Ein Linksruck?

Arno Klönne

Massenmediale Berichterstattung über Politik lebt von künstlicher Aufregung, die sich freilich rasch wieder verflüchtigen muß, denn das nächste Thema wartet schon. Den Hamburger Parteitag der SPD als Sensation zu verkaufen, fiel nicht leicht. Über Personalien war schon entschieden, bevor die Delegierten anreisten: Kurt Beck mußte mit möglichst hoher Stimmenzahl als Vorsitzender bestätigt werden, ein amtierender Außenminister als Vize macht sich immer gut, und mit der Besetzung der beiden anderen Vize-Positionen war kundzutun, daß es in der Partei »ausgewogen« zugeht. Andere Kandidaturen für diese Parteiämter gab es erst gar nicht – »demokratischer Zentralismus« in seiner biederen Form eben.

Die Rivalität zwischen Kurt Beck und Franz Müntefering, vorher wochenlang von den Kommentatoren ausgeschlachtet, erwies sich als ziemlich fad, am ehesten dazu geeignet, auf dem Parteitag eine Geste der »Versöhnung« vorzuführen. Ob da nun »Männerfreundschaft« herrscht oder zwischen den beiden »die Chemie nicht stimmt«, ist politisch belanglos. Franz Müntefering weiß selbstverständlich, daß sein Parteivorsitzender – so wie die Umfragewerte es verlangen – der Linkspartei Wind aus den Segeln nehmen muß, und Kurt Beck hat ebenso selbstverständlich keinerlei Absichten, die SPD in einen Konflikt mit Kapitalinteressen zu führen. Aber gegenüber den Wählern möchte die Partei »sozial warmherzig« erscheinen – ohne daß sich an ihrer Sozialpolitik etwas Wesentliches ändert. Die »Agenda 2010« sei nur ein Instrument, an dem man sehr wohl herumfeilen dürfe, hat Gerhard Schröder geschickt dazwischengerufen. Hauptsache, das Werkzeug zur weiteren Umverteilung von unten nach oben bleibt in Gebrauch. Darüber sind sich alle SPD-Oberen einig.

Durch den etwas unbotmäßigen Wunsch der Parteitagsmehrheit, auf deutschen Autobahnen möge das Tempo gemindert und spritfressenden Dienstwagen der Steuervorteil entzogen werden, lassen sich die Konzerne gewiß nicht in Schrecken versetzen; da braucht es gar nicht die Fürsorglichkeit der Bundeskanzlerin. Lästig ist den privatisierungseifrigen Reformern nur eines: daß der Hamburger Parteitag entgegen dem Willen des Vorstandes den Gang der Bahn AG an die Börse wahrscheinlich verzögert hat. Bezeichnenderweise war dies der Punkt, an dem Kurt Beck ungemütlich wurde, fast so, als wollte er die Delegierten nach Hause schicken. Aber Andrea Nahles wußte Rat, wie man Aufmüpfige ruhigstellen kann. Im übrigen beschloß die »Friedenspartei SPD«, den US-geführten Krieg in Afghanistan weiter zu unterstützen.

Ob in der SPD ein »Linksruck« geschehen oder zu befürchten sei, wurde deren Vorsitzender gefragt. Kurt Beck, der sonst eher als gefälliger Plauderer auftritt, gab eine robuste Antwort: »Das ist hanebüchener Unsinn.« Stimmt.

Erschienen in Ossietzky 22/2007