wie jemand, der ein Lehramtsstudium und erfolgreiche Bemühungen um Spohrs »Faust«-Oper vorzuweisen hat. Nun hat er »Wind in den Pappeln« erfolgreich einstudiert. Diese zart romantisch getönte Situationskomödie mit hochrangigen kabarettistischen Dialogen stammt von ­Gérard Sibleyras ( * 1961). Vorgeführt werden uns drei französische Veteranen aus dem ersten Weltkrieg, René, Fernand und Gustave, welche im August 1959 längst die Terrasse ihrer Senioren-Residenz mit Beschlag belegt, also – wie es auch bei älteren Militärs noch heißt – okkupiert haben. Kein Lüftchen auf der Terrasse, die Sonne brennt heiß auf die Kriegerköpfe herab und entlockt den Rentnerhirnen taktisch und strategisch fundierte Albernheiten, die selbstverständlich ernst gemeint sind. Das Publikum darf sowas jedoch als Selbstironie verstehen. Wenn bewährte Kämpen schwadronieren, hört man in Deutschland nur vorsichtig zu. (Manches klingt blödsinnig, aber Herr Schönbohm war vor seiner CDU-Karriere immerhin General, und über Generale lacht man nicht oder erst, wenn es sowieso zu spät ist.)

Ein Glücksfall, genauer drei Glücksfälle für das Theater, für Regisseur Fischer und uns im Zuschauerraum sind die drei hitzebeständigen lachsturmerprobten Hauptdarsteller: der knorrig-eindrucksvolle Helmut Dietl (als René mit künstlichem Steifbein und Krückstock größer und länger als in natura), Jörg Pleva (der wegen eines Grantsplitters einen Kopfverband trägt und öfter mal in Ohnmacht fällt, was die Zuschauer – ich muß das berichten – sehr erheitert; Pleva ist aber auch echt komisch!) und Jürgen Thormann (von 1962 bis 1994 an Boleslaw Barlogs Schiller-Theater) als gepflegter Reserve- und Nörgel-Offzier. Drei perfekte Mimen, die so sicher aufeinander eingespielt sind, als wären sie schon jahrelang in diesem Stück aktiv, ohne irgendwelche Ermüdungserscheinungen. Irgendwann wollen sie die Altersheim-Schwester Madeleine umbringen, die ihnen zuwider ist, und eine Exkursion zum nächsten Berghang und zu jenen Pappeln machen, deren Blätter sich dort im erfrischenden Wind bewegen.

Schwester Madeleine bleibt am Leben. Der ferne Wind erquickt sanft die Blätter der Pappeln, aber keinen der bramarbasierenden Greise.

Deren Kräfte hat ein fast vergessener Krieg zerstört. Endgültig.

Erschienen in Ossietzky 22/2007